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 Arcades of Berlin

© Illustration: Benedigt Brandhofer

Corona revolutioniert die Stadt Berlin: Reißt die Shoppingcenter ab!

Die Menschen erfinden Berlin gerade neu, trotz Corona. Nur in Malls herrscht Stille. Shoppingcenter sind überholt und unflexibel gegen Krisen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hendrik Lehmann

Corona zeigt die Stärken und Schwächen unserer Gesellschaft in grellem Licht. Kranke Menschen sterben ohne genug und gut bezahltes Pflegepersonal, arbeitende Eltern drehen ohne Kindertagesstätten zu Hause durch und echte Freundschaften überleben auch ohne Kneipe und Fußballstadion. Genauso deutlich zeigt Corona, wie anpassungsfähig unsere Großstädte sind – oder eben nicht.

Ein stadtplanerisches Versagen der letzten Jahrzehnte fällt dabei im Lockdown besonders auf: die sinnlose Ausbreitung generischer Kaufhäuser, Malls und Shoppingcenter. Gleichzeitig zeigen die Bewohner Berlins täglich, wie toll öffentlicher Raum eigentlich sein könnte.

Auf dem Feld tobt das Leben, in Malls: toter Raum

Rund um den Alexanderplatz: gigantische leere Parkhäuser, gigantische Flächen ungenutzten Raums, so leer wie sinnentleert, während die Menschen jede Freifläche der Stadt – vom Tempelhofer Feld bis zum Grunewald – neu für sich erobern. Es wird spaziert, gedatet, Rennrad gefahren und Drachen geflogen. Kaum waren die Kanäle der Stadt gefroren, füllten sie sich mit Gesprächen, Thermoskannen und Ideen. Der öffentliche Raum erlebt eine Renaissance. Kleine Läden reagieren spontan mit Mitnehmessen, Coffee to go und Fensterverkauf.

In den Malls indes: toter Raum. Man läuft durch Gänge ohne Tageslicht und voller verhängter Schaufenster, nur um zu Supermarkt oder Apotheke zu gelangen. Ob es in Zeiten eines Virus, das durch die Luft übertragen wird, sinnvoll ist, durch geschlossene Räume zu laufen, um zu lebensnotwendigen Einkäufen zu gelangen, bleibt dabei genauso fragwürdig wie die geschlossenen Läden.

Serviervorschlag ohne interessantes Rezept. In der urbanen Wüste zwischen Mercedes-Benz-Arena und East Side Mall weiß man schon nicht mehr, ob man sich gerade in Berlin oder in einer x-beliebigen anderen Stadt der Welt befindet.
Serviervorschlag ohne interessantes Rezept. In der urbanen Wüste zwischen Mercedes-Benz-Arena und East Side Mall weiß man schon nicht mehr, ob man sich gerade in Berlin oder in einer x-beliebigen anderen Stadt der Welt befindet.

© Kitty Kleist-Heinrich

Man merkt, wie austauschbar sie sind: Das meiste, was die Ladenketten anbieten, kann man längst besser online bestellen. Das Gegenargument „Beratung“ des stationären Handels hat sich in Malls lange schon totgelaufen. Braucht man eine Waschmaschine oder ein Handy, weiß man selten, ob man im Elektronikmarkt unabhängig beraten wird oder jemand einem etwas andreht, das mehr Gewinnmarge bringt. Die Auswahl und Positionierung der Waren ist ohnehin genauso von Algorithmen gesteuert wie in Onlineshops, aber im Internet ist ein unabhängiger Test nur einen Klick entfernt. In Malls muss man dafür das Smartphone zücken und peinlich in der Ecke googeln.

Dieselben Brands, in jedem Stadtteil, jeder Großstadt

Parks und Rathaustreppen wurden in der Pandemie zu Fitnesscenter, Klassenzimmer, Spielplatz. Shoppingcenter stehen derweil ratlos in der Gegend herum: Weil ihre Architektur allein auf Umsatzoptimierung ausgerichtet ist, kann man sie nicht spontan umwidmen. Dieses Prinzip macht die Städte umso verwundbarer, weil es sich immer weiter ausbreitet. Bahnhöfe, Flughäfen, Fußgängerzonen: überall dieselben Brands, Trends und Styles, dieselbe funktionale Trennung – in jedem Stadtteil, jeder Großstadt. Dabei wird Corona wird nicht die letzte Zäsur bleiben – ob Wirtschaftskrise, Klimawandel, neue Mobilität oder neue gesellschaftliche Normen. Mit Shoppingcentern lassen sie sich nicht lösen.

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Unser Umgang mit Corona zeigt, was stattdessen fehlt, wenn Innenräume kein Ansteckungsrisiko mehr sind: echte öffentliche Räume – auch drinnen. Sie müssen ein Stück weit offen und unvorhersehbar bleiben, damit wir sie so benutzen können, wie wir uns entwickeln, egal ob zum Arbeiten, Spielen oder Knutschen.

Die antiurbane Idee des Shoppingcenters gehört deswegen – wenn überhaupt – dahin, woher sie kommt: in die Vorstadt.
Natürlich wäre es ideenlos, bestehende Malls einfach abzureißen. Aber die Idee des Shoppingcenters, die muss brennen. Unter ihrer Asche liegen mehr neue Städte, als wir uns erträumen können.

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