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Berlin: Willkommen im Schwadenland

Im einen Park drehen sich Lämmer am Spieß. Im anderen fehlen sie morgens im Gehege

Schon erstaunlich, was in einen Mittelklassewagen so alles hineinpasst. Erst klettern zwei Kinder aus dem Opel vor dem Haus der Kulturen der Welt im Tiergarten, es folgen drei Frauen mit Kopftuch, der Fahrer, drei Kühlboxen, sechs Klappstühle, ein Tisch, ein Samowar, drei prall gefüllte Aldi-Tüten, zwei Landmann-Rundgrills, drei karierte Decken, zwei Beutel Grillkohle, zwei Pappkartons, ein Kinderfahrrad, ein Fußball, eine Wasserpfeife. Während sich die Frauen dranmachen, zehn Quadratmeter Tiergarten in ein Wohnzimmer zu verwandeln, heißt es für das Oberhaupt der Familie wie für alle anderen Männer auf der Wiese auch: bitte fächeln!

Es liegt ein Grauschleier über der Stadt. Immer, wenn es warm wird, immer am Wochenende greifen die Menschen zum Rost. An den Seen, in den Parks und im Tiergarten. Vor dem Haus der Kulturen der Welt steigen bereits am Vormittag die ersten Rauchschwaden auf, zwei Stunden später ist die Wiese von einer dichten, grauen Wolke umhüllt. Gegrillt wird, was auf den Rost passt. Schweinehaxen, Spieße, Hühnerbeine, Steaks, Fische – oder, auch recht beliebt, ganze Lämmer. Erlaubt ist das nicht. „Aber ich habe noch nie erlebt, dass jemand eine Strafe zahlen musste“, sagt Christoph Schaaf.

Schaaf muss es wissen. Er arbeitet und lebt seit 1965 im Tiergarten. Damals waren die Rasenflächen noch tabu und seine Verbotsschilder genossen höchste Autorität. Heute durchquert der Mann vom Grünflächenamt mit dem Fotoapparat den Park, um die Sünder festzuhalten: die Ganztier-Griller, die Lagerfeuer-Griller, die Unterm-Baum-Griller… Schaaf ist bescheiden geworden. „Ein ganzes Rind haben sie noch nicht geschafft.“

In der ohnehin verrufenen Neuköllner Hasenheide war man bereits auf dem besten Wege, im Büro des Revierförsters erinnert man sich lebhaft an den letzten Grill-Rekord im Revier. „Ein halbes Rind hatten wir schon.“ Das Grillen ist im Park verboten, von den deutschen und türkischen Verbotsschildern lässt sich aber kaum jemand abhalten. Und wer braucht schon einen Grill zum Grillen? „Manche leeren die Mülleimer aus, machen darunter mit Stöcken ein Feuer und legen das Fleisch dann auf den Boden des Mülleimers – sehr lecker“, schüttelt sich der Grünflächen-Pfleger.

Die Bilder im Tiergarten sind wahrscheinlich genauso alt wie die Menschheit selbst. Der Vater streift durchs Gehölz, sammelt Äste, schnitzt Spieße, schürt das Feuer. Die Mutter mariniert das Fleisch, formt Gehacktes auf Spieße, schneidet Gemüse. Und zu ihren Füßen spielt lachend das Kind. In einer Höhle fiel der Satz vor langer Zeit vermutlich zum ersten Mal: „Das müsste jetzt gut sein.“ Im Tiergarten hört man ihn auf deutsch, italienisch, koreanisch, englisch, türkisch, jugoslawisch… „Wir haben hier alle Nationen“, sagt Schaaf, „einschließlich der Spandauer.“ Die Mülleimer haben noch einen kompletten Tag vor sich, aber bereits am Vormittag den Rand voll: Fettige Pappteller pflastern die Wege, Dosen, Gabeln, kaputte Klappstühle. 100 Kubikmeter Müll sammelten Schaaf und seine 20 Helfer nach dem Pfingstfest im Tiergarten zusammen. Dass sich in seinem Revier kaum jemand an die Regeln hält, könne er mit dieser kleinen Truppe nicht ändern. Eine Saison lang aber griff Schaaf mit der Polizei richtig durch. Das war Mitte der 80er Jahre. „Damals fingen die Jugoslawen an, mitten im Tiergarten ihre Schafe zu schächten.“

Jürgen Gaser, oberster Gartenbauer der Hasenheide, ist in Neukölln ebenfalls seit über zwanzig Jahren im Dienste des Grüns tätig. Er sagt, er könne inzwischen Romane schreiben. Über den Park. Die Verrückten. Vor den Ställen des Tiergeheges Hasenheide grasen Schafe und Rehe, doch die Idylle trügt. „Wenn die ihren Rappel kriegen, schlachten die hier unsere Tiere“, sagt Gaser. Morgens fehle dann ein Schaf im Gehege, manchmal ein Reh. Am beliebtesten aber seien mit Abstand die Lämmer.

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