
© Gestaltung: Tagespiegel/Foto: Sebastian Leber
Autor über Tod von Berliner Hacker Tron: „Ich wollte bloß wissen, was eigentlich passiert ist“
Vor 26 Jahren starb ein junger Hacker aus Berlin-Neukölln unter mysteriösen Umständen. Der Journalist Burkhard Schröder kennt den Fall wie kaum jemand sonst. War es Suizid oder Mord?
Stand:
Tagelang ist der Berliner Hacker Boris F. verschwunden, dann wird seine Leiche in einem Neuköllner Park gefunden. Die Spuren am Tatort deuten auf Suizid hin, doch Familie und Freunde glauben, dass Boris F. ermordet wurde.
Auch 26 Jahre später ist umstritten, wie der Hacker, der sich „Tron” nannte, ums Leben kam. In einer neuen Folge des Tagesspiegel-Podcasts „Tatort Berlin“ berichtet der Journalist Burkhard Schröder von den Details dieses Falls – und von den vielen Widerständen, auf die er stieß, als er für ein Buchprojekt zu Trons Tod recherchierte.
Herr Schröder, die Leiche von Boris F. wurde am 22. Oktober 1998 von einem Spaziergänger in einer Parkanlage in Britz entdeckt. Tron hing an einem Baum, um seinen Hals war ein schwarzer Gürtel gebunden …
… der noch mithilfe eines Stücks Gartendraht verlängert worden war. Die Kneifzange zum Abschneiden dieses Drahts fand sich ebenfalls am Tatort.
Familie und Freunde des Toten behaupteten, dass dies nicht Trons Gürtel sei. So ein Modell habe der 26-Jährige gar nicht besessen.
Da bin ich skeptisch. Wer konnte denn tatsächlich ausschließen, dass er so einen Gürtel besaß? Letztlich war der einzige Zeuge für diese Behauptung seine Mutter, bei der er ja lebte.
Zeitungen titelten damals „Computer-Genie entführt – und ermordet?“ oder auch „Knackte er einen Code zu viel?“ Was dachten Sie, als Sie mit Ihrer Recherche begannen?
Auch ich hatte zunächst die Grundannahme, es könnte Mord gewesen sein, weil viele Dinge einfach nicht zusammenpassten. Während meiner Recherche musste ich meine Meinung dann mehrfach ändern. Wobei es mir persönlich natürlich egal war, wie es ausgehen würde. Ich wollte ja bloß wissen, was eigentlich passiert ist. Und das wurde immer rätselhafter.
Was waren die größten Hindernisse bei der Recherche?
Erstens die vielen Falschinformationen, die leider auch in den Medien auftauchten. Ich musste alles, was über den Fall verbreitet wurde, erst einmal nachprüfen, und die Hälfte davon stellte sich als Quatsch heraus. Das war sehr aufwendig.
Zweitens der Unwillen in Trons Umfeld, mit mir zu sprechen. Alle hatten, um es salopp zu sagen, irgendwie Dreck am Stecken. Alle hatten ein eigenes Interesse. Bis hin zu seinen Hackerkollegen, die zum Teil illegale Dinge trieben. Die warnten sich auch gegenseitig vor mir.
Wie das?
Es ging eine Mail herum mit dem Tenor „Sprecht ja nicht mit dem, der will ein Buch schreiben“. Zum Glück gilt die alte Journalistenweisheit: Einer redet immer. Ich habe dann vieles zugeschickt bekommen von Menschen, die wiederum diese Warnmail blöd fanden. Das war nach einigen Monaten, da war es ein offenes Geheimnis, dass ich bereits viel wusste. Und dann meldeten sich die Leute, die sich zuerst geweigert hatten, mit mir zu sprechen. Einfach weil sie fürchteten, ich würde auch ohne ihr Zutun etwas über sie schreiben – sie wollten dann lieber in einem besseren Licht erscheinen. Irgendwann brauchte ich nur noch im Sessel sitzen und abwarten.
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Wen meinen Sie?
Ich spreche von Personen, mit denen Tron als Hacker auf die eine oder andere Art zu tun hatte, auch geschäftlich. Dazu muss ich aber sagen, dass es Tron nie um Profit ging. Er war Idealist, glaubte an „Open Source“ und wollte seine Erfindungen allen öffentlich zugänglich machen.
Womit hat sich Tron konkret beschäftigt?
Er wusste zum Beispiel, wie man Telefonkarten so manipuliert, dass man kostenlos telefonieren kann. Dasselbe galt für Pay-TV-Karten, also Karten, die man damals brauchte, um bestimmte Bezahlsender im Fernsehen freizuschalten.
Freunde vermuten, möglicherweise habe man ihn deshalb aus dem Weg räumen wollen. Tron habe mächtige Feinde gehabt.
Dass Unternehmen, die damals Telefon- oder Pay-TV-Karten herstellten oder damit handelten, seine Aktivitäten nicht lustig fanden, ist klar. Aber das ergibt noch lange kein Mordmotiv. Und um ernsthaften Schaden anzurichten, hätte Tron in einer ganz anderen Liga spielen müssen, hätte auch die entsprechende, sehr teure Hardware gebraucht. Die hatte er nicht.
Und was ist mit seiner größten Erfindung, dem Cryptophon?
Dieses verschlüsselte Telefon hat er an der Uni im Rahmen seiner Abschlussarbeit gebaut. Mit Materialien aus dem Baumarkt. Aber auch dies stellte keine ernsthafte Gefahr für irgendjemanden dar. Geheimdienste konnten damals selbst schon verschlüsselte Telefone bauen, wenn auch nicht so kostengünstig.
Der Obduktionsbericht ist eindeutig: Tron starb wegen akutem Sauerstoffmangel durch Erhängen. Es gab auch keinerlei Fesselungsspuren oder Zeichen einer Gewalteinwirkung. Woher kommen die Zweifel am Suizid?
Einerseits beteuern Familie und Freunde, dass Tron nicht suizidgefährdet war. Dass er im Gegenteil ein sehr glücklicher Mensch gewesen sei. Andererseits sind bei den Ermittlungen tatsächlich einige Fragen offen geblieben. Das gibt auch die Kripo zu.
Zum Beispiel?
Die Sache mit dem Mageninhalt. Im Obduktionsbericht heißt es: „Circa 400 Milliliter, große Nudelstücke, fruchtig, aromatisch, Salatstücke, kein Fleisch“. Das passt zu den Spaghetti, die Trons Mutter ihm am Tag seines Verschwindens servierte. Wobei es sich dann bei den Salatstücken um die handgeschnittenen Basilikum-Blätter in der Sauce handeln würde. Das Problem ist, dass Tron diese Spaghetti am Samstag aß, gefunden wurde er ja erst am Donnerstag. Der Todeszeitpunkt konnte den Gerichtsmedizinern zufolge frühestens Mittwoch sein. Da wären die Nudeln natürlich längst verdaut gewesen. Deshalb passt das nicht zusammen. Der Chef der Mordkommission sagte: Damit muss ich leben. Man kann ein Gericht ja auch zweimal gegessen haben.
Freunde Trons zogen daraus die Schlussfolgerung, er sei vielleicht schon am Samstag ermordet worden, dann mehrere Tage irgendwo gelagert und professionell gekühlt und schließlich in dem Park an den Baum gehängt worden, damit es wie ein Suizid aussieht.
Das ist eine absurde Theorie.
Weshalb Sie von ihr nichts halten, besprechen wir ausführlich in unserem Podcast. Doch es gab noch einen Zeugen, der Tron am Tag seines Verschwindens gesehen haben will.
Das war der Wirt eines Restaurants gegenüber dem Park, in dem später die Leiche gefunden wurde. Er sagte, Tron sei mit zwei Männern in Jacketts bei ihm gewesen, die beiden hätten eine Stunde lang auf ihn eingeredet, Tron habe zugehört und sei über irgendetwas verärgert gewesen. Ob sich das tatsächlich so abgespielt hat und wer diese zwei Männer waren, konnte nie geklärt werden.
Angeblich war Tron in den Tagen vor seinem Verschwinden ziemlich „durch den Wind“. Woran lag das?
Er hat in diesem Zeitraum einige Telefonate geführt, deren Inhalt mir bekannt ist. Das Thema ist hochkomplex, aber kurz zusammengefasst ging es darum, dass Tron eine Software im Zusammenhang mit Pay-TV-Karten gebaut hatte. Und jemand aus seinem Umfeld hat sie innerhalb der Szene verbreitet, ohne ihn vorher gefragt zu haben. Das war eine große Enttäuschung für Tron, quasi ein Verrat. Weil so auch nicht klar wurde, dass diese Software sein Werk war.
Um der Person Tron näherzukommen, haben Sie auch an seiner Uni recherchiert. Was kam dabei heraus?
Einer seiner Professoren sprach mit höchster Begeisterung von ihm, sagte aber auch direkt, dass Tron gewisse Dinge nicht konnte. Zum Beispiel Protokolle schreiben. Tron war Legastheniker. Seine Kommilitonen fanden ihn, vorsichtig ausgedrückt, eher merkwürdig. Er war nicht beliebt. Das ist ja auch logisch. Wenn ein Student in einer Vorlesung aufsteht und sagt: „Der Professor ist zu langsam“, dann macht ihn das nicht sympathisch. Tron war völlig authentisch. Er meinte das so. Denn was der Professor sagte, wusste und konnte er eben schon alles. Das war natürlich beeindruckend, aber Freunde hat er sich damit nicht gemacht.
Und beim Chaos Computer Club?
Tron war nie offizielles Mitglied, hat dort aber Zeit verbracht. Es gab ein Mitglied, mit dem er gelegentlich zusammenarbeitete, ansonsten saß er in der Ecke und hat vor sich hingelötet – andere schauten ihm zu, staunten und konnten von ihm lernen. Er war vollkommen auf die Sache fokussiert, das ganze Drumherum hat ihn kaum interessiert.
Noch heute wird im Netz über Tron, sein Wirken und die Umstände seines Todes diskutiert. Woher kommt das Interesse?
Das hängt sicher mit dem Mythos des Hackertums zusammen. Hackern werden ja geradezu magische Fähigkeiten zugeschrieben. Die Öffentlichkeit denkt, die könnten eigentlich alles. Einfach weil ihre Fertigkeiten, mit Computersystemen oder anderer Technik so schöpferisch umzugehen, vielen Leuten unheimlich ist.
Bei Tron war das ähnlich. Der hat Dinge getan, die seiner Zeit weit voraus waren, und er hat Dinge gewusst, die den Großkonzernen damals nicht bekannt waren. Das liegt aber vor allem daran, dass die Konzerne damals einfach schlecht waren und Tron eben besser. So simpel ist das. Es war keine Zauberei.
Wie fielen die Reaktionen auf Ihr Buch aus?
Es haben sich mehr als ein Dutzend Leute aus Trons Umfeld gemeldet, mit denen ich noch gar nicht gesprochen hatte. Sie haben die Details und Abläufe bestätigt. Außerdem habe ich gelernt, dass viele Menschen, mit denen er in Kontakt stand, längst nicht so idealistisch dachten wie Tron selbst.
Und zwar?
Im Nachhinein weiß ich von einigen Leuten, was sie in Wirklichkeit gemacht haben. Und das war genau das, was Boris nicht wollte und verabscheuungswürdig fand: Sie arbeiteten für Konzerne und machten ihre Hackerfähigkeiten zu Geld. Wenn Tron das gewusst hätte, es hätte ihn total genervt.
Das Buch „Tron – Tod eines Hackers“ von Burkhard Schröder gibt es hier.
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