zum Hauptinhalt

Berlin: „Wir wollen eine Berliner Patientenbeauftragte“

Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner kämpft weiter für ein Sozialticket und ist gegen Freigabe von Cannabis

Die Klagen über die Belastungen durch die Gesundheitsreform reißen nicht ab. Hat das Land Möglichkeiten, die Folgen für sozial schwache Patienten abzufedern?

Besonders bei Sozialhilfeempfängern zeigt sich, dass sie sich die Gesundheitskosten vom Munde absparen müssen. Nehmen wir an, dass ein Hilfeempfänger zum Arzt geht und dort die Praxisgebühr zahlen muss und dann vielleicht noch Medikamente verschrieben bekommt. Wenn das alles in einem Monat kommt, dann ist er pleite. Der einzige Weg, die negativen Auswirkungen der Gesundheitsreform abzumildern, führt dann erneut über die Sozialhilfe. Dann muss man im Falle einer Notsituation eine Sonderleistung für den Sozialhilfeempfänger genehmigen. Wir haben eine Verantwortung für diese Menschen und können nicht einfach sagen, dass der Bund das Gesetz gemacht hat.

Begrüßen Sie, dass die Bundesregierung jetzt eine Patientenbeauftragte berufen hat, die verunsicherte Patienten beraten und gleichzeitig ihre Anliegen in der Politik vertreten soll?

Die Stärkung der Patientenrechte ist ein guter Ansatz der Gesundheitsreform. Eine Patientenbeauftragte auf Bundesebene ist dafür aber zu wenig. Deshalb wollen wir auch in Berlin noch in der ersten Hälfte dieses Jahres einen Patientenbeauftragten installieren. Denn dezentral ist bürgernäher.

Welche Aufgaben soll der Beauftragte haben?

Möglich wäre ein Ombudsmann oder eine Ombudsfrau, die Patienten bei Problemen berät. Oder jemand, der die Probleme sammelt und in den politischen Diskussionen die Patienteninteressen vertritt. Ersteres wäre zwar wünschenswert, aber nicht finanzierbar. Es wird sicher kein Problem sein, einen ehrenamtlichen Patientenvertreter zu finden und dafür ein Büro auszustatten. Aber zusätzliche Beratungskapazitäten zu finanzieren, das wird kompliziert. Und ich will auch keine Parallelstrukturen in Berlin aufbauen, denn schließlich gibt es ja schon viele Patientenberatungen, bei der Kassenärztlichen Vereinigung, der Ärztekammer oder bei den Krankenkassen zum Beispiel. Und die sollte man aus der Beratungspflicht auch nicht entlassen. Unsere Aufgabe ist es eher, die vorhandene Beratung zu qualifizieren und die Angebote zu koordinieren.

Berlin hat in diesem Jahr den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz. Welche Themen wollen Sie in die Diskussion einbringen?

Das Thema Gesundheit und Migranten ist mir sehr wichtig. Ich möchte es gern zum Leitthema der Gesundheitsministerkonferenz machen. Denn das ist ein Problem, das alle Länder haben. Trotzdem findet hier wenig Erfahrungsaustausch statt. Da ist zum Beispiel das Problem der älter werdenden Migranten. Sie benötigen eine spezielle Versorgung, zum Beispiel in den Pflegeheimen. Da bei ihnen eine andere Besuchskultur herrscht, müsste in den Heimen Platz vorgesehen werden für Großfamilien, die ihren Angehörigen besuchen und dort gleich einen halben Tag oder länger bleiben wollen. Es geht auch darum, das Pflegepersonal für die speziellen kulturellen Anforderungen bei pflegebedürftigen Migranten zu schulen. Und auch die Gesundheitsversorgung der Migranten-Kinder ist ein spezielles Problem. So sind nach unseren Daten türkische Kinder überproportional oft fettleibig.

Dabei könnten Ärzte und Pflegepersonal aus den Herkunftsländern helfen. Doch ihre Ausbildung wird hier oft nicht anerkannt.

Dass Ärzte und Pflegekräfte, etwa aus osteuropäischen Ländern, hier nicht arbeiten dürfen, ist ein Verlust, denn deren Leistungen sind für die Gesundheitsversorgung von Migranten aus jenen Ländern unverzichtbar. Gerade aus Russland kommen immer noch sehr viele Menschen nach Berlin. Und außerdem brauchen wir sie auch für die medizinische Versorgung zum Beispiel in Brandenburg. Dort herrscht ein eklatanter Ärztemangel. Da böte sich zum Beispiel russischstämmigen Ärzte eine Perspektive. Deshalb setzte ich mich dafür ein, dass deren Abschlüsse hier in Deutschland anerkannt werden und sie hier arbeiten können.

Die Grünen und die FDP fordern die Freigabe von Cannabis. Wie stehen Sie dazu?

Für mich war es immer ein wichtiges Thema, Cannabis-Kosum zu entkriminalisieren. Deswegen bin ich für eine Veränderung der Grenze für den Eigenbedarf, unter der kein kostspieliges Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss. Derzeit gilt in Berlin die Grenze von sechs Gramm Cannabis. Ich kann mir vorstellen, dass Berlin hier Schleswig-Holstein folgt und die Grenze auf 30 Gramm erhöht. Ich teile die Expertenmeinung, dass Cannabis keine Einstiegsdroge ist. Aber eine generelle Freigabe von Cannabis lehne ich ab. Ich bin Gesundheitssenatorin, deshalb hat Gesundheitsschutz für mich Priorität, und der ist bei Cannabis ebenso wie bei Alkohol oder Nikotin gefährdet.

Die BVG hat das Sozialticket abgeschafft, im April folgen das Arbeitslosen- und Seniorenticket. Ist Ihre Idee eines verbilligten Monatstickets für sozial Bedürftige ad acta gelegt?

Ich habe das durchrechnen lassen und werde das Problem Sozialticket noch einmal im Senat vorlegen. Es gibt schon jetzt enorme Probleme auf den Sozialämtern. Der Verwaltungsaufwand für die Sozialhilfeempfänger, die ein BVG-Ticket oder Einzelfahrscheine beantragen, hat sich verstärkt. Wir schlagen vor, dass alle diejenigen, die von der Rundfunk-Gebühr befreit sind, ein verbilligtes Monatsticket für 39 Euro erhalten. Das sind in Berlin etwa 200000 Personen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false