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Wann kann man wieder tanzen?

© imago images/Travel-Stock-Image

Kolumne von Peter Wittkamp: Wenn die Ereignislosigkeit genehm wird

Unser Kolumnist ist froh, dass er nicht von den heißesten Pop-up-Stores und Clubs der Stadt berichten muss. Sondern über das schreibt, was sein könnte.

Stand:

Seit gut über einem Jahr schreibe ich an dieser Stelle des Tagesspiegels alle zwei Wochen meine Kolumne. Das bedeutet, jede einzelne Folge dieser Kolumne ist in der Zeit der Pandemie entstanden. Diese Kolumne kennt Deutschland und im Speziellen Berlin nur im Ausnahmezustand. Es geht ihr ein wenig wie allen Kindern in unserem Land, die bis zu 16 Jahre alt sind: Sie kennen Deutschland nur mit einer Frau als Kanzlerin. Betonung auf einer: Angela.

Gut, wie sie alle wissen, weil sie eben Zeitungsleser sind und damit zu der top-informierten Info-Elite des Landes gehören, stimmt das gar nicht mehr. Ein heute 14-jähriges Mädchen hat in ihrem Leben grob überschlagen 5000 Tage Merkel als Kanzlerin erlebt und drei Tage Olaf Scholz. Oder wie Friedrich Merz vielleicht sagen würde: beides ungefähr gleich schlimm.

Merkel ist seit Mittwoch nicht mehr im Amt. Wahrscheinlich schläft sie sich gerade mal richtig aus oder binged mit Joachim Sauer irgendwas auf Netflix durch. „How I met your Mother“, vielleicht.

Angela Merkel ist eine freie Frau und kann anschauen, was sie möchte. Von mir aus sogar den vollkommen überschätzen Oscar-Gewinner-Film „Parasite“. Selbst wenn sie sich nun ein Lastenrad für die Freizeit kaufen würde, ich könnte es ihr nicht verbieten. Obwohl ich natürlich gerne würde.

Statt über Merkels mögliche Hobbies möchte ich in dieser Kolumne über eine meiner Ängste reden. Denn dass diese Kolumne bisher nur in der Pandemie entstand, hat natürlich auch inhaltliche Folgen. Stets schwirrt das Virus im Hintergrund wie ein Aerosol in der Luft. Berlin ist für mich in weiten Teilen nicht Bundestag, Fernsehturm und Berghain, sondern Ausgangsbeschränkung, Lockerungsmaßnahme und 2G Plus.

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Ich habe mich jedoch damit ganz gut eingerichtet. Ich schreibe ein bisschen über mein Leben in der Isolation, darüber, welche Geschäfte oder Bars gerade öffnen dürfen und über das Kommen und Gehen diverser politischer Maßnahmen. Und selbst wenn mir das einmal nicht so gut gelingt, haben die geneigten Leserinnen und Leser sicher Mitleid mit ihrem Stadtkolumnisten.

„Was soll er auch schreiben, der arme hübsche Mann erlebt ja in einer Pandemie überhaupt nichts in Berlin“

Was soll er auch schreiben, denkt sich der Leser, der arme hübsche Mann erlebt ja in einer Pandemie überhaupt nichts in Berlin. Da kann er wohl kaum einen brillanten Text am Puls der Stadt schreiben.

Ich habe mich mit dieser Lage nicht nur arrangiert, sondern manchmal ist sie mir sogar sehr genehm. Dass die Clubs den größten Teil der Zeit nicht offen waren und jetzt auch schon wieder geschlossen sind, kommt mir sehr pässlich. Ich gehe nämlich nicht mehr allzu gerne in Clubs. Ich bin schließlich auch schon Ende zwanzig.

Aber sicher würde der Leser von einem engagierten Stadtkolumnisten erwarten, zumindest einmal alle zwei Monate darüber zu berichten, welche Clubs, DJs und Drogen in Mitte– oder wo auch immer diese Clubs sind – gerade angesagt sind.

Wie erwähnt: Für mich ist die Lage also sehr angenehm. Da keine Clubs geöffnet sind, vermisst auch niemand meine Berichterstattung darüber. Nun aber zu meiner großen Sorge: Was mache ich bloß, wenn diese Seite der Pandemie irgendwann mal vorbei sein sollte? Erwartet dann der Leser nicht von mir, endlich in jede Ecke der Stadt vorzudringen? Von Vernissagen zu berichten, von interessanten Musumsaustellungen, von den heißesten Pop-up-Stores und den dunkelsten Clubs der Stadt?

Alles, alles, worauf ich überhaupt keine Lust habe und wovor mich bislang zum Glück diese Pandemie bewahrte. Eine grausige Vorstellung.

„Wenn mir partout überhaupt nichts einfällt, gehe ich zu Edeka oder zum Lidl“

Denn ich bin ja eigentlich sehr zufrieden mit meiner Corona-Kolumne: gemütlich im Homeoffice sitzen und sich irgendetwas ausdenken, was in der Stadt vielleicht gerade so sein könnte. Kann ja niemand so genau überprüfen, weil man kaum noch vor die Tür geht.

Wenn mir partout überhaupt nichts einfällt, gehe ich zu Edeka oder zum Lidl. Irgendetwas wird auf dem Weg schon passieren. Und wenn nicht, schreibe ich darüber, wie schön ruhig die Stadt gerade ist und dass wir auch mal die weniger schrecklichen Seiten der Pandemie sehen sollten.

Diesen schönen Status, Stadtkolumnist zu sein, ohne mich mühsam durch die Stadt bewegen zu müssen, möchte ich also nicht verlieren. Daher habe ich mit meinen guten Kontakten zur SPD in den letzten zwei Wochen fleißig lobbyiert. Ich habe meinen Einfluss geltend gemacht. Und schlussendlich ist es mir dann auch gelungen, meine Vorhaben gegen einige Widerstände durchzudrücken. Karl Lauterbach ist Gesundheitsminister. Diese Pandemie wird niemals zu Ende sein. Perfekt!

Peter Wittkamp

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