
© dpa/Roland Witschel
Das Fußball-Buch „1974 – eine deutsche Begegnung“: Als die DDR den „Klassenfeind“ schlug
Ronald Reng lässt in „1974 – eine deutsche Begegnung“ ein berühmtes Fußballspiel wieder aufleben. Erstaunlich, wieviel Geschichte(n) um das „Spiel der Systeme“ erzählt werden können und wie weit wir heute davon entfernt sind.
Stand:
Am 13. März 1974 kam Kanzler Willy Brandt ins „Sportstudio“. Jeder Studiogast der Samstagabendshow musste auf die Torwand schießen. Eine größere Blamage für Willy Brandt war kaum auszudenken, fünf Wochen bevor in Bonn ein Spion verhaftet wurde. Der Kanzler hatte von Fußball keine Ahnung. „Kannst du für mich auf die Torwand schießen?“, bat der Vater seinen Sohn Matthias.
Ein Vorgriff auf das, was Wochen später das Land und die Welt bewegen sollte: die Fußball-WM in Deutschland, insbesondere das einzige Fußballspiel zwischen der DDR und der Bundesrepublik am 22. Juni, das „Spiel der Systeme“, dass der DDR durch das Tor von Jürgen Sparwasser den Sieg und auch Menschen zusammen brachte, die mit dem Fußballspiel an sich wenig zu tun hatten.
Man steigt ein in „1974 – eine deutsche Begegnung“ (Piper), das fulminant erzählte Sachbuch vom preisgekrönten Autor Ronald Reng, und kommt nicht mehr raus aus der Zeitreise und staunt nebenher noch, wie sich der Fußball und das Geschäft drumherum in 50 Jahren verändert hat.
Ronald Reng erzählt in der Stasi-Zentrale
Da sind Matthias Brandt und sein Vater, oder der RAF-Häftling Klaus Jünschke, der kein Fußballfan ist, aber im Sommer 74 die WM entdeckt, weil jeden Tag vielstimmiger Torjubel ertönte, den er in seiner abgeschotteten Zelle hörte. Ein kurzes Zeichen von Leben. Oder die Touristenführerin Doris Gercke, die den Tross der zur WM angereisten DDR-Fans, allesamt von der Stasi ausgesuchte „Touristendarsteller“, durch Hamburg führte.
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Oder der Autor Eckhard Henscheid, der der „FAZ“ ein Interview zur WM anbot (mit einem flammenden Plädoyer für den Spieler Bernd Hölzenbein), dass diese abdruckte und den Fußball damit kulturfähig machte – Ronald Reng hat sie alle aufgesucht und erzählt ihre Geschichten aus dieser Zeit auf anschauliche, fesselnde und kluge Weise.
Geschichte werde greifbarer, wenn die wissenschaftlichen Analysen durch die Geschichte individueller Menschen ergänzt werden, schreibt Reng.

© PETER VON FELBERT
Sein Buch „1974“, schon seit ein paar Wochen auf dem Markt, aber durch die Fußball-EM nochmals aufgeladen, ist Zeugnis gesamtdeutscher Alltagsgeschichte, lange vor der Wiedervereinigung Deutschlands. Aus einer Zeit, in der ein Fußballspiel tatsächlich noch 90 Minuten dauerte und es keine „Fanmeilen“ und kommerzielle Vereinnahmung gab.
Es gehört mit ins Berliner Bundesarchiv, in die Stasi-Zentrale (Campus für Demokratie, Ruschestraße 103), wo es der Autor am 20. Juni im Rahmen einer Diskussionsrunde mit Lothar Kurbjuweit, Ex-DDR-Fußballspieler und Teilnehmer der WM 1974, vorstellen wird. Wo es auch um die Frage gehen soll, welche politischen Signale von der Fußball-EM in Deutschland ausgehen. Das Thema der Runde: „Erfolg um jeden Preis? Fußball zwischen Kommerz und Politik“.
Ach ja, Matthias Brandt traf damals, im März ‘74, zwei mal in die Torwand (vergaß dabei vor Aufregung die Regel „Drei unten, drei oben“) , drei mal weniger als sein Idol Günther Netzer ein paar Wochen danach. Kurze Zeit später startete die WM. Auch mit viel Bernd Hölzenbein.
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