zum Hauptinhalt

Berlin: Zwei junge Wirtschaftsingenieure aus Holland beliefern Berliner Kneipen mit Bieren aus allen Ecken der Welt

Die Wintersonne wirft dicke Strahlen durchs Fenster, und der Caipirinha-Mann aus München ist da. Er stellt eine Flasche auf den Schreibtisch und lobt den Inhalt: "Caiman-Beer, in den österreichischen Skiorten sind die Leute wie verrückt darauf.

Die Wintersonne wirft dicke Strahlen durchs Fenster, und der Caipirinha-Mann aus München ist da. Er stellt eine Flasche auf den Schreibtisch und lobt den Inhalt: "Caiman-Beer, in den österreichischen Skiorten sind die Leute wie verrückt darauf." Deutsche Bierbrauer würden beim Blick auf die schlanke Flasche mit dem goldgelben Getränk verächtlich abwinken. Motto: Wieder so ein Mixgetränk für eine Saison. Doch Großhändler Jeroen Bosch denkt da anders. Er nimmt die Flasche, hält sie gegen das Licht und nickt. "Das machen wir", sagt er. Bosch unterhält mit seinem Partner Max Pierey den Spezialgroßhandel "Bierlinie", der aus einer alten Halle auf dem Pfefferberg-Gelände in Prenzlauer Berg ganz Berlin mit Bier-Spezialitäten beliefert. Soeben hat Bosch die 151. Bier-Sorte ins Angebot aufgenommen.

Im Wandregal steht "Casablanca" aus Marokko neben dem australischen "XXXX" (sprich: Four X). Dazu Biere aus Belgien, den USA, aus England, Österreich, Jamaika, Brasilien. Die Aufzählung könnte endlos weitergehen. "90 Sorten sind am Lager, 150 Biere lieferbar. Wir haben Bier aus allen Ecken der Welt, nur nicht aus der Antarktis", sagt Bosch und zeigt ins Lager, ein 60 Meter lange und 25 Meter breite Halle voller Kästen und Fässer. Der Umgang mit Bier hat hier Tradition: Unter der Lagerhalle liegen in drei unterirdischen Etagen die dunklen und längst stillgelegten Gärkeller der Brauerei Pfeffer. "Wir sind Bierverleger" sagt Jeroen Bosch. Anders gesagt: Die Angebote der "Bierlinie" richtet sich an Gastronomen und Großhändler. Es gibt einen Lieferservice für Kneipen und Restaurants, der aber auch die Spezialitäten-Abteilung des KaDeWe mit exotischen Sorten beliefert.

Jeroen Bosch und sein Partner Max Pierey sind Holländer. Die beiden jungen Wirtschaftsingeniuere - beide Mitte 30 - kennen sich seit ihrem Studium in Enschede. So fing alles an: Max Pierey war zu Beginn der neunziger Jahre in Berlin unterwegs, um für seine Diplomarbeit zu recherchieren. Und wie das so ist: Pierey hatte Lust auf ein belgisches Klosterbier, doch die Wirtsleute in Mitte und Kreuzberg zuckten nur mit den Schultern. Manch anderer wäre einfach nur frustriert gewesen. Nicht Pierey. Er hatte eine Idee und erzählte sie seinem Studienkollegen. Motto: Wenn es in Berlin kein belgisches Bier gibt, warum bringen wir es dann nicht einfach hin? Sie beluden einen kleinen Transporter mit Trappistenbier, und auf ging es. Bereits 1992 tauchten die beiden auf Straßenfesten in Berlin auf. "Wir bauten eine kleinen Stand auf, und die Berliner kosteten fleißig von unserem Kirschbier", erinnert sich Jeroen Bosch, dessen Vorname nichts anderes als eine moderne Abwandlung des alten Namens Hieronymus ist. Im Jahr 1996 gründeten die beiden Partner ihren Großhandel auf dem Pfefferberg. Inzwischen gibt es eine Filiale in Duisburg, und "Bierlinie" gilt als größter deutscher Importeur von belgischem Bier, Spezialität ist belgisches Kischbier. Oder belgisches Lambic: Das stille Bier mit dem kraftvoll erdigem Aroma und der säuerlicher Herbheit ist ein schwerer Stoff, der deutschen Genießern auf Anhieb kaum wie Bier vorkommen dürfte. Zu groß ist der Unterschied zum beliebtesten deutschen Bier, dem frischen, spritzigen, hellen, hopfenbitteren Pilsner. Tipp vom Fachmann: Mal ein Lambic am Abend ist in Ordnung. Wer mehr trinkt, riskiert Kopfschmerzen am Morgen.

Eine andere Frage ist, wo die Zukunft der Berliner Eckkneipe liegt. Wird das Angebot in zehn Jahren völlig anders aussehen als heute? Jeroen Bosch schüttelt den Kopf. "Wir wollen das gute alte Pilsner keineswegs vom Tresen verdrängen", sagt er. Das wäre ohnehin unmöglich. "Wir wollen das Angebot ergänzen, Nischen besetzen", sagt Bosch, der sich das so vorstellt: Ein Pärchen geht in die Kneipe, er trinkt wie immer sein Pils, die Liebste kriegt ein Kirschbier aus Belgien. Und er hat einen Trend in Berliner Gaststätten ausgemacht. "Wirte setzen auf exotische Produkte als Muntermacher und zum Anlocken."

Und was trinken die jungen Kreativen und Entscheidungsträger? Bosch und Pierey haben beobachtet, dass Berliner Manager und Geschäftsleute zwischen 30 und 40 beim Thema Bier zu konservativen und zurückhaltenden Entscheidungen neigen. Fazit: An den weithin bekannten und fest etablierten Marktführern kommt niemand vorbei. Liegt das am einzigartigen Geschmack? Bosch schüttelt den Kopf. "Wohl kaum, denn es gibt nur wenige Experten, die ihr Bier am Geschmack erkennen können", sagt er. Bei Blindtests einer großen deutschen Illustrierten seien sogar Brauerei-Chefs an der Aufgabe gescheitert, ihr Produkt zu erkennen.

Wer sich für Bier-Spezialitäten interessiert, ist im "Aufsturz" in der Oranienburger Straße gut aufgehoben. Der Wirt hält ständig über 30 Sorten bereit. Wer in Potsdam Champagnerbier oder Bananenbier kosten möchte, ist bei der "Hohle Birne" im Potsdamer Holländerviertel an der richtigen Adresse. Dass es auf der Grünen Woche einen "Bierlinie"-Stand (Halle 18) geben wird, versteht sich von selbst.

Michael Brunner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false