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Verstehen sich gut: Peer Steinbrück und Florian Schroeder treten gemeinsam auf der Bühne auf.

© Mike Wolff

Peer Steinbrück als Unterhalter: „Wir machen keine Witze“

Peer Steinbrück war Ministerpräsident, Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat. Jetzt geht er mit dem Kabarettisten Florian Schroeder auf Tour - am Sonnabend in Berlin. Ein Gespräch.

Herr Schroeder, die aktuelle Situation der SPD mit ihrem Messias auf dem schlitternden „Schulzzug“ ist eigentlich eine Steilvorlage für Kabarettisten. Welcher Gag würde Ihnen ad hoc einfallen?

Schroeder: Mich hat gewundert, dass der Schulzzug entgleist sein soll. Eigentlich kann nur ein Zug entgleisen, der schon mal gefahren ist. Es gab aber nur einen kurzen Versuch anzufahren, aber man ist ja nicht mal aus dem Bahnhof wirklich herausgekommen. Es gab nur diesen kurzen Hype. Da wird einer hochgejazzt und im nächsten Moment ist alles vergessen. Diese Extreme sind problematisch.

Das ist nicht sonderlich witzig.

Schroeder: Komik ist Tragik in Spiegelschrift, sagt die Band Freundeskreis. Ich beobachte bei mir selbst und in der Unterhaltungsbranche allgemein, dass sich aufgrund der Weltlage Momente der Ernsthaftigkeit einstellen. Es wird mehr hinterfragt, weniger bloß „gemeint“. Das ist mir deutlich lieber, als wenn wir uns über Merkels Gesichtszüge lustig machen.

Steinbrück: In unserem Programm machen wir keine Witze. Wir spiegeln Politik mit einer gewissen Ironie und auch mit einer Bereitschaft, etwas zu verfremden, um damit Politik klarer zu machen.

Den Deutschen wird immer wieder vorgeworfen, sie seien ein humorloses Volk. Würden Sie diese Einschätzung aus Ihrer Sicht als Politiker teilen?

Steinbrück: Es ist schwer, Kollektiven Adjektive zuzuordnen, aber ich bin nahe dran, das zu bestätigen. Ich weiß nicht, ob das mit der deutschen Romantik oder dem deutschen Idealismus zu tun hat, aber wir sind gelegentlich sehr ernst. Eine Mischung aus mediterraner Leichtfüßigkeit, britischer Ironie und skandinavischem Pragmatismus stünde uns gut.

Schroeder: Ich finde, der Humorstandort Deutschland hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Das Klischee vom humorlosen Deutschen stimmt nicht mehr. Unser Problem ist das Abgründige, der schwarze Humor. Da sind schon die Österreicher bedeutend weiter. In Sachen Ironie sind wir immer noch ein Entwicklungsland. Die Reaktion darauf ist eine Jugend, die sich fast nur noch ironisch ausdrückt.

Ironisch gemeint hatten Sie, Herr Steinbrück, eigentlich auch den Mittelfinger, den Sie im Wahlkampf 2013 in einem Bilder-Interview gezeigt haben.

Steinbrück: Das hat mich bei der Wahl zwei Prozent gekostet. Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der wünscht sich einen kantigen, manchmal provozierenden Politiker. Aber diese – vor allem jungen – Menschen waren 2013 in der Minderheit. Insofern war dieser Fingerzeig ein Fehler.

Herr Schroeder, Sie als Profi, wo liegen denn die Grenzen für einen Satiriker?

Schroeder: Es gibt keine objektiven Grenzen, nur subjektive. Meine sind Stiltabus, wie zum Beispiel Behindertenwitze um ihrer selbst willen, generell finde ich humoristisches Nach-unten-Treten immer schlecht. Da sollte man die Finger von lassen. Ansonsten ist die Toleranzgrenze aber sehr weit, selbst von Politikern hört man da wenig Widerspruch. Nur die AfD ist komplett humorbefreit.

Finden Sie es denn in Ordnung, wenn man die Spitzenkandidatin der AfD, Alice Weidel, als „Nazischlampe“ bezeichnet?

Schroeder: Absolut, das ist Satire! Die „Nazischlampe“ war eine Antwort von „Extra 3“ auf den Satz von Frau Weidel, die politische Korrektheit gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte. Wer das sagt, muss damit rechnen, dass der Satiriker durch diese offene Tür geht und in bester abendländischer Konsequenzlogik zeigt, wie die Welt aussieht – ganz ohne politische Korrektheit.

Steinbrück: Ich kann diese Argumentation nachvollziehen, aber ich würde widersprechen. Es gibt Stilgrenzen. Die muss jeder für sich selbst entscheiden.

Sie beide trennen also Stilgrenzen, aber auch 32 Jahre und als Hanseat und Badener geografisch ganz Deutschland. Wie haben Sie dennoch zusammengefunden?

Steinbrück: Herr Schroeder hat mir schlicht und einfach einen Satz geklaut.

Schroeder: „Hätte, hätte, Fahrradkette.“ Er behauptet, den Satz erfunden zu haben. Der Satz war 2013 schon ausgelutscht.

Steinbrück: Unsinn! Ich habe diesen Satz bereits aufgegriffen, als Sie noch gar nicht auf der Welt waren – in den 50er Jahren. Dann war er lange eingeschlafen, ich habe ihn revitalisiert, Schroeder hat ihn mir geklaut und hat ihn zu einem Buchtitel gemacht. Darüber habe ich mich künstlich – Achtung! – empört und ihm einen Brief geschrieben.

Klingt nach keinem guten Start.

Schroeder: Wir hatten ja schon einen gemeinsamen Auftritt im September in meiner radioeins-Satireshow ...

Steinbrück: Ich erinnere mich dunkel.

Schroeder: Und ich erinnere mich, dass wir den Zeitplan über Bord werfen mussten, um den Meister auf die Bühne zu bekommen. Es gab kein Vorgespräch, kein Dossier, nichts. Aber er kam auf die Bühne und es wurde eines der lustigsten Gespräche, das ich je geführt habe.

Kabarett statt Wahlkampf?

Themen des Programms: Wahlkampf, Populismus, aber auch ein Pinot-Grigio-Test.
Themen des Programms: Wahlkampf, Populismus, aber auch ein Pinot-Grigio-Test.

© Mike Wolff

Welche Themen wollen Sie auf Ihrer Tour ansprechen?

Schroeder: Wir wollen einerseits spielerische Elemente, wie einen Pinot-Grigio- Test, bei dem wir so viel Weißwein trinken, bis wir die Fünf-Euro-Flasche herausschmecken. Wir werden aber auch über das Verhältnis von Entertainment und Politik, Populismus und über den Wahlkampf sprechen. Wir wollen das Leichte und das Schwere verbinden – eine in Deutschland eher seltene Koalition.

Stichwort Wahlkampf. Was würden Sie der SPD denn aktuell empfehlen, Herr Schroeder?

Steinbrück: Das ist jetzt die Frage, bei deren Antwort ich in eine ecuadorianische Botschaft flüchten müsste.

Schroeder: Ich würde der SPD Durchhaltevermögen wünschen, und, vielleicht zwischendurch – und auch wenn es irritierend ist und gegen den Zeitgeist – Inhalte statt Schlagzeilen zu liefern. Martin Schulz empfehle ich größtmögliche Distanz von der Basis.

Sie wollten ja auch Beinfreiheit, Herr Steinbrück.

Steinbrück: Das ist ein politischer Sehnsuchtsort geworden. Ich habe das Wort erstmals einen Tag nach dieser strategisch glänzend vorbereitenden Nominierung zum Kanzlerkandidaten Ende September 2012 auf einem Landesparteitag der SPD in Münster benutzt. Da gab es sofort Grummeln. Man braucht als Spitzenkandidat die Bereitschaft der eigenen Leute, dass man vorneweglaufen kann und nicht nur die Parteilieder absingt.

Auf welche inhaltlichen Punkte sollte Martin Schulz setzen?

Steinbrück: Die SPD wird von ihrer DNA nie abweichen können, was soziale Gerechtigkeit betrifft. Das ist sicher eine notwendige Bedingung, um Wahlen zu gewinnen, aber es ist keine hinreichende. Unsere Gesellschaft besteht nicht nur aus Bürgern, die sich benachteiligt fühlen, die nach einer notwendigen Korrektur ungerechter Verhältnisse verlangen, sondern die Zukunftslösungen erwarten.

Die SPD schwächelt chronisch. Ziehen Sie deshalb Kabarett dem Wahlkampf vor?

Steinbrück: Ich bin von der politischen Bühne abgetreten und wechsele für drei Veranstaltungen das Metier. Wenn man von der Seitenlinie auf den Platz ruft, mögen das die Spieler ganz offensichtlich nicht, selbst wenn es nicht unflätig ist.

Sie wurden also auch nicht gefragt, ob Sie der Partei beim Wahlkampf helfen?

Steinbrück: Ich wurde nicht gefragt, auch nicht zu meinen Erfahrungen 2013, aber darüber bin ich auch nicht beleidigt. Ich kann das gut verstehen.

Herr Schroeder, wollen Sie denn Wahlkampf machen? Im Vorwort Ihres neuen Buches prangern Sie beispielsweise die ungerechte Bezahlung von Frauen an – sozialdemokratischer Stoff.

Schroeder: Der Gender Pay Gap ist ein großes Thema. Klassisch weibliche Berufe werden viel schlechter bezahlt. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, dass man für die gleiche Arbeit das gleiche Geld bekommt. Da braucht man als Kabarettist keine zwanghafte Pointe anzuhängen.

Trotzdem noch eine zwanghafte Pointe zum Schluss: Über welchen Witz haben Sie zuletzt gelacht, Herr Steinbrück?

Steinbrück: Der war unter der Gürtellinie, den kann ich nicht erzählen. Ich habe aber eine Fabel: Eine Mutter geht mit ihrem kleinen Kind im Winter an einem Fluss spazieren. Das Kind spielt am Ufer und fällt in den reißenden Strom. Ein Mann sieht das, reißt sich alle Kleider vom Leib und springt in den eisigen Fluss, rettet das Kind und bringt es zur Mutter zurück. Darauf fragt diese: Und wo ist die Mütze? Diese Erfahrung habe ich in der Politik häufig gemacht, wo man Tage und Nächte für eine Lösung gekämpft hat – und dann kommt ein Journalist und fragt: Wo ist die Mütze?

Trotzdem sprechen und lachen Sie noch immer mit uns.

Steinbrück: Die Lage ist viel zu ernst, um darüber nicht auch lachen zu können. Ich kann auch über Journalisten lachen – und auch über mich selbst. Manchmal.

Peer Steinbrück und Florian Schroeder treten am 1. Juli im Admiralspalast auf. Die Vorstellung ist inzwischen ausverkauft. Das Interview führte Felix Hackenbruch

Florian Schroeder im Interview: "Ich finde, der Humorstandort Deutschland hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt."
Florian Schroeder im Interview: "Ich finde, der Humorstandort Deutschland hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt."

© Mike Wolff

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