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Impfungen können Leben retten. Die Immunisierung gegen Diphtherie erhalten Kinder allerdings bereits im Babyalter.

© Getty Images/SeventyFour

Zehnjähriger in Berlin an Diphtherie gestorben: Schuld sind nicht die Eltern, sondern die Falschinformationen der Ärzte

Nach dem Tod eines ungeimpften Schülers einer Waldorfschule geben viele dessen Eltern die Schuld. Doch der wahre Skandal sind die Strukturen, die die Katastrophe ermöglicht haben.

Anna Pannen
Ein Kommentar von Anna Pannen

Stand:

Der zehnjährige Berliner Schüler, der im Oktober an Diphtherie erkrankt ist, ist tot. Gestorben an den Folgen der Krankheit – einer Krankheit, die in Europa als ausgerottet gilt und gegen die mehr als 90 Prozent der Deutschen geimpft sind. Dieses Kind war es nicht.

Sein früher Tod war vermeidbar. Es liegt nahe, den Eltern die Schuld dafür zu geben, wie es derzeit in vielen Online-Kommentarspalten geschieht. Doch das wäre ungerecht. Diese Eltern waren mit Sicherheit davon überzeugt, das Richtige zu tun und die Gesundheit ihres Kindes zu schützen, als sie sich gegen eine Impfung entschieden.

Dass sie zu dieser Überzeugung gelangen konnten, ist der eigentliche Skandal.

Falsche Behauptungen werden nicht sanktioniert

In Deutschland gibt es keine inhaltlichen Vorgaben für die pädiatrische Impfberatung. Zwar müssen Kinderärzte Eltern laut Bundesärztekammer über den sogenannten medizinischen Standard aufklären. Wie diese Aufklärung genau aussehen soll, steht jedoch nirgendwo. Denn hierzulande wird die Therapiefreiheit hochgehalten – ein Grundsatz, der besagt, dass Ärzte aufgrund ihrer Kompetenz weitgehend selbst entscheiden können, welche Behandlung sie ihrem Patienten vorschlagen.

Das führt dazu, dass Ärzte Krankheiten auspendeln und Globuli für wirksam erklären dürfen und dafür nicht sanktioniert werden, solange sich niemand beschwert. Es führt auch dazu, dass kaum jemand prüft, wie Kinderärzte zu Impfungen beraten.

Vorträge an anthroposophischen Krankenhäusern, in denen Mediziner behaupten, Impfungen lösten Allergien aus (was wissenschaftlich widerlegt ist) sind ebenso erlaubt wie Podcasts, in denen Ärzte öffentlich erklären, in Deutschland brauche man keine Diphtherie-Impfung. Wen wundert es da, dass Eltern solchen Erzählungen Glauben schenken?

Es sind oft unsichere Eltern mit wenig naturwissenschaftlichen Kenntnissen, die diese Falschinformationen nicht entlarven können. Ihr anthroposophisches Weltbild entsteht nicht spontan: Viele Eltern, die ihr Kind auf eine Waldorfschule geben, sind keine Rudolf-Steiner-Anhänger, sondern wünschen sich lediglich eine idyllische Lern-Atmosphäre für ihr Kind. Wer kann ihnen das angesichts eines kaputt gesparten Bildungssystems verdenken?

Dass einige Eltern Überzeugungen der behütenden Waldorfgemeinschaft übernehmen, verwundert dann nicht. Derzeit kursiert dort die Erzählung, das verstorbene Kind sei schon immer klein und schmächtig gewesen. Den meisten Verbreitern fällt wohl nicht einmal auf, wie viel von Steiners menschenverachtender Lehre in dieser Argumentation steckt.

Für niemanden ist der Tod dieses Kindes so schlimm wie für seine Eltern und Geschwister. Die Schuld für diesen Tod sollten wir aber nicht in ihren Entscheidungen suchen, sondern in den Strukturen, die sie ermöglicht haben. Sonst werden sowohl medizinische Kontrollbehörden als auch die anthroposophische Gemeinschaft ihn als tragischen Einzelfall abtun.

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