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Was die Schule nicht schafft: Berlins Teenager lernen in den Ferien noch schwimmen
Immer mehr Jugendliche entpuppen sich als keine sicheren Schwimmer. Kostenlose Schwimmkurse in den Sommerferien sollen in Berlin nachholen, was im Schulunterricht nicht klappt.
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Im ersten Moment wirkt es fast komödiantisch: Die hochgewachsenen Teenager mit roter Schwimmnudel bewegen sich im Wasser etwas unbeholfen. Schnell aber wechselt dieser Eindruck zu großem Respekt, denn die älteren Jungen stellen sich tapfer ihrer Angst – der Herausforderung, einen Schwimmkurs zu besuchen. Ein Schwimmtrainer ist mit den Jugendlichen im Wasser und unterstützt sie bei den Schwimmversuchen.
Viele Kinder und eben auch Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung hatten noch nie Schwimmunterricht, da dies in ihren Heimatländern nicht üblich oder möglich ist. „In den letzten Jahren haben wir immer wieder Anfragen von Unterkünften für Geflüchtete, Jugendzentren oder Familienhelfern erhalten, die nach Schwimmangeboten für Jugendliche gefragt haben“, erzählt Johanna Suwelack, Referatsleiterin für Kinder-, Jugendsport und Jugendsozialarbeit beim Landessportbund.
Die Jugendlichen nehmen teil an einem der einwöchigen Schwimm-Intensivkurse, die der Landessportbund Berlin organisiert. Diese kostenlosen Kurse sind ausgelegt für Kinder, die noch keine sicheren Schwimmer sind. Eigentlich richtet sich das Angebot an Grundschulkinder, die nach dem Schwimmunterricht in der dritten Klasse noch kein Bronzeabzeichen haben.

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Doch diesen Sommer wurden die Ferienkurse vom Grundschulalter auf die Jahrgangsstufen sieben bis zehn ausgeweitet. Für diese älteren Kinder gibt es jetzt separate Kurse in drei Hallenbädern, darunter auch die Schwimmhalle Fischerinsel. „Das war uns wichtig, damit die 15-Jährigen nicht mit den Grundschulkindern zusammen schwimmen müssen“, sagt Suwelack. „Gleichzeitig haben wir in dieser Altersgruppe einen immer größeren Bedarf erlebt.“ Die 330 Plätze für Schüler:innen der Jahrgangsstufen sieben bis zehn sind komplett ausgebucht.
Neben dem tiefen Becken gibt es ein flaches Nichtschwimmerbecken, in dem die Kinder und Jugendlichen sich mit sicherem Boden unter den Füßen erst einmal ans Wasser gewöhnen. „Die Jungs hier haben Anfang der Woche auch dort begonnen und machen jetzt ihre ersten Erfahrungen im tiefen Wasser“, beschreibt ein Schwimmtrainer den Fortschritt der Teenager.
Besorgniserregende Entwicklungen
Angst abzubauen, ist ein essenzielles Ziel der Kurse. Das wird vor allem dadurch geleistet, dass ausgebildete Schwimmtrainer:innen die Kinder und Jugendlichen betreuen und sich viel Zeit für sie nehmen können. Denn einige von ihnen waren vorher noch nie im tiefen Wasser oder haben negative Erfahrungen damit gemacht. Dass in einer Schulklasse, wo dies auf mehrere Schüler:innen zutrifft, die Lehrkräfte überfordert sind und so nicht alle Kinder am Ende ihr Bronzeabzeichen schaffen, ist wenig überraschend.
Aber auch bei den jüngeren Kindern zeigen sich besorgniserregende Entwicklungen. Nach dem Schuljahr 2020/2021 betrug der Anteil der Nichtschwimmer berlinweit 36 Prozent. Das ist eine alarmierend hohe Zahl. Bei der letzten Erhebung 2018/2019 waren nur 16,5 Prozent der Kinder ohne Bronzeabzeichen. Diese Zahl erhebt die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie alle zwei Jahre unter Schüler:innen nach der dritten Klasse.
Schwimmunterricht während der Pandemie ausgefallen
Die Verschlechterung der Statistik sei vor allem auf die Corona-Jahre zurückzuführen, sagt Suwelack. Wegen der Pandemie war in vielen Schulen der Schwimmunterricht ausgefallen.
Die Kinder schwimmen fleißig Bahnen, in Bauch- und Rückenlage. Währenddessen nimmt eine Trainerin am Beckenrand die Zeit: Für das Bronzeabzeichen müssen Kinder 15 Minuten am Stück schwimmen. Neben den sportlichen Leistungen gehört auch die Kenntnis der Baderegeln zu den Voraussetzungen, um als Freischwimmer zu gelten. Ein Badehelfer im roten Landessportbund-T-Shirt setzt sich dafür mit jedem Prüfling auf eine Bank neben dem Becken und fragt geduldig ab.
Eine Besonderheit der Intensivkurse der Schwimmvereine: Für zehn Kinder sind meist zwei qualifizierte Schwimmtrainer:innen da. Damit wird eine weitaus engere Betreuung als im Schulunterricht gewährleistet, wo häufig eine oder zwei Lehrkräfte sich um eine ganze Klasse mit rund 25 Kindern kümmern.

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Die fehlende individuelle Betreuung sowie der Einsatz – wohl aus der Not heraus – von Lehrkräften, denen eine Qualifizierung für das Beibringen von Schwimmfähigkeiten fehle, führe dazu, dass viele Kinder auch nach dem Ende der Pandemie das Bronzeabzeichen nicht schafften, betont Suwelack. Hier zeige sich auch der Einfluss von sozialer Benachteiligung: „Schulen mit weniger Ressourcen können teilweise den Schwimmunterricht nicht ermöglichen“, erläutert die Referatsleiterin des Landessportbundes. „Und in den Klassen sind besonders viele Kinder, die noch nie oder selten mit ihren Eltern schwimmen waren.“
Der letzten Erhebung der Senatsverwaltung Bildung, Jugend und Familie zufolge sind die Bezirke mit der höchsten Nichtschwimmerquote Spandau, Mitte und Neukölln. Das deckt sich exakt mit den Bezirken, bei denen die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung im Jahr 2022 die höchsten sozialen und gesundheitlichen Belastungen, wie etwa hohe Arbeitslosenquoten und eine niedrigere Lebenserwartung, feststellte.
Viele Eltern sind deshalb dankbar für die kostenlosen Schwimmkurse. Während die Kinder vom Beckenrand springen, Ringe aus der Tiefe holen oder Rückenschwimmen üben, steht eine Reihe von Eltern vor den Fensterscheiben der Schwimmhalle und drückt sich die Nase platt. An diesem Freitag endet der Schwimmkurs. Die Teilnehmer:innen bekommen eine Urkunde, viele erhalten auch ihr Schwimmabzeichen. Von den Eltern in Empfang genommen sind alle Kinder und Jugendlichen stolz – ob nur mit Urkunde, Bronze oder sogar Silber im Gepäck.
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