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ARCHIV - 29.04.2021, Berlin: Ein Friseur schneidet in einem Friseur-Salon einer Kundin mit einer Schere die Haare. Von der Erhöhung des Mindestlohns in Deutschland am 1. Oktober profitieren nach einer neuen Studie rechnerisch 6,64 Millionen Menschen in Deutschland. (zu dpa «Studie: 6,64 Millionen profitieren von höherem Mindestlohn») Foto: Symbolbild Friseur/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa / Magdalena Tröndle (dpa)

Gehaltserhöhung für Millionen : Der Mindestlohn steigt auf zwölf Euro

Fast 30 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland bekommen im Oktober mehr Geld. Für Vollzeitbeschäftige macht das brutto 270 Euro im Monat aus.

| Update:

Fast 30 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland bekommen im nächsten Monat eine Gehaltserhöhung. Besonders viele sind es im thüringischen Sonneberg mit 44 Prozent. Das ist der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die weniger als zwölf Euro in der Stunde verdienen und deshalb von der Erhöhung des Mindestlohns von aktuell 10,45 Euro auf zwölf Euro profitieren. Einer neuen Studie des Wissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung (WSI) zufolge profitieren im Osten 29,1 Prozent von der Lohnanhebung und im Westen 16,1 Prozent.

570.000 profitieren in Berlin und Brandenburg

In Berlin und Brandenburg kommt der höhere Mindestlohn nach Angaben des DGB 570 000 Beschäftigten zugute, in Berlin beträgt der Anteil an der Gesamtbeschäftigung 17,8 Prozent und in Brandenburg 28,2 Prozent. In Teltow-Fläming erhalten sogar 43,1 Prozent der Beschäftigten mehr Geld von ihrem Arbeitgeber, im Saale-Orla-Kreis sind es 40 Prozent und in Vorpommern-Rügen immerhin 39 Prozent. Am anderen Ende der Skala liegen die „reichen“ Städte und Gemeinden im Westen mit viel Industrie. Die fünf Kreise, in denen die Bruttostundenlöhne eher selten unter zwölf Euro liegen, finden sich mit Ausnahme der VW- Stadt Wolfsburg (7,9 Prozent) alle in Süddeutschland: Erlangen (8,1 Prozent), der Landkreis München (9,7 Prozent), Stuttgart (10,3 Prozent) und schließlich Darmstadt mit 10,9 Prozent.

Als der gesetzliche Mindestlohn 2015 eingeführt wurde, damals bei 8,50 Euro, waren knapp vier Millionen Beschäftigungsverhältnisse betroffen. Von dem Sprung auf zwölf Euro profitieren dagegen jetzt nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rund acht Millionen Erwerbstätige, da sie derzeit weniger als zwölf Euro verdienen.

Das WSI der Böckler-Stiftung kommt dagegen nur auf 6,6 Millionen Beschäftigte auf Grundlage der Daten des Sozioökonomischen Panels des DIW. Eine Erklärung für die Differenz könnte sein, dass das Panel die Zahl der geringfügig entlohnten Beschäftigten (450-Euro-Minijobber), die in hohem Maße von Niedriglöhnen betroffen und überwiegend im Westen zu finden sind, unterschätzt. Die 6,6 Millionen seien deshalb vermutlich zu gering angesetzt, meinen die WSI-Autoren.

20 Milliarden
Zusätzliche Staatseinnahmen durch die Mindestlohnerhöhung

Fakt ist: Von dem Sprung auf zwölf Euro profitieren mindestens zwei Millionen Beschäftigte mehr als seinerzeit bei der Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro. Trotzdem gibt es in diesem Herbst keine Horrorszenarien von Arbeitgebervertretern und Ökonomen über den Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze. „Eine Prognose über die Beschäftigungswirkung der geplanten Mindestlohnerhöhung stellt sich aus heutiger Sicht als sehr schwierig dar“, schreibt das zur Bundesagentur für Arbeit gehörende IAB. Aus den Erfahrungen der bisherigen Mindestlohnerhöhungen lasse sich indes „vorsichtig schlussfolgern, dass der Mindestlohn moderat über die bisherige Höhe hinaus angehoben werden kann, ohne dass ein wesentlicher Beschäftigungseinbruch zu erwarten wäre“.

Die Mannheimer Ökonomen Tom Krebs und Moritz Drechsel-Grau haben im Auftrag der Böckler-Stiftung nur positive Wirkungen berechnet und befürchten negative Beschäftigungseffekte erst bei einem Sprung auf mindestens 13 Euro. Die zwölf Euro jedoch kosten Krebs und Drechsel-Grau zufolge zumindest langfristig keine Arbeitsplätze, sondern induzieren einen Anstieg der Produktivität (plus 1,0 Prozent), eine Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktion (1,5 Prozent) und Mehreinnahmen der öffentlichen Hand von 20 Milliarden Euro pro Jahr (Steuern und Sozialabgaben). Außerdem reduziere die Erhöhung des Mindestlohns die Zahl der erwerbstätigen Arbeitslosengeld-II-Empfänger (Aufstocker) und mithin die Sozialausgaben. Die Studie der Mannheimer liegt indes ein Jahr zurück - damals waren weder Krieg noch Rezession absehbar.

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2022 blieben die zumeist alle zwei Jahre erfolgten Erhöhungen des Mindestlohns hinter der allgemeinen Lohnentwicklung zurück. Für 2021 und 2022 hatte sich die Mindestlohnkommission, die sich paritätisch aus Arbeitgebern und Gewerkschaftern zusammensetzt, im Sommer 2020 auf vier Erhöhungen verständigt. Zum 1.1.2021 ging es hoch auf 9,50 Euro und dann in drei weiteren Schritten bis auf 10,45 Euro im Juli dieses Jahres. Die Arbeitgeber hatten sich in der Kommission auf die überplanmäßigen Erhöhungen in der Hoffnung eingelassen, das Thema Mindestlohn damit aus dem Bundestagswahlkampf heraushalten zu können. Das war ein teurer Irrtum.

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„Durch die Mindestlohnanhebungen im Jahr 2022 entkoppelt sich der Mindestlohn spürbar von der allgemeinen Tariflohndynamik. Allein im Jahr 2022 ergeben sich Steigerungen von 22,2 Prozent“, klagt das arbeitgebernahe Institut der Wirtschaft (IW) in einer Stellungnahme für den Bundestag. Verhindern konnten die Arbeitgeber den Sprung auf zwölf Euro nicht, da diese Kernforderung des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz im Koalitionsvertrag landetet und dann vom Arbeitsminister umgesetzt wurde.

Die Wirkungen der Mindestlohnerhöhung konzentrieren sich auf arbeitsintensive Dienstleistungssektoren wie Gastronomie, Logistik oder personennahe Dienstleistungen, fährt das IW fort. „In Westdeutschland wäre ein Mindestlohn von zwölf Euro eher zu verkraften als in Ostdeutschland“, weil im Westen die Arbeitsproduktivität höher ist als im Osten.

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„Unter den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen sind das Gastgewerbe und die Landwirtschaft von der Mindestlohnerhöhung mit etwa 50 Prozent mit Abstand am stärksten betroffen", ergänzt das IAB. Der Mindestlohn von zwölf Euro flankiert dabei einen Trend nach oben: Nur mit höheren Löhnen hat etwa das Gastgewerbe eine Chance, noch ausreichend Arbeitskräfte zu bekommen. Zum Beispiel Bayern: Im vergangenen März kam es im bayerischen Hotel- und Gaststättengewerbe zu einem Tarifabschluss, der für die unterste Entgeltgruppe eine stufenweise Erhöhung um insgesamt 27 Prozent auf 12,65 Euro bis April 2023 vorsieht.

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