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Eleganz und Tradition: Der Range Rover Velar ein Geländewagen? Das sieht man ihm nicht an
Mit der PS-starken Top-Version „Autobiography“ bereitet sogar die Fahrt durchs Großstadtgewühl Vergnügen. Erst recht aber ein Ausflug ins Brandenburgische.
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Eine Fahrt durchs tiefste Berlin-Kreuzberg: Enge Straße, dickes Auto, die zahlreichen Radfahrer jederlei Geschlechts hier von besonderem Selbstbewusstsein – so jedenfalls der Eindruck, wenn man sich als Autofahrer sonst eher in den Randzonen der Stadt bewegt. Mindestens 1,5 Meter Abstand halten? Aber gern, nur schießt, während wir verkehrsbedingt gemächlich dahinrollen, von hinten rechts ein wagemutiger Radler in den Spalt zu den Fahrzeugen am Straßenrand. Sicherheitsabstand? Ihm egal, dem Wagen zum Glück nicht. Unüberhörbar gibt er Alarm, zugleich sendet die zuständige Bordkamera ein Bild des Radlers auf den Touchscreen. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt!
Es ist schon beruhigend, einen reichhaltig mit solchen Finessen der Sicherheitstechnik ausgestatteten Wagen zu chauffieren, hier einen PS-starken Range Rover Velar in der üppig ausgestatteten Top-Version „Autobiography“. In vorliegenden Fall kamen wohl der Toter-Winkel-Spurassistent und das Surround-Kamerasystem, vielleicht auch das Kollisionswarnsystem Monitor zum Einsatz, allesamt sind „Autobiography“-Standard.
Ein Herrenhaus im Tudor-Stil als ideale Kulisse
Der Wagen bewies während der knapp zwei Wochen Probefahren aber noch ganz andere, eher Komfortfragen betreffende Qualitäten. Zum Beispiel bei einem Ausflug ins Brandenburgische, in den kleinen Ort Petzow am Schwielowsee, als eine hochgeschossene, spontan an historischem Ort erworbene Gartenpflanze nach Hause zu transportieren war – kein Problem im geräumigen Wageninneren, in dem selbst für langgewachsene Insassen noch viel Luft zwischen Kopf und Panoramadach bleibt.

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Petzow wurde im 19. Jahrhundert durch die Familie derer von Kaehne geprägt, reich gewordene und prompt geadelte Ziegeleibesitzer, die dem Herrgott eine von Karl Friedrich Schinkel entworfene Kirche und sich selbst ein heute hübsch renoviertes Herrenhaus im altenglischen Tudorstil spendierten. Auch der alte Schlossgarten des ehemaligen Ritterguts wurde nach Prinzipien des englischen Landschaftsgartens neu angelegt und ist zu besichtigen – die ideale Kulisse also für einen Luxus-SUV wie den Velar, britisch in den Genen wie in der Herkunft.
Auch Churchill besaß einen Land Rover
Und auf diese legt Hersteller JLR – das steht für Jaguar Land Rover – als 100-prozentige Tochter der indischen Tata Motors Limited großen Wert, hebt hervor, der Wagen sei entworfen und gefertigt in Großbritannien. Ohnehin sonnt man sich bei JLR gern im Glanze der Tradition, hat soeben die auf zehn Exemplare beschränkte „Classic Defender V8 Churchill Edition“ aufgelegt. Inspiriert ist sie von dem ebenso rustikalen wie robusten Land Rover, den der seinerzeit noch urbritische Hersteller dem damaligen Premierminister 1954 anlässlich von dessen 80. Geburtstag zum Geschenk machte.

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Die DNA des Originals steckt selbst noch in einem Range Rover Velar, aber das sieht man dem Wagen nicht mehr an. Zwar ist auch er mit seinem Allradantrieb zweifellos geländetauglich, obwohl für Stock und Stein eigentlich zu schade. So bietet er – was beim zweiwöchigen Probefahren ungenutzt blieb – übers Touchscreen als Geländemodi wahlweise „Gras/Schotter/Schnee“, „Schlamm/Spurrinnen“ oder „Sand“ an, dazu eine zweistufige Erhöhung der Bodenfreiheit und die Funktion „Wade Sensing“, die bei Überschreiten einer Wassertiefe von 55 Zentimetern protestiert.
Aber der im Fahrzeugschein als „Geländefz. Pers.bef.“ ausgewiesene SUV verbirgt all diese Fertigkeiten unter einem ausgesprochen ästhetischen, ebenso sportlichen wie eleganten Erscheinungsbild. Und so lockt er, geparkt vor dem zinnenbewehrten Backsteintor des Petzower Schlossgartens, umgehend Spaziergänger an, die neugierig nach Preis und technischen Details fragen. Einer stellt sogar erste Vergleiche mit dem Jaguar F-Pace an, den ein Bekannter fahre.

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Kein Wunder bei einer so gelungen modellierten Karosserie: Allein das Zusammenspiel der nach hinten sanft abfallenden, in einem dezent gestalteten Spoiler auslaufenden Dachlinie mit der leicht nach oben abgewinkelten, ihr gleichsam entgegenkommenden, durch die Lackierung des Testwagens noch betonten Linie der unteren Heckpartie. Nichts Überflüssiges, nicht mal die versenkbaren Türgriffe, stört hier die Harmonie der Flächen. Auch wurde für die aktuelle Modellversion der Kühlergrill neu gestaltet, den schmale, gleichfalls neuen Scheinwerfer flankieren – jeweils ausgestattet mit vier Pixel-Modulen, deren 67 steuerbare LEDs den Lichtkegel der Umgebung anpassen. Laut Hersteller weisen sie „eine mit Edelsteinen vergleichbare Optik“ auf, nun ja.
Die Eleganz des Äußeren wiederholt sich im Inneren des Wagens, auch hier gilt die „vom Prinzip des Reduktionismus geprägte Designphilosophie“. In vielen modernen Fahrzeugen bleibt beispielsweise der Touchscreen ein ästhetisches Ärgernis: Es sieht aus, als habe man ein Tablet als alles dominierenden Fremdkörper ans Armaturenbrett geschraubt. Beim Velar dagegen passt sich der sanft gebogene Bildschirm dem Untergrund harmonisch an, fügt sich mit seiner 11,4-Zoll-Diagonale gut ins Ensemble aus Bedien- und Kontrollelementen ein. Dazu erweist er sich trotz der dahinter verborgenen Funktionsfülle als erfreulich übersichtliches Instrument, nur bedarf es sicher mehr als zwei Wochen gelegentlicher Alltagsfahrten und Ausflüge, um sich mit allen Finessen vertraut zu machen.
Doch auch wenn man sich auf die Grundfunktionen beschränkt und nicht etwa erst den „Dynamik-Modus“ konfiguriert, zwecks „Anpassung verschiedener Antriebs- und Chassisparameter an die persönlichen Wünsche“ – das Fahren in solch einem Velar macht ausgesprochen Spaß. Das gilt beim behutsamen Lavieren durch Berlins Großstadtverkehr ebenso wie beim gelassenen Gondeln über Brandenburgs Landstraßen oder wenn auf der Autobahn die zur Verfügung stehenden 400 PS doch mal ausgereizt werden.

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Wobei man sich auf die auch per Head-up-Display vom Wagen eingeblendeten Angaben zur jeweils zulässigen Geschwindigkeit nicht allzu sehr verlassen sollte, ein Schönheitsfehler, den der Velar mit manchem Neuwagen anderer Hersteller teilt. Auf der Berliner Stadtautobahn empfahl er korrekt 80 km/h, blieb dabei unbeirrt aber auch, als auf den Hohenzollerndamm, eine der Hauptstraßen im Südwesten der Stadt, eingebogen wurde. Und auf der kurzen Strecke zwischen zwei geschlossenen Ortschaften der Umgebung, wo bis vor einigen Monaten Tempo 80 zulässig war, jetzt aber, durch Schilder angezeigt, nur noch Tempo 50 gilt, hielt er tatsächlich 100 km/h für möglich. Eine Unregelmäßigkeit, die wiederholt auftrat, bei verschiedenen Gelegenheiten und Orten.
„Betätigen Sie das Gaspedal sanft“
Also hieß es dann, die 400 unter der Motorhaube des Testwagens schlummernden Pferde streng zu zügeln. Das empfiehlt sich schon deshalb, weil sie, nicht überraschend, recht durstig sind. Der kleine E-Motor, der den Turbobenziner mittels des sich selbst per Rekuperation aufladenden Mild-Hybrid-Systems unterstützt, hilft da kaum weiter. Mit durchschnittlich 10,1 Liter pro 100 Kilometer wird der Wagen angegeben. Bei den Testfahrten, einem Mix aus Stadtverkehr, Landstraße und ein bisschen Autobahn, waren es sogar noch etwas mehr, selbst ohne ausgiebigen Einsatz des Fahrmodus „Dynamic“. Immerhin hält der Touchscreen einen Tipp zur Erhöhung der Effizienz bereit: „Betätigen Sie das Gaspedal sanft und gleichmäßig.“ Und es gibt den Wagen ja auch als Plug-in-Hybrid – mit vier PS mehr, aber deutlich genügsamer.
Das drehzahl- und verbrauchsreduzierte Dahingleiten durchs Grüne bereitete aber ohnehin das größte Vergnügen – „als würde man schweben“, wie die beiden Beifahrerinnen über das komfortable Fahrerlebnis schwärmten. Verständlich angesichts aktiver Geräuschunterdrückung durch das Meridian High-End-Soundsystem, das dem Testwagen ebenso als Sonderausstattung beigefügt war wie die 20-fache elektrische Verstellmöglichkeit der Vordersitze samt Memory- und Massagefunktionen. Die Fenster öffnen, um frische Luft hereinzulassen? An sich überflüssig, schließlich gehört zum „Autobiography“-Standard ein Luftreinigungssystem.
Doch bei allem in moderatem Tempo genossenen Komfort bleibt natürlich im Bewusstsein, dass man je nach Laune und Verkehrslage die Kurven auch ganz anders nehmen könnte. Für solche Situationen ist vorgesorgt, gehört doch zur „Autobiography“-Serienausrüstung auch die elektronisch gesteuerte Luftfederung. Bei einem Tempo über 105 km/h lässt sie den Wagen zur Senkung von Luftwiderstand und Benzinverbrauch automatisch um zehn Millimeter in die Knie gehen oder beim Ausschalten der Zündung sogar um 40 Millimeter – hilfreich beim Aus- und Einsteigen. Das System „Adaptive Dynamics“ wiederum überwacht 500 Mal pro Sekunde die Radbewegungen und 100 Mal pro Sekunde die Karosseriebewegungen, stellt danach permanent den Grad der Dämpfung an allen vier Rädern ein.
Ein rundum gelungenes Fahrzeug also, das die Wünsche nach Luxus, Eleganz, Komfort, Sportlichkeit und Sicherheit gleichermaßen bedient. Ob sich einer wie Petzows Rittergutsbesitzer von Kaehne, hochherrschaftliche Vierspänner gewohnt und per Zeitsprung ins Heute versetzt, dafür entscheiden würde? Gut möglich.
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