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Grelle Farben, Reflektorstreifen, Übergröße. Luxusmodehäuser entdecken Arbeitskleidung neu.

© Parker Whitson/Unsplash

Arbeitskleidung als Modetrend: Voll reflektiert

In Frankreich dienen gelbe Westen zum Protest, doch was sollen all die Neonfarben und Schutzbrillen auf den Laufstegen?

Es war auf einem Konzert vor ein paar Wochen in Hamburg, als sich ungefähr nach der Hälfte der Show ein Foodora-Fahrer durchs Publikum schob. Die Leute ließen ihn vorbei, denn er war ja ein Foodora-Fahrer. Seine grau-rosa Windjacke leuchtete im dunklen Bühnenvorraum, geschmeidig bahnte er sich einen Weg, und das pinkfarbene Schirmmützchen wippte schon im Gewoge der ersten Reihen, als einem die Frage kam: Was macht auf einem Konzert eigentlich der Kurier eines Essenslieferdienstes?

Vermutlich das, was alle Fans auf einem Konzert machen: drängeln. Und das nach Feierabend. Er kam erstaunlich weit voran, auffällig und dreist, wie er war. Logisch war er dann doch kein Foodora-Fahrer, er trug nur die Kleidung des Lieferdienstes.

Britische Zeitungen berichteten schon vor ein, zwei Jahren, dass die reflektierende Funktionsjacke der Deliveroo-Kuriere, noch so ein Essenslieferant, auf diversen coolen Online-Modemärkten gebraucht verkauft werde, für bis zu 50 Pfund. Grelle Farben, Reflektorstreifen, Übergröße, sieht nach Arbeit aus – diese Bestandteile nähen schließlich auch Luxusmodehäuser seit einiger Zeit zur proletarischen Signal-Uniform zusammen. Bei all den neonfarbenen Warnwesten, Blaumännern und Vieltaschenhosen, in denen ganze Werkzeugkästen aufbewahrt werden könnten, aber eben nur könnten, wirken manche Laufstege wie Fachmessen für Arbeitsschutzbekleidung.

Achtung, hier bin ich

Für Calvin Klein entwarf der Chefdesigner Raf Simons eine grellgelbe XXL-Sicherheitsjacke und einen Pilotenanzug mit Reflektorstreifen, als Vorbilder für die Kollektion nannte er Feuerwehrleute und die Nasa. Louis Vuitton hat eine Art orangefarben gerippte Sanitäterweste für 2500 Euro im Angebot, und das Pariser Über-Label Vetements kooperierte mit DHL (ja, der DHL) für eine gelb-rote Kollektion. Vorgestellt wurde sie gar im Leipziger Verteilzentrum des Logistikunternehmens.

Der Reflektor-Neon-Trend war schon einmal da, in den 90er Jahren, dem Spaßjahrzehnt, an dem sich die Mode seit Langem abarbeitet. Auf Raves gingen Techno-Fans damals in Bauarbeiterwesten oder ihren teureren Design-Versionen, entworfen etwa vom Briten Daniel Poole. Der Designer hat sein einst ikonisches Label kürzlich wiederbelebt, im Angebot hat er, eh klar: neongelbe Reflektor-Pullover.

Dass nach der bunten, übergroßen Skaterkleidung die noch schrilleren Ausprägungen der 90er drankommen, ist konsequent. Am Ende eines Winters der gelben North-Face-Daunenjacken und türkisfarbenen Patagonia-Fleeces wirkt eine Warnweste auch nicht mehr so schrill. „Es fühlt sich an wie die natürliche Weiterentwicklung des Trends um technische Outdoor-Bekleidung, der perfekte Hybrid aus Funktionskleidung und Streetwear“, sagte der Leiter der Herrenabteilung des britischen Luxus-Portals matchesfashion.com, Damien Paul, der Zeitung „The Guardian“. „Und es ‚poppt’ auf Fotos, ein Plus für die Instagram-Generation.“

Wer will, kann in den reflektierenden Klettbändern, mit denen sich sonst Fahrradfahrer das Hosenbein verknittern, dem Müllabfuhrorange der Funktionsparkas und dem Signalgelb der Warnwesten, den Wunsch nach Sicherheit erkennen. Ein getragenes „Achtung, hier bin ich“, das Verbünden der Fashion-People mit dem weniger modeinteressierten Rest, der sich schon länger nicht mehr ohne Reflektorstreifen aufs Fahrrad traut und den Nachwuchs nur mit reflektierender Weste den Schulweg antreten lässt. Wandelnde Leuchtsignale, alle gemeinsam für die Warnwestisierung der Gesellschaft.

Mode für unsichere Zeiten

Mode für unsichere Zeiten – so deuteten Blogger und Journalistinnen auch schon schwarze Bomberjacken und Dr.-Martens-Stiefel. Damals wollten sich die Träger der dunklen Uniformen angeblich vor der bösen Welt verstecken und notfalls gegen sie verteidigen. Jetzt soll die grelle Schutzkleidung auf einen schützenswerten Mitmenschen aufmerksam machen. Für unsichere Zeiten scheint sich quasi jedes dieser Kleidungsstücke zu eignen, und sowieso: Wann sind eigentlich mal keine unsicheren Zeiten?

Interessanter ist, was die schwarzen Lederschuhe von Dr. Martens, Levi’s-501-Jeans und hochgerollte Seemannsmützen – seit Jahren das Fußgängerzonenkostüm junger Erwachsener – mit den auffälligen Neon-Reflektor-Uniformen verbindet. Beides ist Kleidung für Arbeiter. Die einen gehören zu den Insignien der traditionellen Arbeiterschaft, dem Milieu von Postboten und Schauerleuten; die anderen sind Objekte des modernen Dienstleistungsproletariats.

Gedeckte Farben, auf denen Dreck nicht auffällt, dicker Jeansstoff und robustes Leder, um Wind und Wetter, der Natur, zu trotzen, treffen auf atmungsaktive Leichtgewichte in reflektierenden Neonfarben, die einen davor bewahren sollen, im Menschengedränge oder von Maschinen übersehen zu werden. Die alte und die neue Arbeiteruniform.

Der Reflektor-Neon-Trend war schon einmal da, in den 90er Jahren.
Der Reflektor-Neon-Trend war schon einmal da, in den 90er Jahren.

© Parker Whitson/Unsplash

Mitte der 60er Jahre hatten schottische Bahnarbeiter begonnen, sogenannte high-visibility oder Hi-vis-Kleidung zu tragen, Hoch-Sichtbarkeitsklamotten, die in den folgenden Jahren auch für Flughafenpersonal, Bauarbeiter und andere Angestellte in körperlich riskanten Berufen Pflicht wurden. In Form der Warnweste müssen sie seit 2014 alle Autofahrer in Deutschland mitführen. Als einige Jahre zuvor in Frankreich die entsprechende Vorschrift eingeführt worden war, posierte Karl Lagerfeld auf Plakaten mit dem Slogan: „Sie ist gelb, sie ist hässlich, sie passt zu nichts – aber sie kann Leben retten.“

Nostalgische Schutzkleidung

Mit einem nur leicht abgewandelten Spruch ließ das Verkehrsministerium kürzlich eine Kandidatin von „Germany’s Next Topmodel“ (GNTM) für das Tragen eines Fahrradhelms werben. „Looks like shit. But saves my life“, stand unter einem Foto des Helm tragenden Models. Sonst trug die junge Frau nicht viel. So wirkte es, als fahre die Kandidatin gern mal in Unterwäsche Fahrrad oder ginge mit Helm ins Bett. Oder als arbeiteten bei GNTM und im Verkehrsministerium nur aufmerksamkeitsgeile Idioten. Der Kampagne wäre viel Ärger erspart geblieben, hätte es das Model gemacht wie der Modemacher Lagerfeld auf den französischen Plakaten und sicherheitshalber eine Warnweste übergestreift.

Als richtig hässlich gilt die ja eh nicht mehr, seit hässlich in der Mode als schön gilt. Jüngere Modemenschen würden dem verstorbenen Designer in Sachen Warnwestenästhetik daher wohl widersprechen. Der Chefstyler Marc Göhring etwa, Moderedakteur beim Berliner Magazin „032c“, trug vergangenes Jahr eine solche Weste während der Männermodewoche in Paris, und er sah okay aus, sofern ein Mann in einem grellgelben Polyesterstück okay aussehen kann.

Das war ein paar Wochen, bevor in Frankreich Gelbwesten, die „Gilets jaunes“, Nationalstraßen blockierten und in Einkaufspassagen randalierten. Der Auslöser für die Proteste war eine geplante Erhöhung der Dieselsteuer, die Ursache eher, dass sich zu viele Franzosen vergessen fühlten. Verdrängt, vom Aussterben bedroht. Da holten sie die Warnwesten aus den Autos, die in ihren reflektierenden Neonfarben selbst aus einer vergangenen Zeit zu leuchten scheinen. Der von Plackerei, Schweiß und Hornhaut, echter Arbeit.

Keine Mode ohne Sehnsucht. Vielleicht, in einer Art vorauseilender Nostalgie, sehnen wir uns schon nach dem leuchtenden Neonschein der Bahnarbeiter und Flughafeneinwinkerinnen, die bald ebenso Vergangenheit sein werden wie Postboten und Schauerleute, ersetzt durch ferngesteuerte Wartungsmaschinen und auf Signal reagierende Roboter. Die Vergangenheit bietet Sicherheit, denn es steht ja fest, was war. Die Sicherheit ist vergangen, so wirkt es manchmal jedenfalls. Was passt da besser als nostalgische Schutzkleidung, die sich um alle Schichten legt? Um Straßenarbeiter und Schulwegsmütter, protestierende Gelbwestler und professionelle Fashion-Bloggerinnen.

Florentin Schumacher

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