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Sibylle Ruppert: „escargot/cortège“, eine Collage von 1978.

© Gathering Cologne

Faszinierend und schockierend: Bilder von Sibylle Ruppert eröffnen die Galerie Gathering

Nach London und Ibiza eröffnet Alex Flick die dritte Dependance seiner Galerie Gathering. Zur Kölner Premiere zeigt er Sibylle Rupperts ebenso düstere wie erotische Motive.

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Es ist eine Punktlandung. Alex Flick, 38, hat sie zur Kunstmesse Art Düsseldorf im April vorgenommen und zeitgleich seine Galerie im Rheinland eröffnet. In Köln, in den ehemaligen Räumen des Kollegen Jan Kaps, der sich seinerseits ein Stück weiter im Belgischen Viertel enorm vergrößert hat.

Flicks jüngste Räume sind überschaubar, aber seine Galerie „Gathering“ umspannt mit Dependancen in London und auf Ibiza bereits ein kleines Imperium. Und die erste Kölner Ausstellung birgt Sprengstoff. Denn die Bilder von Sibylle Ruppert, die hier gezeigt werden, fordern einen in jeder Hinsicht heraus: Sie sind brutal und explizit erotisch, faszinieren und schockieren im selben Moment. Letzteres, weil man sich unwillkürlich fragt, was diese Künstlerin erlebt hat.

Messerscharfe Prothesen

Ihre fleischigen, ineinander verkeilten Gestalten stattet Ruppert gern mit messerscharfen Prothesen aus und schickt sie in Situationen, die für einige von ihnen tödlich ausgehen. Nackte Paare mit überdimensionierten Muskelsträngen und Geschlechtern scheinen in Kämpfe statt in Sex verstrickt, Gesichter sucht man vergeblich, genau wie bei dem aufgeschlitzten Oberkörper einer Frau, deren Wunde in einem deformierten Gesicht mündet. Bloß der Gaumen ist auf dem Bild „La Fente II“ (1982) zu erkennen, und wie auf den Papst-Gemälden von Francis Bacon hebt Rupperts Torso zum Schrei an. Ob diese Motive ihre eigene Verfasstheit spiegeln oder reine Phantasmen sind, kann man die Künstlerin nicht mehr fragen. Sie starb 2011 mit knapp siebzig Jahren.

Ihre Biografie liest sich turbulent: Sibylle Ruppert kam 1942 mitten im Krieg in Frankfurt auf die Welt, anschließend pendelte sie zwischen Luftschutzbunker und Kinderzimmer. Sie nahm Ballettstunden und überflügelte alle Mitschüler im Kunstunterricht. Mit Achtzehn ging Ruppert nach Paris, ihr Geld verdiente sie als Revuetänzerin, berüchtigte Quartiere wie Pigalle oder Montmartre lieferten Stoff für ihre Zeichnungen.

Zeichnen mit Inhaftierten

Französische Intellektuelle, darunter Pierre Restany oder der Maler Henri Michaux, begannen sich für das Werk zu interessieren. Mit dem Schweizer HR Giger, der die zeichnerischen Vorbilder für Ridley Scotts „Alien“-Filme lieferte, war mit Ruppert befreundet, beide faszinierte das Düstere, Bizarre. Als 1982 die wichtigste Pariser Galerie der Künstlerin schloss, gab sie Zeichenunterricht in Gefängnissen und psychischen Anstalten. Später zog sie sich aus dem sozialen Leben zurück.

Der Kreis ihrer Fans ist überschaubar geblieben. Es gibt Sammler, sagt Alex Flick, die fasziniert von Rupperts Werk alles erwerben, was auf den an Arbeiten raren Markt kommt. Auf der Art Düsseldorf hat er ein – relativ unverfängliches – Motiv angeboten und verkauft. Die Kölner Ausstellung „Indiscreet Jewels“ versammelt rund ein Dutzend Bilder, die nicht bloß Aufschluss über Rupperts Interesse an phallischen Formen und non-binären Darstellungen geben. Sondern auch ihre ungeheure Virtuosität zeigen. Oft genügt ihr ein Bleistift, um Szenen extrem plastisch und dabei unglaublich fein zu Papier zu bringen. Illustrationen zu Büchern des Marquis de Sade oder von Lautreament verweisen auf die literarischen Wurzeln der Dekadenz, bildnerisch führt eine Spur ins späte 19. Jahrhundert zu Aubrey Beardsley und von dort zum Surrealismus.

Das Potenzial der Kunst

Flicks Eröffnung mit den Arbeiten von Sibylle Ruppert ist weniger provokativ denn als Einladung zum Diskurs zu verstehen. Über die Verankerung ihres Werkes in der Geschichte und den singulären Ausdruck einer Künstlerin jenseits aller Kategorien. „Kunst hat das einzigartige Potenzial, die Zeit zu überdauern, und zahlreiche unterrepräsentierte Künstlerinnen und Künstler werden vom kommerziellen Markt noch Jahre oder Jahrzehnte später geschätzt“, hat Alex Flick kürzlich in einem Interview erklärt.

Seine Galerie hat das Ziel, solchen Werken einen angemessenen Platz zu geben. Dass er der Sohn des Mega-Sammlers Mick Flick ist, aus dessen legendären Beständen lange Werke im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen waren, ist dabei sicher kein Hindernis. Aber auch kein automatischer Türöffner: Mit großen Namen verbinden sich meist hohe Erwartungen, von denen sich der Galerist für seinen eigenen Weg ebenso freimachen muss.

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