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Kerzen und Blumen am Rand des Breitscheidplatzes.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Update

Breitscheidplatz in Berlin: Wie gehen wir um mit der Angst?

Den Angreifern der offenen Gesellschaft herausfordernd gegenübertreten: Das gilt auch heute, egal wer der Täter war und woher er kam. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Viel wissen wir auch am Morgen nach dieser schrecklichen Nacht noch nicht, aber genug, um einen Moment innezuhalten: 12 Menschen sind gestorben, 48 weitere wurden zum Teil schwer verletzt, weil am Montagabend gegen 20 Uhr ein Lastwagen von der Kantstraße aus direkt in den belebten Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gefahren ist.

Dutzende Meter war der dunkle Laster, beladen mit Stahl, mitten über den Markt gefahren, hatte Buden und Menschen mitgerissen; am Ende kam er auf der Budapester Straße zum Stehen, vor der Ruine der Gedächtniskirche, dem Berliner Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung.

Am Morgen danach wissen wir fast nichts über den Täter oder sein Motiv. Und doch verweben wir zwangsläufig ähnliche Ereignisse, wie die Terrorfahrt von Nizza, mit Hinweisen von Ermittlern, Andeutungen von Politikern und Spekulationen von Journalisten in diesem Fall zu einem Bild. Ein Verdächtiger wurde festgenommen. Die Polizei geht davon aus, dass der Truck absichtlich in die Menge gefahren wurde. Um 6 Uhr teilte sie mit, dass es sich vermutlich um einen terroristischen Anschlag handelt.

Es kann noch Minuten dauern bis zur nächsten sicheren Erkenntnis, oder auch Stunden, vielleicht Tage. All das aber ändert nichts an der Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss: Wie gehen wir um mit der Angst?

„Die Antwort muss heißen: mehr Demokratie und mehr Offenheit"

Weihnachtsmärkte gelten schon seit Jahren als Anschlagsziele, wegen der Menschenmengen, auch wegen ihrer Symbolik - und weil sie schwer zu schützen sind. Ein Anziehungspunkt waren sie trotzdem auch diesmal, für Hunderttausende allein in Berlin.

Nach dem Amoklauf von Utoya 2011 hatte der damalige norwegische Ministerpräsident Stoltenberg herausfordernde Worte gesagt - herausfordernd nicht gegenüber den Angreifern der offenen Gesellschaft, sondern ihren Verteidigern und Trauernden: „Die Antwort auf die Attacken muss heißen: mehr Demokratie und mehr Offenheit. Andernfalls werden diejenigen, die dahinter stecken, ihre Ziele erreicht haben.“ Das gilt auch heute, ganz egal, wer der Täter war und woher er kam.

Das bedeutet selbstverständlich nicht, sich dem Terror schutzlos auszuliefern, nicht alles zur Abwehr zu tun, sich nicht zu verteidigen. Die Sicherheitsbehörden haben in den vergangenen Jahren etliche Anschläge verhindert, vor allem durch rechtzeitige Festnahmen. Auch diesmal gab es zwar eine Warnung, aber zu wenig konkreten Erkenntnisse.

Gefahr, dass abscheuliche Reaktionen die Gesellschaft vergiften

Aber wer glaubt, dass eine Forderung wie "Grenzen dicht" oder "Schluss mit Asyl" eine geeignete Antwort auf die Terrorgefahr ist, fällt auf eine politische Scharlatanerie rein. Und wer gar, wie hohe AfD-Funktionäre seit gestern Abend, von "Merkels Toten" spricht, der macht sich einer politischen Infamie schuldig, die alle Verachtung verdient.

Denn neben der Gefahr, selbst Opfer eines Anschlags zu werden, gibt es noch eine weitaus größere: Dass nicht nur abscheuliche Anschläge, sondern dass auch abscheuliche Reaktionen darauf die Gesellschaft vergiften. Wir sollten uns unsere demokratischen, rechtsstaatlichen und humanistischen Errungenschaften, auf die wir stolz sein können, wenn wir uns in der Welt umsehen, weder von wahnsinnigen, fanatischen Terroristen, noch von durchgeknallten Populisten nehmen lassen.

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