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. Koch Christoph Steiner (l.)

© Felix Hackenbruch

„Wäre eine Schande, auf der Couch zu liegen“: Bolognese-Helden helfen im Krisengebiet

Wie nach einem Tsunami, nur mitten in der Eifel – so sieht es nach der Jahrhundertflut aus. Doch im Chaos zeigen sich viele rührende Szenen.

Als Christoph Steiner am Freitagmorgen die apokalyptischen Bilder aus dem Ahrtal im Fernsehen sieht, denkt er nicht lange nach. Kurz telefoniert er mit Kollege Gerhard Ludwig, dann fahren die beiden Männer einkaufen. Hackfleisch, Tomaten, Pilze, Paprika - zwei Busse voll mit Lebensmittel und Paletten voller Säfte. Drei Stunden kochen sie, dann sind 800 Mahlzeiten Bolognese – vegetarisch und mit Rindfleisch – fertig und Steiner setzt sich ins Auto von Mainz in den Landkreis Ahrweiler.

„Für uns ist das kein Hexenwerk“, sagt Steiner, der gemeinsam mit Ludwig einen Catering-Betrieb führt. In einer weißen Kochweste steht er an drei mobilen Gas-Herden vor der Landskroner Festhalle in Bad Neuenahr und verteilt Nudeln und Bolognese an die vielen obdachlos gewordenen Menschen, die hier gestrandet sind. „Die Menschen brauchen jetzt etwas Warmes zum Essen“, sagt er.

Die Eindrücke seiner zweistündigen Fahrt haben ihn bedrückt. Zerstörte Straßen, abgebrochene Brücken, Autos in Vorgärten und überall Trümmer und Habseligkeiten der Menschen. Wie ein Tsunami, nur mitten in der Eifel. „Demut ist ein zu kleines Wort“, sagt Steiner. Schon 2002, beim Jahrhunderthochwasser an der Elbe, habe er geholfen, jetzt eben wieder. „Es wäre doch eine Schande, wenn ich heute Abend auf der Couch liegen würde.“

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Wie Christoph Steiner denken in den Stunden der Not offensichtlich viele Menschen. Im Netz gründen sich rasant Hilfsgruppen, Spenden-Hotlines werden eingerichtet, aus dem ganzen Bundesgebiet rücken Freiwillige an. Allein im Kreis Ahrweiler im Norden von Rheinland-Pfalz, wo bis Samstagmorgen mehr als 90 Tote und rund 600 Verletzte gemeldet werden, sind tausende Helfer gekommen.

Den ganzen Tag spielen sich rührende Szenen im Chaos ab. Eine Ministranten-Gruppe hilft in Sinzig mit Schubkarren den zähen braunen Schlamm wegzubringen, der knöcheltief auf den Straßen steht. Eine Frau mit Mercedes bringt Würstchen und Kaffee vorbei. Weinbauern rücken mit ihren Traktoren an und räumen Schutt und Baumstämme aus Vorgärten, Dächern und Wohnungen. Supermärkte verschenken Lebensmittel und bieten Aufladestationen für Handys an. Spediteure kommen mit Tiefladern, um den Schrott abzutransportieren. Hotelbetreiber nehmen kostenlos Menschen auf, die ihr Zuhause verloren haben.

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„Das zivilgesellschaftliche Engagement ist extrem“, sagt ein Helfer vom Arbeiter-Samariter-Bund, die in der Landskroner Festhalle in Bad Neuenahr die provisorische Obdachlosen-Unterkunft betreuen. Normalerweise finden hier Karneval und Kirmes statt, nun stehen hunderte Feldbetten in der Halle. Auf dem Vorplatz haben Einsatzkräfte einen kleinen Pool befüllt, in dem sich die Menschen notdürftig waschen können. Auch ein Dutzend Dixi-Klos wurden aufgestellt. 350 Menschen könnten im Notfall hier maximal betreut werden, in der Nacht von Freitag auf Samstag schlafen hier 250. Es sind vor allem alte Menschen, viele von ihnen gebrechlich und geschwächt.

Unter ihnen befindet sich auch Jochem Odenkirchen. Gemeinsam mit seiner Freundin sei er vom Hochwasser überrascht worden. „Die Durchsagen waren viel zu leise“, sagt der 55-Jährige, der an einer Lungenkrankheit leidet. Als er die Flut bemerkt, steht das Wasser schon im Wohnzimmer. Nur mit Glück retten sich die beiden erst ins Obergeschoss und später in die umfunktionierte Festhalle.

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Die erste Nacht sei „Horror“ gewesen. Es habe kaum Feldbetten, Decken oder Verpflegung gegeben. Odenkirchen, der bis auf ein paar Papiere nichts bei sich trägt, muss auf dem Boden schlafen. Er macht kein Auge zu. Doch dann trifft die private Hilfe ein. „Nach dem Wasser werden wir jetzt mit Lebensmitteln und Kleidung überflutet“, sagt er und lacht.

Tatsächlich häufen sich in einem Nebengebäude die Klamotten-Berge. Es ist von allem da. Hemden, Hosen, Socken. Auch Spielzeug für Kinder und kistenweise Hygieneartikel haben Menschen vorbeigebracht. „Die sind zur Drogerie gefahren und haben für mindestens 1000 Euro eingekauft“, staunt ein Sanitäter.

Flutopfer Jochem Odenkirchen
Flutopfer Jochem Odenkirchen

© Felix Hackenbruch

Auch anderswo wollen die Menschen helfen. In Bonn melden sich so viele Freiwillige, die Menschen aufnehmen wollen, dass die Stadt am Freitagnachmittag die Menschen bieten muss, nicht weiter anzurufen und Betten anzubieten. Am Nachmittag twittert die Landesregierung in Mainz, die zu Spenden aufgerufen hat: „Aus der Bevölkerung kommt überragende Unterstützung. Rheinland-Pfalz steht zusammen.“

Ein paar Kilometer weiter, auf der anderen Ahr-Seite in Sinzig, steht Alexandros Zogas vor dem Feuerwehrhaus und sieht sehr müde aus. „Meine Heimatstadt liegt in Trümmern. Ich hatte schon Tränen in den Augen.“ Der 51-jährige Hauptbrandmeister ist seit Mittwochnacht im Einsatz. Seine erste Schicht dauerte 23 Stunden, auch danach hat er kaum geschlafen.

Schutt und Schlamm liegn in einer Straße in Bad Neuenahr.
Schutt und Schlamm liegn in einer Straße in Bad Neuenahr.

© Philipp von Ditfurth/dpa

Selbst eine warme Dusche oder eine Tasse Kaffee seien für ihn Zuhause nicht möglich. Weite Teile der Wasser- und Stromversorgung sind abgeschaltet, vielleicht noch für Tage oder gar Wochen. Seit 37 Jahren ist er bei der Freiwilligen Feuerwehr, doch sowas hat hier noch niemand auch nur ansatzweise erlebt.

Viele seiner Kameraden belaste der Einsatz auch psychisch. „Wir sind auch einfach nur Menschen“, sagt er. Es gebe jedoch Unterstützung von Seelsorgern, vielen helfe auch der Austausch mit den Einsatzkräften untereinander. Bei aller Erschöpfung und Müdigkeit, mischt sich aber auch etwas Stolz in seine Stimme. Es sei gelungen, die Lage zu stabilisieren. Jetzt beginne das große Aufräumen, dabei würden alle mitanpacken, sagt Zogas: „Die Gesellschaft hält zusammen.“

Christoph Manthey ist dankbar über die viele Unterstützung. Auch er wurde vom Wasser überrascht, konnte gerade noch so im Schlafanzug durch das Wasser in seinem Wohnzimmer schwimmen und die drei Hunde Amanda, Bella und Coco (oder kurz „ABC“, wie Manthey sagt) retten. Mit ihnen steht er nun vor der Obdachlosen-Unterkunft in der Landskroner Festhalle und wartet.

Er hat fast alles verloren. Das Auto, das er vor wenigen Wochen gekauft hat, haben die Fluten weggespült. Dafür liege nun ein anderer Wagen in seiner Hecke. Auch seine Wohnung und die Garage seien stark beschädigt, sagt Manthey. Er trägt Taucherschuhe an den Füßen, die ihm Schmerzen an den Achillesversen verursachen. Doch alle anderen Schuhe sind dem Wasser zum Opfer gefallen, ebenso Laptop und Handy.

Flutopfer Christoph Manthey
Flutopfer Christoph Manthey

© Felix Hackenbruch

Deshalb hat er auch lange keinen Kontakt zu seiner Familie. Die Nummern seiner Kinder habe er nicht im Kopf gehabt. Schließlich wendet er sich an die Vermisstensammelstelle der Polizei. Dort wälzen die Mitarbeiterinnen das Telefonbuch mit ihm und finden schließlich eine Nummer seiner Schwester. Es dauert noch eine Stunde, dann erreicht Manthey über sie endlich seinen Sohn in Köln.

Als dieser am späten Abend vor der Festhalle vorfährt, atmet Christoph Manthey erleichtert auf. Vater und Sohn umarmen sich lange. „Wir haben seit Tagen versucht, ihn zu erreichen“, sagt der junge Mann und hilft seinem Vater mit seinen wenigen Habseligkeiten. Er könne erst einmal in einem kleinen Apartment in Köln unterkommen. Dann müsse man weitersehen. Christoph Manthey hat nur einen Plan. „Morgen kaufe ich mir als erstes richtige Schuhe.“

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