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„Wir brauchen mehr Rückzugsräume“: Berliner Schüler fordern bundesweit Änderungen im Bildungssystem
Mehr Mitspracherecht, mehr Rückzugsräume: Schüler erheben in einem Offenen Brief ihre Forderungen für einen besseren Schulalltag. In Berlin wurden diese heute vorgestellt.
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Julius hat in Grün unterschrieben, Max in Blau und Joseph in Schwarz, drei von Dutzenden Namen in allen Farben, notiert auf einer langen Papierfahne, die auf einem Tapeziertisch aufgerollt ist. Alle Namen gehören zu Schülern der Evangelischen Schule Berlin-Zentrum, alle haben damit einen Offenen Brief unterschrieben, in dem klare Forderungen formuliert sind.
Schulen sollen „Orte zum Wohlfühlen“ sein, Schüler wollen „mitentscheiden“, was und wie sie lernen, und sie fordern Respekt von Erwachsenen. Formuliert hat den Brief der so genannte „Bürgerrat Bildung und Lernen“, Kern des bundesweiten Projekts „besserlernen“, in dem Schüler und Lehrer Probleme des Schulsystems analysiert und Lösungsvorschläge erarbeitet werden.
Der Offene Brief wurde zuerst in Berlin vorgestellt
Am Donnerstag ist der Offene Brief in der Evangelische Schule Berlin-Zentrum vorgestellt worden, als bundesweiter Start der Unterschriftenaktion. In den nächsten Monaten werden an allen Schulen in Deutschland Signaturen von Schülern gesammelt.
Die Unterschriften der Schüler der Evangelischen Schule Berlin-Zentrum wurden am Donnerstag Karin Prien (CDU) übergeben. Die Kultusministerin von Schleswig-Holstein leitete in Berlin die aktuelle Kultusministerkonferenz.
Ein Schüler fordert mehr Freiräume für Lehrer an staatlichen Schulen
In der Evangelischen Schule Berlin-Zentrum saßen am Donnerstag Vormittag auch Politiker, allerdings Vertreter von Parteien des Berliner Abgeordnetenhauses. Sie diskutierten mit Schülern über aktuelle Probleme und Forderungen.
Wir brauchen mehr Räume zum Lernen und zur Erholung“
Ein Schüler bei der Diskussion mit Berliner Politikern
Die Themen waren vielfältig. Ein Schüler beklagte sich, dass einige Lehrer an staatlichen Schulen, anders als an der Evangelischen Schule Berlin-Zentrum, zu wenig Freiräume für eigene Entscheidungen hätten. Ein anderer Schüler forderte eine „Feedback-Schleife“. Er erwartet mehr Rückkopplung der Lehrerschaft und der Bildungsverwaltung auf aktuelle Themen. So sollten Schüler mehr Einfluss darauf haben, wie der Lehrplan gestaltet wird und was Schüler lernen wollten. Zudem erwarte er angemessene Reaktionen auf Schülerbeschwerden.
Welche Bedeutung haben Ganztagsschulen?
Ein weiterer Schüler versteht den Sinn und Zweck von Ganztagsschulen nicht, wenn jemand dort auch noch nach dem Schulschluss Hausaufgaben erledigen müsse. Auch die Forderung nach einem späteren Schulbeginn für Schüler ab einem gewissen Alter kam auf. Zudem wünschten sich mehrere Schüler mehr Rückzugsräume in Schulen; zum Lernen und zur Erholung.
Dennis Buchner (SPD), der Präsident des Abgeordnetenhauses, sagte, beim Schulbau sei die Landes-Regierung „gar nicht schlecht dabei“; er verwies auf das Schulsanierungsprogramm. Die wichtigste Aufgabe sei es dennoch, Schulen mit genügend Räumen zu bauen, in denen sich Schüler zurückziehen könnten.
Wichtig sei auch die Antwort auf die Frage: „Wer landet wo und wie kann man eine jeweils optimale Förderung erreichen?“. Ein erster Schritt sei es, in der jeweils eigenen Schule zu beginnen. Man solle sich überlegen, was man dort verbessern könne und dabei die Schulkonferenz einbinden. Den auch erhobenen Vorwurf, das Bildungssystem sei am Ende sehe Buchner „so nicht“.
CDU-Politikerin beklagt das Fehlen von Mut
Katharina Günther-Wünsch, die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, beklagte, dass der Mut zum Loslassen alter Gewohnheiten und zu Veränderungen fehle. Man brauche Vertrauen in Schulleitungen, die sich eigene, jeweils passende Lösungen überlegen könnten. „Aber das Schulsystem ist konservativ tradiert“, sagte Katharina Günther-Wünsch, die selber eine Schule geleitet hatte.
Bei Ganztagsschulen müsse man über eine optimale Rhythmisierung des Alltags zwischen Lernen und Entspannung reden. Zudem forderte Katharina Günther-Wünsch, man solle doch Vereine mit deren Programmen verstärkt in den Schulalltag einbinden, damit Schüler nicht erst nach Schulende in den Klubs aktiv werden könnten
Marianne Burkert-Eulitz, die bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, sagte, sie könne den Frust der Schüler nachvollziehen. „In der Schule muss mehr Mitsprache möglich sein.“
Grünen-Politikerin dämpft Hoffnungen auf Ende des Lehrermangels
Bei der Zahl der Lehrer sei man „ein ganzes Stück zurück“. Aber es sei auch klar, dass man trotz aller Anstrengungen „nicht schon morgen genügend Lehrer und Lehrerinnen hat“. Ganz klar sei aber auch eins: „Sinn und Zweck von Ganztagsschulen ist es nicht, dass man zu Hause auch noch Hausaufgaben macht.“
Das Projekt „besserlernen“ ist eine Initiative der Bonner „Montag Stiftung Werkstatt“. Insgesamt 200 Schüler und rund 700 Erwachsene im ganzen Bundesgebiet haben den Offenen Brief und die darin enthaltenen Forderungen an die Politik ausgearbeitet.
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