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© Kitty Kleist-Heinrich

Zum Weghören: Wohnen neben der Stadtautobahn

Die Stadtautobahn bringt Tempo in den Berliner Alltag. Nur wohnen möchten die wenigsten in der Nähe. Viele halten es trotzdem aus.

Die Haustür ist verrammelt, die Fenster sind eingeschlagen. Über den Hinterhof, wo früher Kinder gespielt haben, fahren jetzt die Autos vom Stadtring zur Buschkrugallee, dicht vorbei am akkurat halbierten Seitenflügel. Steckdosen und Kabel kleben noch am Putz der Außenwand, die mal Innenwand war. Vielleicht haben sie einfach vergessen, das 100-jährige Haus an der Bürgerstraße in Neukölln vollständig abzureißen. Nun klafft hier eine Wunde, die noch nicht vernarbt ist.

Auf dem Stadtplan zieht sie sich wie eine Hauptschlagader durch das Gewebe der Stadt. Häuser, Straßen und Plätze hat sie verschlungen und durch Beton, Lärm und Abgase ersetzt. Die Stadtautobahn ist nichts für Ästheten und Flaneure. Wer sich’s leisten kann, wohnt auf Distanz und schaltet das Gewissen aus, wenn er sie benutzt. Für Distanzbewohner ist die Stadtautobahn ein Gewinn. Viele von ihnen, wahrscheinlich die schweigende Mehrheit, haben nichts dagegen, wenn die Planer wieder über Kleingärten, Hinterhöfe und Stadtstraßen hinwegzeichnen, um die A 100 nach Treptower Park und Friedrichshain zu verlängern. Aber was ist mit den Nahbewohnern, den Stadtring-Nachbarn?

Die Bürgerstraße in Neukölln ist auf dem Stadtplan schon Autobahn-rot eingefärbt. Schlimm, schlimm, denkt der Betrachter, so nah am Fernverkehr, aber in der Kioskkneipe von Andreas Kröger sitzt ein etwas verknitterter Stahlbauer vor seiner Molle, seit einer Ewigkeit hier zu Hause, und erzählt von den Lastwagen, die früher an seinem Haus vorbeidonnerten. „Mensch, die sind da wie Raketen angekommen.“ Jetzt wirkt die Bürgerstraße wie verkehrsberuhigt. Kioskinhaber Kröger ist dagegen kein Autobahnfan. Viele Geschäfte – zuletzt Schlecker und Wienerwald – seien verschwunden, Läden stünden leer. Dafür gebe es nun jede Menge Durchgangsverkehr. Hauptschuldiger am Niedergang sei aber das Einkaufszentrum „Neukölln-Arcaden“.

Die Trasse durch Neukölln und runter nach Schönefeld, die A 113, ist noch jung. Hier wurde das Betonband mit äußerster Sorgfalt verlegt, mit Lärmschutzwänden verhüllt oder unter der Erde versteckt. Einer, der früher gegen die Autobahn war, Thomas May aus Späthsfelde, ist nun dafür. „Viele hier sind umgeschwenkt“ – auch weil die Lärmschutzwand wegen ihres Protests von sechs auf neun Meter erhöht worden sei.

Über dem Britzer Autobahntunnel entstehen jetzt „Townhouses“ an einem neu angelegten Park. Autoverkehr gibt es kaum. Die Sozialdaten der Gegend befinden sich am unteren Ende der Berliner Skala, „das hat mit dem Bau der Autobahn aber wenig zu tun“, sagt Ann-Kristin Rolfes vom Sanierungsträger BSG. Eher damit, dass sie lange Zeit nicht gebaut wurde und diese planlose Zeit private Investitionen behindert habe. Wo jetzt der westliche Tunnelmund Millionen von Autos verschluckt, stand 15 Jahre lang, bis Mitte der 90er Jahre, eine nie in Betrieb genommene Autobahnbrücke, an deren Präsenz sich der Streit um Fluch oder Segen des Stadtrings entzündete. Bis die Brücke wieder abgerissen wurde. Allein für den Abschnitt Neukölln wurden 100 Millionen Mark für den Kauf von Grundstücken und Entschädigungen für abgerissene Häuser ausgegeben.

Bevor der Stadtring kam, verlief hier die Germaniastraße, die „begann am Zoo und endete in Neukölln“, erinnert sich ein Hausbesitzer, der in den 70er Jahren im östlichen Tempelhof siedelte. „Das war Hauptverkehrsstraße, mit Bushaltestellen, einer Tram, vielen Geschäften und einer großen Post.“ Damals war man Stadt, „heute sind wir Dorf“, die Bacheracher Straße ist Sackgasse, die Geschäfte sind fast alle verschwunden. Von der Autobahn selbst „merken wir kaum was“.

Gegenüber liegt eine große Wohnanlage aus Vorkriegsjahren. Die Autobahn höre er bei offenem Fenster, aber das störe ihn weniger als die Staus am Britzer Tunnel, sagt Postbote Markus Gruhl. „Die Autobahn ist immer voll. Ich dachte, es würde sich entspannen mit der Anbindung nach Schönefeld.“ Viele Bewohner seien weggezogen, sagt die Friseurin, aber eher wegen der Sanierung und höherer Mieten.

An der Schaffhauser Straße blicken die Bewohner direkt auf die Lärmschutzwand. Hier sind die Mieten günstiger. Enes Mahmutovic „aus Ex-Jugoslawien“ zahlt für seine 75 Quadratmeter 500 Euro warm. Er hatte zwei Jahre lang auf einer Baustelle am Flughafen zu tun und konnte schnell über die Autobahn pendeln. Trotzdem hält er die A 100 eher für einen Fluch. „Wenn Lastwagen vorbeidonnern, zittern drinnen Türen und Fenster.“ Wegziehen will er trotzdem nicht. „Schöne Gegend hier“ – bis auf die Autobahn eben.

Aus der Stadtentwicklungsverwaltung ist zu hören, die Autobahn entlaste die angrenzenden Quartiere vom Verkehr. Die Gegner erwidern, die Autobahn ziehe erst den Verkehr in die Stadt. Für beide Positionen spricht einiges. Und was ist mit dem Vorwurf, die Autobahn durchtrenne und zerstöre lebendige Kieze?

Etwa Friedenau. Hier entstand in den 60er Jahren die Westtangente als erster Teilabschnitt einer gigantischen, nie realisierten Autobahnerschließung der gesamten Stadt (siehe Beitrag unten). Mit einem kurzen Tunnelabschnitt, aber ohne jeden Lärmschutz. Wer in der Rembrandtstraße im zweiten Stock wohnt, kann den Autofahrern ins Seitenfenster gucken. Das macht Meikel Hübner natürlich nicht. Seit dem Sommer wohnt er hier, weil er wegen Familiengründung eine größere Wohnung brauchte und die Eltern seiner Freundin hier wohnen.

So sagen es viele hier. Aymen Messaoud, 23, ist mit seiner Familie an die Westtangente gezogen, 4 Zimmer für 700 Euro. „Am Rathaus Steglitz kostete die Miete zuletzt 1300 Euro.“ Nachts, bei geschlossenem Fenster, hört er nur die S-Bahn. Jasmin, angehende Erzieherin, und ihre Freundin Amel, BWL-Studentin, finden nichts dabei, an der Autobahn zu wohnen. Amel sagt: „Ich hör ja eh meistens Musik“, mit Stöpseln im Ohr.

Die Häuser direkt an der Autobahn wirken gepflegt und voll belegt. Die Besitzerin einer Eigentumswohnung erzählt von viel Sonne, schönen Stuckzimmern und einer tollen Hausgemeinschaft. „Die Autobahn blenden wir aus.“ Eine Fünf-Zimmer-Altbauwohnung hätten sie sich nur hier leisten können. Der einzige Schandfleck der Gegend ist das Eckhaus am Dürerplatz. Die Haustür ist zerstört, der Flur mit Schmierereien übersät. Dort wohnt Leonid Boguslavski, Leiter eines Pflegedienstes. Wegen der Verwahrlosung werde er bald ausziehen, nicht wegen der Autobahn. Als er einzog, 1994, sei noch alles in Ordnung gewesen. Da gab es die Autobahn schon 30 Jahre.

In den verrauchten Kiezkneipen sind alle der Meinung, der Mensch sei durch Betonschneisen und Autokolonnen nicht dauerhaft zu erschüttern. „Man hört det jar nich mehr.“ Im „Dürer-Eck“ sitzen gebürtige Friedenauer, einer vermisst die brummenden Flugzeuge von Tempelhof, der Wirt sagt: „Wegen der Autobahn hat noch keiner gemeckert.“ Die ergrauten Männer räumen mit einem Vorurteil auf: „Geteilt war Friedenau schon immer, durch die Eisenbahn.“ Außer Lagerplätzen und Gewerbehallen sei da nicht viel verschwunden, als die Betontrasse kam.

Fast einsam wirkt da der Protest von Frau Voss, die mit Hündchen und Pelzmantel durch den Lärm der Westtangente spaziert. Die mit einem Arzt verheiratete Krankenschwester findet die Autobahn „echt störend“. Nach 13 Jahren wird sie ihre 180-Quadratmeter-Wohnung (für 700 Euro Miete) aufgeben und ins ruhige, autobahnferne Schmargendorf ziehen. Das haben sie davon, die Autobahnbauer.

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