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Warum die Streiks nicht enden: Berlins Lehrer gehen entschlossen in den zehnten Ausstand
Seit 2021 streiken Berliner Lehrer für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz. Sie fordern kleinere Klassen. Ein Besuch in einem Streikcafé in Mitte.
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Es ist neun Uhr morgens, vor der Mensa Campus Nord der Humboldt-Universität Berlin in Mitte hängen zwei rot-weiße GEW-Fähnchen an einem Straßenschild, ein paar Kleingruppen stehen verteilt auf den Stufen zur Mensa und im Foyer. „Schön, dass ihr da seid“, begrüßt ein junger Mann in roter GEW-Weste die Wartenden und führt sie in die obere Etage der Mensa.
GEW steht für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Die hat ihre Mitglieder dazu aufgerufen, für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz zu streiken – bereits zum zehnten Mal seit Ende 2021. Die Kernforderung der Lehrervertretung: kleinere Klassen. An 14 Orten, verteilt auf das ganze Stadtgebiet, hatte die GEW am Dienstag zu Streikversammlungen eingeladen. Lehrer verschiedener Schulen sollen miteinander ins Gespräch kommen, bevor Mittwoch um zehn Uhr eine Demonstration am Potsdamer Platz beginnt.
In der Mensa Nord sind gut einhundert Lehrer zusammengekommen, berlinweit waren es am Dienstag laut Auskunft der Bildungsverwaltung etwa 2500 Streikende. „Es ist ein Riesenbedürfnis da, mal länger zusammenzusitzen, sich mal fernab einer Demonstration auszutauschen über die Situationen an den Schulen in der Nachbarschaft“, erkennt Manuel Honisch. Honisch ist ein junger Lehrer an der Möwensee-Grundschule in Wedding, Bezirksvertreter im GEW-Landesvorstand und hat das Streikcafé organisiert.
Es fehlt an jeder Ecke
Am Nachbartisch erzählt eine Frau mit rotem GEW-Schal bei Kaffee und Brötchen vom Gespräch mit einem Bekannten: Warum die Lehrer denn überhaupt streiken, habe der wissen wollen. „Es geht nicht ums Geld“, sind sich die Tischnachbarn einig. Die Frau und ihre drei Kollegen unterrichten an einer Förderschule „im Herzen Berlins“, mehr wollen sie nicht preisgeben. An ihrer Schule würden teilweise bis zu 40 von 70 Lehrern krankheitsbedingt fehlen, an Regelunterricht sei gar nicht mehr zu denken. Ein Teufelskreis: „Viele gehen in Teilzeit, um das überhaupt noch schaffen zu können.“
Doch nicht nur die Fehlzeiten der Kollegen machen den Vieren zu schaffen. „Es gibt immer mehr Schüler mit Förderschwerpunkt II.“ Förderschwerpunkt II steht für Geistige Entwicklung. Um die betroffenen Schüler adäquat zu betreuen, brauche es mehr Personal – oder eben kleinere Klassen.
Wir stützen uns, wir halten uns über Wasser, aber nachhaltig stemmbar ist das nicht mehr.
Lehrerin an der Humboldthain-Grundschule
Für sechs Lehrer der Humboldthain-Grundschule hingegen steht ein anderes Problem im Vordergrund: Es fehle an Räumen, erzählen sie. Binnen zehn Jahren sei die Schülerzahl von 300 auf 450 gestiegen, zuletzt musste sogar der IT-Raum aufgelöst werden. Auch der Pausenhof reiche bei Weitem nicht mehr aus, damit die Schüler sich zwischen den Unterrichtsstunden austoben könnten.
Auch an der Humboldthain-Grundschule haben viele Schüler einen Förderbedarf. Für die Lehrer bedeutet das aber nicht, individuellen Unterricht vorbereiten zu müssen. Eine Lehrerin Mitte 40 beklagt, dass es vor allem die Verwaltungsaufgaben sind, die sie zusätzlich belasten: Anträge schreiben, Konferenzen und Elterngespräche durchführen. „Als Quereinsteigerin werde ich dafür nicht so gut bezahlt wie meine Kollegen, obwohl ich die gleiche Arbeit mache“, erklärt sie wütend. Ihre Kollegen nicken zustimmend.
Keine Besserung in Sicht
Beim Senat beißen die Streikenden bisher auf Granit. Zwar gibt es Verständnis für die Lehrkräfte, ein Tarifvertrag könne aber nicht auf Landesebene geändert werden, heißt es. Das falle in den Kompetenzbereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder. Für die zuständigen Landesminister wiederum stehen aber nicht kleinere Klassen auf der Agenda, sondern eine Lösung des Lehrermangels. Eine Expertenkommission hat im Januar entsprechende Vorschläge vorgestellt. Die sehen nicht nur größere Klassen und mehr Arbeitsstunden für Lehrer vor. Auch das Recht auf Teilzeitarbeit soll eingeschränkt werden. Für die vier Lehrer der Förderschule ist das „ein Schlag ins Gesicht“.
Zu streiken gibt mir das Gefühl, ich mache etwas. Ich resigniere nicht, sondern ich versuche, etwas zu ändern.
Manuel Honisch, Sonderpädagoge und Bezirksvertreter im GEW-Landesverband
Auch Honisch ist sich sicher: „Wir brauchen einen langen Atem. Die Forderung, dass man kleine Klassen im Tarifvertrag regelt, ist bisher so nie gestellt worden. Wir haben bewiesen, dass eine relevante Zahl von Lehrern bereit ist, dafür auf die Straße zu gehen. Das ist aus meiner Sicht ein großer Erfolg.“
Von Kampfansagen an den neuen Senat ist Honisch dennoch weit entfernt. Er erinnert nur die womöglich nächste Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) an ein Versprechen: „Frau Günther-Wünsch hat sehr deutlich gesagt, man muss mit der GEW reden. Wir erwarten keine Wunder, wir erwarten aber ein verbindliches Gesprächsangebot und nehmen Frau Günther-Wünsch da beim Wort.“
Die Lehrer von der Förderschule und der Humboldthain-Grundschule sind da skeptischer. Aufgeben wollen sie aber nicht, obwohl sie erschöpft sind. Aus Veranstaltungen wie dem Streikcafé ziehen sie Kraft. Denn trotz ernster Themen bleibt genug Raum für Spaß und Lockerheit. Als Honisch die Streikenden fragt: „Wer ist der Meinung, dass Lehrer zu viel arbeiten?“, steht der gesamte Speisesaal auf. Alle tanzen als Zeichen der Zustimmung. Im Hintergrund läuft „Keine Macht für Niemand“ von Ton Steine Scherben – so fühlt sich Streiken an.
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