Berlin: Wenn viele sich streiten, freuen sich die Fahrgäste
Seit einem Jahr können Berliner und Brandenburger mit einem Fahrschein kreuz und quer durchs Land mit Bahnen und Bussen fahren. Theoretisch.
Seit einem Jahr können Berliner und Brandenburger mit einem Fahrschein kreuz und quer durchs Land mit Bahnen und Bussen fahren. Theoretisch. In der Praxis funktioniert der am 1. April 1999 geschaffene Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) nämlich noch nicht so, wie es geplant war. Nach wie vor ist der Bereich Lausitz-Spreewald nicht dabei, und BVG, S-Bahn GmbH sowie die Bahn AG streiten noch immer häufig mit dem VBB - immerhin meist zum Vorteil für die Kunden.
Weil sich die Kontrahenten seit Monaten nicht über eine Erhöhung der Tarife einigen konnten, fahren die Fahrgäste weiter zu den alten Preisen durchs Land, die seit März 1998 gelten. Die Verkehrsbetriebe hatten sich längst auf eine neue Preisrunde geeinigt, sind aber beim Verbund damit stets aufgelaufen.
Dabei fühlen sich die Verkehrsbetriebe von Verbund-Chef Uwe Stindt ausgetrickst. Im Vorfeld habe er seine Zustimmung signalisiert, bei der entscheidenden Abstimmung im VBB-Aufsichtsrat dann aber andere Konzepte präsentiert. Aber auch Berlins Verkehrssenator Peter Strieder (SDP) hat bei den Erhöhungswünschen bisher nicht mitgespielt. Auch um eine bereits zum Start des Verbundes vor einem Jahr vereinbarte Preiserhöhung kommen die Kunden zunächst herum. Weil mit dem Verbund viele Städte und Gemeinden aus dem bisherigen Umlandtarif rings um Berlin herausgeflogen waren, hatte man einigen für ein Jahr Sonderkonditionen gewährt. Während nach den Verbund-Regeln eine Fahrt von Berlin nach Fürstenwalde 8,50 Mark kosten müsste, reichten auf dieser Verbindung bisher 6,40 Mark. Ähnlich war es auf der Strecke nach Nauen (4,20 Mark statt 6,40 Mark). Damit wollte der VBB diesen Städten den Rauswurf aus dem Tarifbereich C versüßen, in dem die Fahrt bis zum Verbundstart 4,20 Mark gekostet hatte.
Der Verbund wollte diese Sonderkonditionen vertragsgemäß zum 1. April abschaffen, doch da zogen nach Angaben von VBB-Sprecherin Ingrid Kudirka die Betriebe nicht mit. Sie wollten die Automaten nicht zwei Mal ändern: zur Verbundanpassung am 1. April und dann noch einmal zur weiter geplanten allgemeinen Tariferhöhung, die nun für den 1. August vorgesehen ist. Dann sollen Anpassung und Erhöhung gleichzeitig erfolgen. So lange wird aber auch der für die meisten Fahrgäste unverständlich genannte Durchmesserfahrausweis nicht abgeschafft, und der Umwegefahrschein wird nicht in die Tarifdatenbank integriert. Auch der Bahnhof Schönefeld bleibt weiter in der - für Berliner teureren - Tarifzone C, während der Verbund ihn in den billigeren B-Bereich zurückholen wollte. Dies teilte der VBB erst kurzfristig mit.
Zumindest zwei Wochen länger als vorgesehen gilt auch eine besondere Regelung bei der S-Bahn, die innerhalb des C-Bereiches weiter Fahrscheine anerkennt, die auf dem Waben-Prinzip des Verbundes basieren. Dadurch sind viele Fahrten billiger als sonst im Verbund. Auch hier konnten sich die Kontrahenten, zu denen in diesem Fall auch die Landesregierung in Brandenburg gehörte, nicht einigen. Die S-Bahn GmbH wollte vertragsgemäß die Sonderegelung aufheben, Land und VBB waren dagegen.
Streit gab es im ersten Verbundjahr zudem um die Fahrscheine. Den Einkauf hatte der Verbund übernommen, während vorher die BVG auch für die meisten Betriebe im Umland die Tickets drucken ließ. Erst gab es eine heftige Kontroverse um die Fälschungssicherheit, und dann zog die BVG Anfang des Jahres den Einkauf wieder an sich. Ihrer Ansicht nach hatte der VBB zu schlechte Konditionen ausgehandelt.
Jetzt spart die BVG nach ihren Angaben im Jahr mehrere hunderttausend Mark. Der Verbund weist die Vorwürfe zurück. Die Betriebe konnten sich nicht einmal auf einheitliche Netzübersichten einigen. Während der Verbund so genannte Netzspinnen entworfen hat, die komplett das Netz der S- und U-Bahn, des Regionalverkehrs der Bahn AG und einer kreisfreien Stadt (Potsdam, Brandenburg oder Frankfurt (Oder) zeigen, geben die BVG und die S-Bahn weiter jeweils eigene Übersichten aus.
Selbst über den Erfolg des Verbundes sind sich die Partner nicht einig. Verbund-Chef Uwe Stindt hat mehr Fahrgäste und höhere Einnahmen bei den Betrieben seit dem Verbundstart ermittelt, die Betriebe dagegen verweisen auf neue Strecken, die mehr Fahrgäste gebracht hätten, während die Einnahmen noch gar nicht verrechnet seien. Zwischen BVG und S-Bahn GmbH sowie der Bahn AG schwelt hier weiter ein Streit, bei dem es um viele Millionen Mark geht.
Berliner nutzen die Verbundmöglichkeiten bisher kaum. Der Anteil der Fahrscheine über das bereits 1990 eingeführte Tarifgebiet Berlin und Umland (heute ABC) hinaus beträgt bei der S-Bahn nur 2,5 Prozent. Bei der BVG sind es etwa ein Prozent. Die BVG-Automaten bieten diese Fahrscheine allerdings auch gar nicht an. Zu kaufen sind sie nur in den privaten Verkaufsagenturen und an - wenigen besetzten - Schaltern.