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Auftritt in der Fremde.

© Eva Kalwa

Wahlkampf: "Wowereit? Nie gehört"

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hilft beim Wahlkampf in Baden-Württemberg. Die Chancen für die SPD stehen im konservativen Mosbach allerdings eher schlecht.

Vielleicht hat die Imbissverkäuferin einfach nicht verstanden, also am besten noch mal: Ob Kunden erzählt hätten, dass sie an diesem Abend zur Wahlkampfveranstaltung mit Klaus Wowereit gehen? „Wowereit? Noch nie gehört”, wiederholt die blonde Mosbacherin freundlich, aber bestimmt und schüttet neue Pommes ins heiße Fett. Das Gleiche hat auch schon die Frau in der Bäckerei geantwortet.

Wer Berlin für den Nabel Deutschlands hält, wird in Mosbach rasch kuriert. Nicht nur, weil rund 600 Autobahnkilometer zwischen der deutschen Hauptstadt und der von der CDU als stärkster Fraktion regierten Kreisstadt des baden-württembergischen Neckar-Odenwald-Kreises liegen. Dennoch hat Berlins Regierender Bürgermeister zugesagt, den dortigen SPD-Landtagsabgeordneten Georg Nelius im Wahlkampf für die Landtagswahlen am 27. März zu unterstützen. In einem Bundesland, in dem die CDU seit 58 Jahren die Ministerpräsidenten stellt und auf Wahlplakaten für Fortschritt und Wissenschaft wirbt. Trotz der letzten Erfolge der SPD in Nordrhein-Westfalen und Hamburg, möglichen Folgen von Stuttgart 21, der Guttenberg-Affäre sowie steigenden Umfragewerten für die Grünen käme ein Machtwechsel in diesem konservativ geprägten Landstrich einem mittleren politischen Wunder gleich.

Tatsächlich ist Wowereit vor allem aus privaten Gründen angereist, denn sein Lebenspartner Jörn Kubicki stammt aus dem kleinen Dorf Sulzbach bei Mosbach. Und so hat sich Wowereit am Freitag im Mosbacher Rathaus ins Goldene Buch eingetragen und im Kulturzentrum „Alte Mälzerei” eine kämpferische Rede gehalten. „Jörn und ich sind oft bei seiner Familie zu Gast und daher weiß ich viel von dem, was im Kreis politisch passiert”, sagt Wowereit, als er mit Kubicki, Nelius und dem Oberbürgermeister der Stadt, Michael Jann (CDU), die Außentreppe des Rathauses hinaufsteigt. Am Sonnabend steht dann noch ein Termin beim Straßenwahlkampf in Heilbronn an.

Das 1558 erbaute Rathaus liegt in Mosbachs schönem Stadtkern mit seinen jahrhundertealten Fachwerkhäusern, der gotischen Stiftskirche und dem großen Marktplatz. Dass hier die Lumpenglocke – oder „’s Lumbeglöggle“, wie die Mosbacher im nordbadischen Idiom sagen – aufgrund einer Sage aus dem 15. Jahrhundert jeden Abend um 22.45 Uhr geläutet wird, passt zur beschaulichen Atmosphäre in den gepflasterten Gassen. Die Menschen scheinen es nicht eilig zu haben und viele haben nichts gegen einen kleinen Schwatz einzuwenden. Wie die Hotelbesitzerin, die aus Ungarn stammt, mal ein Jahr in Reinickendorf gelebt hat und seit 20 Jahren mit ihrer Familie ein kleines Hotel am Mosbacher Marktplatz betreibt. „Es ist schön hier, aber als Zugereiste selbst nach so langer Zeit nicht einfach”, sagt sie. Auf Wowereits politischen Besuch angesprochen, der auf Plakaten angekündigt wird, reagieren einige Passanten mit unüberhörbar bissigem Unterton. Zwei studierte ältere Männer sind sich nicht für eine boshafte schwulenfeindliche Verballhornung von Wowereits Namen zu schade. Und eine gut gekleidete 42-Jährige sagt: „Wenn Sie es hören wollen, wir finden es nicht richtig, wie er lebt.” Beim Thema Homosexualität müsse jemand in ihrem Alter einfach schlucken.

Und so scheinen sich nach wenigen Stunden in Mosbach viele Klischees, die der Großstädter gegenüber dem süddeutschen Kleinstadtleben allzu gern hegt, zu bestätigen: Wer irgendwie anders ist, fällt hier schneller auf als im urbanen Schmelztiegel, soziale Ausgrenzungsprozesse betreffen bei einer Einwohnerzahl von rund 25 000 Menschen nicht ganze Gruppen, sondern Individuen, die mitunter schmerzlich darunter leiden. „Natürlich lebt es sich als homosexuelles Paar leichter in Wilmersdorf als in Mosbach”, sagt der 45-jährige Neurochirurg Kubicki, der mit 22 Jahren zum Medizinstudium nach Heidelberg und später nach Berlin ging und seit 18 Jahren mit Wowereit zusammen ist. Doch zugleich erinnere er sich gern an seine Jugend in Sulzbach, nächtliche Lagerfeuer und ein behütetes, naturnahes Leben. Und es gebe zum Glück auch hier viele Menschen, die andere so akzeptieren, wie sie seien.

Als Wowereit in der „Alten Mälzerei” seine Rede hält, in der er stimm- und wortgewaltig fast alle sozialdemokratischen Vokabeln wie Chancengleichheit, Mindestlohn, kostenfreie Bildung für alle und Integration durchdekliniert, als befände er sich schon mitten im Berliner Wahlkampf, hören nicht nur Kubicki und dessen Eltern, sondern auch rund 300 Gäste aufmerksam zu und klatschen oft. Und das, obwohl längst nicht alle in dem überfüllten Saal SPD-Wähler seien, wie eine gebürtige Mosbacherin, erstaunt über den großen Zuspruch, erzählt. Vielleicht nur eine Folge davon, dass auch viele von Kubickis alten Schulfreunden an diesem Abend gekommen sind? Oder es ist tatsächlich ein Zeichen dafür, dass das „Lumbeglöggle“ in zwei Wochen eine neue politische Ära für Baden-Württemberg einläuten wird. Aktuelle Umfragen zumindest weisen darauf hin, dass es zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen kommen könnte.

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