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Corona-Ausbruch in Gangelt: Virologe Streeck legt neue Daten zu umstrittener Analyse vor
Wie viele Menschen starben an oder mit Corona? Für eine frühe Untersuchung in der Gemeinde Gangelt wurde Streeck kritisiert. Inzwischen hat er die Totenscheine ausgewertet.
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Wie viele Menschen starben an einer Infektion mit Sars-Cov-2, als es noch keine Impfungen gab? Von Beginn an stand diese Frage im Zentrum vieler Überlegungen, als es um die Strenge der Einschränkungen ging. Besonders heftig wurde über eine frühe Einschätzung des Virologen Hendrik Streeck gestritten.
Dieser hatte mit seinem Team den ersten großen Ausbruch in Deutschland in der Gemeinde Gangelt untersucht, den es nach einer Sitzung des Karnevalsvereins dort gegeben hatte. Danach war er auf einen überraschend niedrigen Wert von 0,37 Prozent als Infektionssterblichkeit (IFR) gekommen – von 10.000 infizierten Menschen wären demnach 37 Menschen an dem Virus gestorben. Andere Analysen kamen zum Teil zu deutlich höheren Werten.
Die Arbeit wurde kritisiert, etwa für die geringe Zahl und den kurzen Zeitraum der untersuchten Fälle. Seither hat der Virologe die frühe Zeit noch einmal untersucht und mit seinem Team die Totenscheine in Gangelt aus der Zeit von März bis Oktober 2020 ausgewertet, dazu die Tests auf Antikörper gegen Sars-Cov-2. Das Ergebnis wurde nun im Fachmagazin „Scientific Reports“ veröffentlicht.
77 Totenscheine
Nachdem das Team alle Toten mit einbezogen hatte, die innerhalb von sechs Monaten an den Folgen ihrer Coronainfektion gestorben waren, lag die Infektionssterblichkeit höher, bei 0,67 Prozent. Die Unsicherheit ist allerdings angesichts der geringen Zahl von zwölf Toten in diesem Zeitraum immer noch hoch und das Ergebnis nicht auf Deutschland verallgemeinerbar.

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Insgesamt 104 Todesfälle gab es von März bis Oktober 2020 in der Gemeinde mit 12.597 Einwohnern. In 77 Fällen konnten die Forschenden die Toteneinscheine einsehen. Von den Verstorbenen waren 18 positiv auf das Coronavirus getestet worden, 15 waren als Coronatodesfälle gemeldet worden. Laut Analyse des Teams waren aber nur zwölf von diesen 15 ursächlich an Corona gestorben.
Sechs Menschen hatten sich infiziert, waren zunächst genesen und starben Monate nach der Infektion an verschiedenen Krankheiten. Zwei an akutem Nierenversagen, nach einer Vorgeschichte von Typ-2-Diabetes, COPD und Demenz. Ein anderer hatte an Herzinsuffizienz, COPD, Epilepsie und Korsakow-Syndrom gelitten, ein weiterer an einem fortgeschrittenen Speiseröhrenkrebs. „In den Totenscheinen dieser Fälle wurde eine zunehmende Verschlechterung des Allgemeinzustands der Patienten beschrieben, die schließlich an ihren Grundkrankheiten starben“, so schreiben Streeck und seine Co-Autoren.
Schon lange ist klar, dass es „die Infektionssterblichkeit“ nicht geben kann, da die Zahl der Toten sehr stark vom Alter der Infizierten abhängt. Laut einer großen internationalen Analyse lag die IFR in der Frühzeit beispielsweise für Menschen im Alter von 40 bei etwa 0,2 Prozent, für 70-Jährige bei 2,8 Prozent und für 80-Jährige bei 8,0 Prozent.
Inzwischen ist die Sterblichkeit, dank Impfungen und den weniger gefährlichen Omikron-Varianten, gesunken. Laut einer landesweiten dänischen Analyse sterben beispielsweise 25 von 100.000 zuvor gesunden Menschen im Alter von 61 bis 72 Jahren an einer Coronainfektion, was einer IFR von 0,025 entspricht.
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