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© Mike Wolff, TSP

Berlin: Was vom Umbruch übrig blieb

Der Zeichner Tim Dinter dokumentiert das Nachwende-Berlin. Heute eröffnet eine Schau seiner Bilder

Das ist das Schicksal des Großstadtcowboys. Eingeklemmt in den Rahmen einer Werbetafel scheint der Westernheld durch die steinerne Prärie zu galoppieren, umzingelt von Beton, Autos, Wohnhäusern. Hinter dem Reklame-Cowboy leuchtet es orange, als reite der einsame Held vor einem Sonnenuntergang. Die Farbe kommt von einem weiteren Wohnhaus, das hinter zwei grauen Brandmauern hervorlugt. Die Szene ist eines der neuen Berlin-Bilder des Künstlers Tim Dinter, die jetzt erstmals in einer Einzelausstellung zu sehen sind. Mit wenigen Strichen und Farbtupfern hat der Zeichner eine typische Straßenszene aus Mitte festgehalten und sie zur Metapher erhoben für das Wechselspiel zwischen Alt und Neu, zwischen Aufbruch und Verharren, das für Viertel wie dieses symptomatisch ist.

Es ist der Blick des Zugezogenen, der Dinters Werk prägt, seitdem der gebürtige Hamburger vor 13 Jahren über den Umweg der bayerischen Barockstadt Landshut nach Berlin kam. „

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Großstadtcowboy. Straßenszene in Mitte.

© Dinter

Dieses Zerrissene in den östlichen Stadtteilen hat mich gleich fasziniert“, erinnert sich der Zeichner beim Gespräch in einem Café an der Schwedter Straße in Prenzlauer Berg, noch so eine Ecke, die er in Zeichnungen und Siebdrucken festgehalten hat. Die Stadtbilder von Dinter, der regelmäßig auch einen Comicstrip für den Tagesspiegel am Sonntag zeichnet, sind Dokumente des Übergangs, wie er gerade zwischen Mitte und Pankow auch 17 Jahre nach dem Mauerfall immer noch allgegenwärtig ist. Seine Inspiration bekommt Dinter täglich, wenn er mit dem Fahrrad zwischen seiner Wohnung in Mitte und dem Atelier in Prenzlauer Berg hin- und herfährt. Ein Siebdruck vom Senefelderplatz zum Beispiel zeigt den Ort als Brache voller Baukräne – im echten Leben steht hier bereits der Rohbau eines neuen Wohnblocks. Die Straßenflucht von der Prenzlauer Allee zum Alexanderplatz hin wird auf Dinters Zeichnung eingerahmt von wuchtigen Hochhausriegeln – in der Realität wurden die vor kurzem niedergerissen, um Platz für Neubauten zu machen. Und das von Graffiti und Reklame eingerahmte niedrige Eckhaus an der Brunnenstraße soll demnächst ebenfalls einem Siebengeschosser weichen. Wenn Dinter davon erzählt, spürt man eine nostalgische Zuneigung, die der Zeichner zu diesen grauen Mauern und architektonischen Relikten entwickelt hat.

Die Schnelllebigkeit, mit der sich Berlins östliche Innenstadt wandelt, ist dem 1971 geborenen Künstler suspekt und fasziniert ihn zugleich. Als Dinter, der zum Studium an die Kunsthochschule Weißensee nach Berlin kam, seine erste Wohnung an der Grenze zwischen Mitte und Wedding bezog, fühlte er sich in einen melancholischen Film von Wim Wenders versetzt, erzählt er. Tatsächlich strahlen Dinters Bilder eine ähnliche Atmosphäre aus wie die meditativen Kinobilder und Fotos des Regisseurs.

„Er gibt das Bild der Stadt wie derzeit kein zweiter Künstler wieder“, schwärmt Dinters Galerist Pascal Johanssen. Nicht nur für Johanssen, der vergangenes Jahr die große Zeichner-Schau „Illustrative“ veranstaltete, gehört Dinter zur Elite der deutschen Grafiker. Seine Bilder verkaufen sich gut. Auch, weil sie Raum für Gefühle und Projektionen lassen: Berliner können ihre Stadt wiedererkennen und doch neu entdecken, weil Dinter vertraute Alltagsorte auf ihren grafischen Kern reduziert und sogar banale „I-love-you“-Graffiti oder alte Schilder kunstvoll in Szene setzt. Und Kunstfreunde von außerhalb finden in Dinters Bild das beliebte Image von Berlin als Umbruchstadt reflektiert. Da verwundert es kaum, dass Dinters Siebdrucke, die vor wenigen Jahren für unter 100 Euro zu haben waren, inzwischen für das Zehnfache gehandelt werden. Der Künstler versteht es, Berlin mit seinen inneren Gegensätzen zu inszenieren, ohne Postkartenmotive zu reproduzieren. Beispielhaft zeigt das eine Szene aus der Torstraße: Zwischen zwei Wohnblöcken steckt ein niedriger 30er-Jahre-Bau, auf dessen Fassade die verblassten Buchstaben „kod“ zu erkennen sind – Relikte des Schriftzuges „Skoda“ aus DDR-Zeiten. Die Buchstaben hat Dinter leuchtend gelb unterlegt, die gleiche Farbe ziert einen modernen Transporter vor dem Gebäude. Auch wenn auf dem Bild kein Mensch zu sehen ist, hat man das Gefühl einer belebten Szene, einer Auseinandersetzung zwischen Vergangenheit und Zukunft, Abschied und Neuanfang. Eine Kulisse, gemacht wie für einen Berlinfilm, auch wenn der nur im Kopf des Betrachters abgeht.

Ausstellung 17. bis 25. Februar im Schauraum Brunnenstr. 10, 2. HH, 2. OG, Mitte, mittwochs bis sonntags 14 bis 20 Uhr. Eröffnung heute um 19 Uhr. Internet: www.timdinter.de, www.johanssen-gallery.com

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