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Abgeordnete im Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses

© dpa/Britta Pedersen

Fast 15.000 Euro Strafen für Parlamentarier: Wer im Berliner Abgeordnetenhaus am meisten fehlt

Abgeordneten, die unentschuldigt fehlen, werden die Diäten gekürzt. Am häufigsten passierte das 2018 CDU-Fraktionsmitgliedern, gefolgt von denen der AfD.

Von Ronja Ringelstein

Jeden zweiten Donnerstag tagt in den Sitzungswochen das Berliner Abgeordnentenhaus. Mit 160 Abgeordneten und sechs Fraktionen ist es zahlenmäßig stark besetzt. Und doch sind die Sitzreihen manchmal sehr leer, zuweilen trifft man mehr Abgeordnete bei Zweiergesprächen im „Casino“, dem Café im Abgeordnetenhaus, als im Plenarsaal. Doch wie häufig fehlen die Volksvertreter eigentlich in den Parlaments- und Ausschusssitzungen? Das wollte der Tagesspiegel von der Parlamentsverwaltung wissen – doch die war nicht auskunftswillig.

Zwar liegen die Daten vor, bei jeder Sitzung werden Anwesenheitslisten geführt, doch „diese Informationen geben wir nicht heraus“, hieß es bei der Pressestelle unter Verweis unter anderem auf den Datenschutz. In einem anderen Fall hatte das Bundesverwaltungsgericht geurteilt, die unmittelbare Arbeit des Parlaments sei vor Auskunftsbegehren der Presse geschützt. Die Verwaltung des Abgeordnetenhauses ist also rechtlich wohl auf der sicheren Seite.

Eine andere Information gab die Pressestelle jedoch heraus: die Höhe, in der die Diäten der einzelnen Abgeordneten gekürzt wurden. Wer unentschuldigt im Plenum fehlt, dem werden 50 Euro von seiner monatlichen Kostenpauschale in Höhe von 3944 Euro abgezogen.

Wer in einem Ausschuss fehlt, dem werden 25 Euro abgezogen. In diesem Jahr kamen so bis Ende September bereits mehr als 10.000 Euro „Strafgeld“ zusammen. Im vergangenen Jahr waren es fast 15.000 Euro. Spitzenreiter war, gemessen an der Fraktionsgröße, jeweils die CDU-Fraktion, gefolgt von der AfD.

In den Ausschüssen fehlten die 31 Abgeordneten der CDU im vergangenen Jahr 105 Mal unentschuldigt, im Plenum, das 16 Mal tagte, 27 Mal. Damit blieb jeder CDU-Abgeordnete durchschnittlich 4,3 Mal ohne Entschuldigungsgrund einer Sitzung fern. Der SPD-Fraktion, mit sieben Abgeordneten mehr, wurde 92 Mal die Pauschale für Abwesenheit in den Ausschüssen und 20 Mal im Plenum gekürzt, durchschnittlich fehlte jeder SPD-Abgeordnete demnach knapp drei Mal.

Am seltensten fehlten 2018 die Mitglieder der Linksfraktion mit durchschnittlich 2,4 Fehltagen pro Abgeordnetem, ihnen wurde insgesamt 66 Mal die Pauschale gekürzt. Bei der Grünen-Fraktion waren es rechnerisch 2,6 Fehltage pro Fraktionsmitglied, bei der FDP 2,6 und bei der AfD 4,1.

In diesem Jahr wurde den drei Fraktionslosen, allesamt AfD-Mitglieder, 17 Mal die Pauschale gekürzt, was überwiegend auf das Fehlen von Jessica Bießmann zurückzuführen sein dürfte. Diese war längere Zeit nicht im Abgeordnetenhaus gesichtet worden, nachdem Fotos von ihr bekannt geworden waren, auf denen sie vor Weinflaschen mit dem Konterfei von Adolf Hitler posierte.

Als Entschuldigung gelten Mutterschutz und ärztliches Attest

Das Geld, das durch die Kürzungen zusammenkommt, kann das Abgeordnetenhaus verbuchen. Damit werden beispielsweise die Abgeordneten mit 25 Euro bezahlt, die für ihre Kollegen in den Ausschüssen als Vertreter bei entschuldigtem Fehlen einspringen. Entschuldigt wird, wer im Mutterschutz ist oder ein ärztliches Attest vorlegt – ist aber das Kind erkrankt oder sind Angehörige zu pflegen, wird das nicht entschuldigt.

Noch ist das Berliner Abgeordnetenhaus ein „Freizeitparlament“ – das ändert sich mit der beschlossenen Reform allerdings ab 2020. Dann erhalten die Parlamentarier deutlich mehr Geld, ihre Diäten steigen um fast 60 Prozent auf 6250 Euro im Monat. Dafür sollen sie auch mehr und länger arbeiten. Die Kürzungen der Kostenpauschale werden zwar verdoppelt, dafür werden auch die Entschuldigungsgründe ausgeweitet, die Pflege von Angehörigen oder kranken Kindern kann dann, wenn sie glaubhaft gemacht wird, als Entschuldigung gelten.

Daniel Wesener, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, versteht nicht, wieso die Parlamentsverwaltung die Fehlzeiten von Abgeordneten nicht transparent macht. Er glaubt, es halte sich meist die Waage, wie viele aus Regierungskoalition und Opposition fehlen. „Wir Parlamentarischen Geschäftsführer sind gehalten, die Plenardisziplin aufrechtzuhalten. Ich führe ein relativ restriktives Regiment“, sagt Wesener.

Für die rot-rot-grüne Koalition ungemein wichtig: Ihre Mehrheit von elf Stimmen muss immer bestehen. Es habe da diesen brenzligen Moment gegeben, erinnert sich Wesener, am 23. Mai, dieses Jahr, im Plenum. Es ging um einen Antrag der CDU-Fraktion, der von der Koalition abgewiesen werden sollte. Also: Handzeichen, wer dafür ist. Handzeichen, wer dagegen ist. Kurzes Innehalten – plötzlich war sich Cornelia Seibeld, Vizepräsidentin des Parlaments, die die Debatte leitete, nicht sicher, wer die Mehrheit hatte. Viele aus den rot-rot-grünen Reihen fehlten. „Auszählen!“, rief die FDP; „wir hatten die Mehrheit!“, schallte es aus der AfD.

Daniel Wesener (Grüne), ist dafür, dass die Parlamentsverwaltung die Fehlzeiten von Abgeordneten transparent macht.
Daniel Wesener (Grüne), ist dafür, dass die Parlamentsverwaltung die Fehlzeiten von Abgeordneten transparent macht.

© Paul Zinken

Fix zückten die Koalitionäre ihre Handys und schrieben den Kollegen, dass sie schnell in den Plenarsaal kommen sollten. Abgestimmt wurde letztlich durch den „Hammelsprung“, bei dem die Abgeordneten einzeln durch eine entsprechende Tür, gekennzeichnet als Ja-Stimme, Nein-Stimme oder Enthaltung, wieder in den Plenarsaal schreiten. „Habt ihr jetzt eure Truppe beisammen?“, beschwerte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Heiko Melzer. Ja, hatten sie. 58 Ja-, 82 Nein-Stimmen. Damit war der CDU-Antrag abgelehnt. Insgesamt fehlten dennoch 20 Abgeordnete.

Gerade bei Plenarsitzungen sei allen bewusst, dass der Grund triftig sein sollte, warum man fehlt, sagt der Grüne Wesener. Dieser Druck könnte nächstes Jahr, zusammen mit den Diäten, größer werden.

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