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Lange gesucht: Es hat ein paar Jahre gedauert, bis Idil Baydar wieder eine Wohnung in Berlin gefunden hat.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Kabarettistin Idil Baydar: „Wenn ein Berliner in den Raum kommt, kommen die Eier zuerst“

Nach einigen Jahren in Frankfurt am Main ist Idil Baydar zurück in Berlin. Ein Gespräch über ihre Liebe zur Stadt, rechte Angriffe und die Macht des Humors.

Frau Baydar, Sie haben mal gesagt, es sei ein Privileg Berlinerin zu sein. Warum?
In den letzten acht Jahren bin ich massiv viel rumgekommen und habe viele, viele Orte gesehen. Und ich muss sagen: Die Berliner haben eine besondere Haltung. Nach dem Motto: Wir sind wie wir sind und wir feiern uns. Und wer uns nicht mitfeiert, der hat halt den Gong nicht gehört. Wenn ein Berliner in den Raum kommt, kommen die Eier zuerst und dann kommt der Berliner. Das ist irgendwie selbstverständlich. Und ich mag das.

Sie haben ein paar Jahre Berlin-Abstinenz in Frankfurt am Main hinter sich und sind erst vor kurzem wieder in die Hauptstadt gezogen. Wie lief die Wohnungssuche?
Es war die Hölle, eine absolute Katastrophe. Berlin hat sich hinsichtlich dessen überhaupt nicht gut entwickelt. Nur mal zum Vergleich: Ich bin vor fünf Jahren gegangen, da hat meine 50-Quadratmeter-Wohnung 500 Euro warm gekostet. Jetzt zahle ich das Doppelte für zwölf Quadratmeter mehr. Und dafür habe ich zwei, drei Jahre gesucht.

Wo sind Sie letztlich fündig geworden?
Das darf ich aus Sicherheitsgründen leider nicht sagen. Ich werde seit zweieinhalb Jahren von Nazis bedroht. Weil ich mich stark gegen rechts einsetze, war mir klar, dass das irgendwann kommen könnte. Was mich aber so schockiert ist, dass meine Daten auch von Polizei-Computern abgerufen wurden und die Polizei sich einfach weigert, da tatsächlich eine Aufklärung zu leisten. Deshalb bin ich jetzt in meiner Heimatstadt ein bisschen inkognito unterwegs.

Sie erhielten mehrfach auch Todesdrohungen. Stehen Sie aktuell unter Sicherheitsschutz?
Na, aber ganz bestimmt nicht von der Polizei. Beim Sicherheitsschutz vertraue ich dann doch eher auf Privatunternehmen aus den Reihen migrantisierter Menschen, weil die nachvollziehen können, was es bedeutet, wenn man in dieser Identität steckt und auf eine gewisse Art und Weise ausgeliefert ist.

[Dieses Interview ist ein Auszug aus dem Tagesspiegel-Podcast "Eine Runde Berlin": Die ganze Folge hören Sie auf Spotify, Apple Podcasts oder ganz einfach hier]

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Sie haben Ihre Karriere als Nazi-Oma Gerda Grischke und – wie Sie sagen – Integrationsalbtraum Jilet Ayse gestartet - mit 37 Jahren via YouTube.
Ich war bis 37 die ziemlich erfolgloseste Person auf diesem Planeten. Zumindest hat es sich so angefühlt. Ich hatte tausend prekäre Jobs und immer das Gefühl, das Leben gibt mir ganz schön eins auf die Fresse. Ich habe Babysitting gemacht. Ich habe an Schulen gearbeitet. Ich habe im KaDeWe gearbeitet. Ich habe in Bars und Restaurants gearbeitet. Ich habe geputzt. Ich habe für jemanden, der blind ist, vorgelesen. Ich habe sowas wie eine Sterbebegleiter-Ausbildung bei der Caritas gemacht. Und ich habe mein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht.

Für mich war es lange ein großer Schmerz, nicht in der Lage zu sein, finanziell in irgendeiner Form selbst auf den Beinen zu stehen, immer mal wieder einen Zwanziger von meinem Vater zu kriegen, während Gleichaltrige schon Kinder, fünf Autos, drei Häuser und fünf Bankkredite hatten. Aber ich bin ein Stehaufmännchen. Mein Vater hat mal gesagt: Es ist völlig egal, was du machst – solange es ein ehrlicher Job ist, ist jeder Job ein guter. Bis heute bin ich ihm dafür unendlich dankbar.

Zu ihrem Kabarettisten-Dasein kamen Sie dann eher zufällig.
Meine Mutter hat mich irgendwann gefragt, warum ich so erfolglos bin. Und zwar nicht, weil sie mir wehtun wollte, sondern weil sie wusste, dass sie irgendwann nicht mehr da sein würde.

Ich war zu der Zeit gerade wegen einer Jobcenter-Maßnahme an der Nürtingen-Grundschule als Integrationsbegleitung einer fünften Klasse und habe gleichzeitig über die Stiftung „Ein Quadratkilometer Bildung“ MSA-Vorbereitungskurse an der Rütli-Schule gegeben. Ich hatte also die Erfahrung einer Grundschule, die fast hundert Prozent migrantisch war und die einer Hauptschule, die auch einen bestimmten Ruf hatte.

Und ich habe gemerkt, wie die Kinder hier mit Sprachlichkeit umgegangen sind. Sätze wie „Übertreib nicht deine Rolle!“ – Alter, wie geil ist das? Da war ein unterbewusstes Bewusstsein dafür, dass Menschen eine soziale Rolle haben. Und dass das nicht das ist, was man ist. Das hat mich umgehauen! Diese Wortkreationen und Bilder waren für mich super faszinierend. Da geben 14-Jährige hochintelligente Dinge von sich, ohne das zu wissen und ohne einen auf Bildungsbürger zu machen.

Zuhause habe ich da nochmal drüber nachgedacht und das imitiert. „Ey, übertreib mal nicht deine Rolle!“ Wir haben Tränen gelacht und meine Mutter hat gesagt: So, und das nehmen wir auf und packen das auf YouTube und du wirst sehen, das wird erfolgreich sein. Und ich sage mal so: Unterschätze niemals deine Mutter!

Virtuelle Runde Berlin mit Ann-Kathrin Hipp und Idil Baydar
Virtuelle Runde Berlin mit Ann-Kathrin Hipp und Idil Baydar

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Sie hatten innerhalb kürzester Zeit Millionen Klicks. Heute treten Sie mit Live-Programmen und in TV-Shows auf. Warum funktionieren Ihre Figuren so gut?
Programme mit Figuren aus dem prekären Bereich hat Gaby Köster schon in den 90ern gemacht. Das ist nicht neu. Aber mit Jilet Aise gab es plötzlich eine Figur, die nicht nur eine Frau, sondern auch eine Migrantin war, die eigentlich mit Kopftuchleiden zuhause sitzen sollte, aber voll aggro ist und gar kein Problem damit hat, ihre Gefühle auszudrücken. Die in einer Art spricht, dass alle sagen, dass sie dumm ist. Aber sie sagt nichts Dummes! Und da bricht es sich so schön.

Jilet Aise bringt die Dinge in ihrer Essenz auf den Punkt und Migranten und migrantisierte Menschen konnten da einsteigen und ihre Erfahrungen, die sie als Einzelperson, machen, in einen kollektiven Kontext bringen.

Das war eine große Befreiung für viele. Dafür brauchte es wirklich auch den Raum der Kunst und der Satire! Außerdem konnte Jilet Aise etwas, was ich nicht konnte: Sie hat sich vollständig angenommen, wie sie ist. Sie war in ihrer Welt richtig und alle anderen waren falsch. Und diese Art von absoluter Selbstliebe, absoluter Selbstakzeptanz, die habe ich von ihr gelernt.

Gerda Griscke, Ihre zweite Figur, ist ebenso selbstbewusst.
Gerda Grischke steht für diesen Typ Mensch, der sagt: „Na aber ich meine das doch gar nicht rassistisch!“ Tatsächlich meint Gerda es auch nicht rassistisch. Sie ist einfach auf eine bestimmte Weise geprägt. Aber sie hat auch kein Problem damit, eine zu sein, weil sie es nach ihrer Auffassung ja nicht ist. Und das zählt.

Es gibt so geile, alte Leute, oft auch richtig alte Berliner, die noch den richtig alten Slang von 1930 drauf haben. Ich stehe dann da, höre zu und bin fasziniert. Das sind so Leute, die rufen: „Mogli, komm mal her“ und geben dir dann ein Bonbon. Für die Leute, die tatsächlich noch so eine Prägung haben, die nicht nachvollziehen können, dass wir tatsächlich eine Wandlung vollzogen haben als Gesellschaft, für die ist das hier völlig obskur, dass man von Rassismus spricht.

Ist es Ihr Anspruch, mit Ihrer Arbeit die Gesellschaft zu wandeln?
Ich bin selbst am Entdecken, während ich all das mache. Aber grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass wir eine Gesellschaft ohne Interdependenzen kreieren und aus dieser Welt eine Win-Win-Welt für alle machen.

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