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Günter Wallraff - bekannter Enthüllungsjournalist. Nun Gesicht einer RTL-Sendung.

© Henning Kaiser/dpa

TV-Sendung über Psychiatrien: Zwei Krankenschwestern könnten zum Aus von „Team Wallraff“ führen

Reporter der RTL-Sendung „Team Wallraff“ filmten heimlich in Psychiatrien. Nun klagen zwei Krankenschwestern, in der ersten Instanz bekamen sie Recht.

Zwei Berliner Krankenschwestern könnten demnächst Pressegeschichte schreiben. Die Mitarbeiterinnen der Vivantes-Psychiatrie in Spandau hatten gegen eine Fernsehfirma geklagt, die für RTL die Erfolgssendung „Team Wallraff“ produziert.

Die Sendung wurde im März dieses Jahres ausgestrahlt, 2,74 Millionen Zuschauer haben sie gesehen. Es ging um Missstände in Psychiatrien. Die zwei Vivantes-Angestellten waren dabei während der Arbeit gezeigt worden – verpixelt, für Bekannte jedoch offenbar erkennbar. In der Sendung hieß es zudem: Stundenlang sei die Urinlache eines Patienten nicht aufgewischt worden.

Und eine der Pflegerinnen habe einem Patienten, der seine Medikamente nicht nahm, Pillen ins Essen gemischt – was nur ausnahmsweise erlaubt ist. Bereits im Mai 2019 hatte das Landgericht Leipzig zu dem Fall von der Öffentlichkeit bisher unbemerkt entschieden: zugunsten der Vivantes-Angestellten, die eine Löschung des Filmmaterials wollen.

Die verklagte RTL-Tochterfirma legte Rechtsmittel ein, bald wird die zweite Gerichtsentscheidung erwartet. Der juristische Streit findet in Leipzig statt, weil die TV-Firma dort sitzt.

Die erstinstanzlichen Gerichtsentscheidungen sind klar: Die Aufnahmen seien nicht durch Berichterstattungsinteresse zu rechtfertigen, zudem sei Filmmaterial zweifelhaft zusammengeschnitten worden.

Trotz verpixelter Gesichter erkennbar?

Der Berliner Anwalt Jan Mönikes, der die Klägerinnen vertritt, sagt: Sendungen dieser Art seien kaum noch wiederholbar. Verdeckte Aufnahmen in sensiblen Einrichtungen dürfe fortan wohl kein Sender noch machen.

Ein RTL-Reporter hatte mit versteckter Kamera gedreht und war undercover als Praktikant in der Psychiatrie tätig. Im Gerichtsbeschluss heißt es zur ersten der zwei Vivantes-Schwestern, dass sie trotz Verpixelung „erkennbar ist“, verletzte ihr „Persönlichkeitsrecht“.

Sie habe auch glaubhaft gemacht, am Tag des „Urinvorfalls“ im Urlaub gewesen zu sein. Auch die zweite Pflegekraft sei erkennbar – und habe nur mit „Wissen und Wollen der Mutter des Patienten, die gleichzeitig seine Betreuerin ist“, Medikamente in dessen Essen verabreicht. Es handele sich um ein lebensnotwendiges Antiepileptikum, sagte Mönikes, dass der Patient nur mit „Schluckhilfe“, also im Essen, einnehmen kann.

Streit um Datenschutz und Patientengeheimnis

In ihren Urteilen kommen die Zivilrichter zu dem Schluss, dass sich die Journalisten womöglich sogar strafbar gemacht hätten. Es habe die angegebenen Missstände nicht gegeben, ein Verstoß gegen das nach Paragraf 201 Strafgesetzbuch geregelte Verbot heimlicher Tonaufnahmen käme infrage. Zuvor hatte es mit Bezug auf die Sendung zwei Gerichtsentscheidungen in Köln und Leipzig zugunsten von Patienten gegeben.

Mitarbeiter im Gesundheitswesen sind zum Einhalten des Datenschutzes und dem Wahren des Patientengeheimnisses verpflichtet. Diese Gebote zu verletzen, dürften auch Journalisten nur „in sehr wenigen Ausnahmefällen“, sagt Anwalt Mönikes.

RTL dagegen verteidigt die Sendung, die bundesweit Skandale in Pflegeheimen und Fastfood-Läden aufdeckte. Nur durch investigative Recherchen habe „Team Wallraff“ auch in Psychiatrien erhebliche Missstände aufdecken können, sagte ein RTL-Sprecher, die Enthüllungen hätten öffentliche Entrüstung und politische Reaktionen hervorgerufen.

Vivantes-Psychiatrien zu 99 Prozent ausgelastet

Tatsächlich hatte Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) nach der Sendung die Lage bei Vivantes prüfen lassen. Die landeseigene Klinikkette hat inzwischen mehr Psychiatriebetten aufstellen lassen. Seit Jahren ist bekannt, dass deren Psychiatrien unter hohem Druck stehen: 2018 betrug die durchschnittliche Auslastung dort 99 Prozent. Das bedeutet, fast alle Betten sind dauerhaft belegt, dabei soll eine Auslastung von 85 Prozent nur ausnahmsweise überschritten werden.

"Team Wallraff" hatte Skandale in Fastfood-Ketten und Altenheimen aufgedeckt. Diesmal ging es um Psychiatrien.
"Team Wallraff" hatte Skandale in Fastfood-Ketten und Altenheimen aufgedeckt. Diesmal ging es um Psychiatrien.

© Gambarini/dpa

Zum Verfahren erklärte RTL: „Anders als das Gericht sind wir der klaren Auffassung, dass die Klägerinnen durch eine starke Verpixelung nicht erkennbar waren. In einem zweiten Fall geht es um die Frage, ob wir eventuell darauf hätten hinweisen müssen, dass die gezeigte mehrfache heimliche Verabreichung von Medikamenten von der Mutter des Patienten gebilligt war. Diesen Umstand halten wir hinsichtlich der rechtlichen Bewertung des Vorgangs für juristisch irrelevant, da eine Zwangsmedikation nur mit richterlichem Beschluss erfolgen darf.“ Diesen habe es nicht gegeben.

Anwalt Mönikes entgegnet, unabhängig von dieser ungeklärten Rechtsfrage, hätte RTL darauf hinweisen müssen, dass die Mutter des epileptischen Patienten der im Essen verabreichten Pille ausdrücklich zugestimmt habe. Vivantes äußert sich nicht zum Rechtsstreit.

Günter Wallraff wurde durch aufwendige Undercover-Recherchen und sozialkritische Reportagen bekannt. Für die RTL-Sendung, die seinen Namen trägt, arbeitet ein Reporterteam. Man werde auch künftig dafür kämpfen, mit – wenn nötig – verdeckten Mitteln recherchieren zu können. Bis zur Klärung des Falls ist die Psychiatrie-Wallraff-Folge in der RTL-Online-Mediathek nicht verfügbar.

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