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Die perfekte Prise: So verwenden Sie Salz in der Küche richtig

Ob herzhafte Küche oder süßes Backen - Salz ist immer dabei. Neu ist sein Einsatz als Kontrapunkt für Gezuckertes und Basis für den Umami-Effekt.

Selbst eine Geschichte über Salz muss im Jahr 2020 mit Corona beginnen. Denn eine der ersten nachgewiesenen Ansteckungen im Januar fand in der „Webasto“-Kantine im bayerischen Stockdorf statt. Ein Kollege drehte sich am Tisch um und fragte seinen Nachbarn, ob er sich den Salzstreuer ausleihen dürfe – das reichte aus für die Übertragung des Virus.

In der Folge passierte etwas, was vielen Essern weltweit den Appetit verdorben haben dürfte: Unzählige Kantinen sind bis heute geschlossen, und in unzähligen Restaurants verschwanden nach der Wiedereröffnung die Salz- und Pfefferstreuer komplett. Ein Schlag vor allem für jene, die grundsätzlich nicht mit dem Essen beginnen, die nicht einmal probieren, ohne vorher eine Schicht Salz über das komplette Gericht gestreut zu haben. Vermutlich wird irgendeine Statistik später belegen, dass allein diese Entscheidung zum Rückgang des Salzverbrauchs in Deutschland geführt habe.

Das Mineral Salz wird in modernen Küchen als Gewürz eingesetzt

Eventuell. Denn andererseits scheint es, als spiele Salz im Essen eine immer größere Rolle – als Gewürz, und nicht als versteckte Grundzutat in nahezu allem, was wir essen. Nur ein Beispiel: Die breite Süße karamellisierten Zuckers, die wir aus Sahnebonbons kennen, wird seit geraumer Zeit geradezu automatisch mit Salz abgefedert, und die Geschmacksrichtung „Salz-Karamell“ hat es nicht nur zum Klassiker vieler besserer Eisdielen geschafft, sondern dringt auch in den Convenience-Bereich der Supermärkte vor, findet sich in Schokoladentafeln, Sirup und mittlerweile sogar Teemischungen.

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Dabei ist das alles andere als eine neue Erfindung, denn die berühmte „Prise Salz“ gehört seit Jahrhunderten zu praktisch allen Backrezepten – neu ist anscheinend nur, dass aus dieser kaum schmeckbaren Prise heute oft schon ein kleiner Teelöffel wird. Das Geschmacksmuster kennen wir aus England und Frankreich, wo Shortbread oder Galettes Bretonnes traditionell mit erheblich mehr Salz gebacken werden, als wir das in Deutschland gewohnt sind. Salz hat in solchen Rezepten die Rolle gewechselt, ist von einem kaum merklichen Geschmacksabrunder zum selbstbewusst auftretenden Gewürz geworden.

Obwohl es neue Verwendungsmöglichkeiten gibt, geht der Salzverbrauch zurück

Auch die in Deutschland lange völlig unbedeutende, in den Supermärkten rare Salzbutter gewinnt an Boden: Sanft gesalzen nach skandinavischer Tradition oder recht kräftig mit fühlbaren Meersalzkristallen, wie in der bretonischen „Demi-Sel“-Butter, gehört sie zwingend in den besseren Feinkosthandel. Liebhaber schätzen sie sogar als schmelzende, würzende Verbindung zwischen Toast oder Sauerteigbrot und Marmelade. Der Kochbuchautor Stevan Paul wird beinahe lyrisch: Eine zarte Flocke Salz aus Guérande schmeckt für ihn „nach Strand und Meer, nach unbeschwerten Kindertagen“.

Weiße Ware. Die Männer der norditalienischen „Civiltà Salinara“ ernten im Sommer das „Fior di Sale“.
Weiße Ware. Die Männer der norditalienischen „Civiltà Salinara“ ernten im Sommer das „Fior di Sale“.

© Ronja Ringelstein

Andererseits wird der Salzgebrauch überall dort zurückgefahren, wo er in erster Linie historische Gründe hat und dem guten Geschmack (und der Gesundheit) eher im Wege steht. So ist das bei den kaum noch vermarkteten Salzheringen, die ja nur deshalb so salzig waren, weil es sich dabei um die einzige, Jahrtausende alte Konservierungsmethode handelte.

Heute lässt sich dieses Ziel durch Einsatz geschlossener Kühlketten und Tiefkühlung mit viel weniger Salz erreichen. Gerade beim besonders beliebten Matjeshering wird der Unterschied für jeden deutlich, der ein paar Jahrzehnte Geschmackserfahrung hat. Auch bei den Salzgurken, traditionell ebenso salzig wie essigsauer, ist der Verbraucher längst in die süßlich-milde Richtung umgeschwenkt.

Vieles davon geht auf die Weniger-Salz-Kampagnen zurück, die aus gesundheitlichen Gründen eine Grenze von fünf oder maximal sechs Gramm Salz pro Tag verhängt haben; dieses Thema klammern wir hier einmal aus.

Das meiste Salz sieht nie eine Küche von Innen

12,2 Millionen Tonnen Salz werden in Deutschland jährlich hergestellt, das hört sich nach einer gewaltigen Menge an. Doch das meiste verschwindet in der Kali-Düngung der Landwirtschaft, wird in der Baustoff-, Aluminium- und Pharma-Industrie genutzt oder zum Wasserenthärten durch Millionen von Geschirrspülmaschinen geschickt.

Und selbst das hochwertige, zum größten Teil mit Jod oder Fluor angereicherte Speisesalz landet vermutlich nur zu einem geringen Teil im Körper, denn ein hoher Anteil wird mit dem Kochwasser von Gemüsen oder Nudeln ins Abwasser geschüttet. Der unabhängige Salzhandelsexperte Franz Götzfried schätzt den jährlichen Gesamtverbrauch an Speisesalz in Deutschland auf konstant rund 450 000 Tonnen, das wären täglich 15 Gramm pro Person. In den Supermärkten beläuft sich die tägliche Verkaufsmenge von verpacktem Salz auf 1,5 Gramm pro Person, der Rest steckt in Fertigprodukten von Wurst bis Käse.

Aus dem Ausland importiert wird vor allem Meersalz, das in Deutschland nur in Sylt als rare Spezialität hergestellt wird; es kommt als grobes Salz oder in Form von Spezialprodukten wie „Fleur de Sel“ aus den Mittelmeerländern oder der französischen Bretagne – insgesamt, so schätzt Götzfried, etwa 20 000 Tonnen.

Die Problematik der Jod-Beimischung zeigt: Salz ist auch ein politisches Thema. Denn diese, um 1970 herum eingeführte Zwangsmaßnahme, die dem – strittigen – Jodmangel der Bevölkerung entgegenwirken soll, darf als frühes Beispiel für das heute allgegenwärtige „Nudging“, also das unmerkliche Stupsen der Bürger in Richtung eines erwünschten Verhaltens gelten.

Weniger die Salzart als die Größe der Körner entscheidet über den Eindruck der Salzigkeit. Fleur de Sel löst sich besonders schnell im Mund, ein Effekt, der bei Steaks besonders gut zur Geltung kommt.
Weniger die Salzart als die Größe der Körner entscheidet über den Eindruck der Salzigkeit. Fleur de Sel löst sich besonders schnell im Mund, ein Effekt, der bei Steaks besonders gut zur Geltung kommt.

© Ben Fuchs

Soeben wird der alte Streit wieder aufgekocht, und das, natürlich, im Corona-Zusammenhang. Der AfD-Abgeordnete Timo Böhme hat den Bogen im Juli in einem offenen Brief an die Bundesregierung geschlagen: Er setzt die Jodierungsprophylaxe bei Salz und die staatlich verhängten Maßnahmen zu Corona gleich und behauptet: „Unter dem Eindruck einer vorgeblichen Krise wurden in beiden Fällen die freie Entscheidung der Bürger und meiner Ansicht nach auch Grundrechte massiv eingeschränkt.“

Nun ja: Nach wie vor kann sich jeder Deutsche freizügig mit unjodiertem Salz versorgen, sei es nun mit Meer- oder unbehandeltem Steinsalz, das schon mal aus dem Himalaya stammen kann. Das Angebot ist größer denn je. Es liegt gut zehn Jahre zurück, dass das unraffinierte und angeblich mit wertvollen Spurenelementen durchsetzte Himalaya-Salz zum Hit in Bio-Märkten wurde. Inzwischen hat sich das Heilsversprechen weitgehend als Scharlatanerie herausgestellt, und auch die esoterisch angehauchten Küchenchefs sind auch aus Kostengründen wieder beim Meersalz.

Verwendung in der Profi-Küche und neue "salzige" Alternativen

Wie aber gehen die Profis mit dem Thema um? Ein wichtiger Unterschied zur Amateurküche liegt darin, dass kein systematisch arbeitender Küchenchef das Salzen dem Zufall überlässt. Die Salzmenge im Kochwasser für Nudeln, Gemüse oder auch Kartoffeln ist genau festgelegt oder wird penibel in Richtung Nordseewasser abgeschmeckt; Abweichungen gibt es allenfalls bei problematischen Produkten wie grünen Bohnen, für die nach wie vor das Siebeck-Theorem gilt: „Wenn Sie glauben, das Kochwasser für die Bohnen sei total versalzen, ist es immer noch zu wenig.“

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Gesalzen wird in der Profiküche nicht auf Verdacht, sondern in jeder Verarbeitungsstufe. Nicht, um möglichst viel Salz im Essen unterzubringen, sondern um eine absolut gleichmäßige, harmonische Würzung zu schaffen, die dann dem Gericht einen guten Teil seines professionellen Anstrichs verleiht.

Es ist an der Zeit, den Salzeinsatz neu zu bewerten

Nicht wenige Köche sehen ihre Aufgabe durchaus darin, wenn das Produkt es verlangt, mit dem Salz an jene Grenze zu gehen, hinter der das Wort „versalzen“ hell aufleuchtet. Roh marinierter Fisch oder ein Rindertatar brauchen hingegen die ganz sensible Hand. Nicht umsonst dulden die Japaner an rohem Fisch nur eine Spur salziger Sojasoße. Nachträglich gesalzen wird so gut wie nie, abgesehen von der nachträglichen Würzung mit knusprigem Fleur de Sel oder Maldon-Salzflocken, die milder und ein wenig mehr nach Meer schmecken als normales Tafelsalz, allerdings in erster Linie eine spannende Textur addieren sollen.

Was ist Geschmack? Lesen Sie weitere Beiträge aus der Serie, zum Beispiel "Geröstet ist gut, verkohlt schmeckt noch besser! " - Wie Verbranntes unseren Geschmackssinn animiert. Oder "Essen und forschen" - bei einem Besuch im Labor des "Noma" erlebt man, wie Mikrobakterien ein Gericht durch Fermentation vollmundiger machen.

Ist das noch auf der Höhe der Zeit? Unabhängig von den ausufernden Folgen des Salzgenusses könne sich eine rein kulinarische Neubewertung anbahnen. Der einflussreiche Kritiker Jürgen Dollase, wer sonst, hat sich an die Spitze der Bewegung gesetzt und argumentiert, der rituelle, nicht durchdachte Einsatz von Salzstreuer und Pfeffermühle in der Küche lege über die Speisen einen „Grauschleier“, der den Produktgeschmack verfälsche.

Umami kann Salzigkeit ersetzen

Zumindest für das oft nur noch ulkige automatische Drüberwegpfeffern mag man das akzeptieren. Dollase schlägt vor, aufs Salzen auch einmal komplett zu verzichten. Marco Müller, Drei-Sterne-Koch aus Berlin, mag das so generell nicht nachvollziehen. Allerdings zählt er auch nicht zu denen, die pauschal drauflos salzen. In seiner Küche schaut er genau auf die vielfältigen Salzquellen moderner Stilistik. Früher habe man überwiegend mit stark eingekochten Fonds gearbeitet, die durch das Aufbrechen der Aminosäuren im Kochprozess salzig schmeckten.

Heute bezieht er Salzwürze zum Beispiel aus Kombu-Algen oder aus Fermentationsprozessen wie beim Miso. „Wir achten aber darauf, dass das nicht über acht oder zehn Prozent Salz hinausgeht.“ Insofern sei der Einsatz von Salz aus der Tüte in seiner Küche gesunken, der geschmackliche Eindruck von ausgewogener Salzigkeit aber nicht.

Sebastian Frank (Restaurant Horváth, zwei Sterne) lässt Sellerieknolle Monate im Salzmantel "reifen", um ihr Aroma zu verdichten.
Sebastian Frank (Restaurant Horváth, zwei Sterne) lässt Sellerieknolle Monate im Salzmantel "reifen", um ihr Aroma zu verdichten.

© White Kitchen/ promo

Diese Linie bestätigt, was ein japanischer Forscher bereits vor rund 35 Jahren herausgefunden haben will: Der Einsatz von Glutamaten mit dem daraus folgenden Umami-Effekt kann den Salzeinsatz ohne subjektiven Verlust an geschmacklicher Qualität um 50 Prozent vermindern. In der aktuellen Gourmetküche ist Umami ein Dauerthema – nur eben nicht durch Glutamat aus der Tüte, sondern durch Fermentation, Röstung, durch Pilzextrakte, Algen und andere natürliche Methoden.

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„Das sehe ich überhaupt nicht so“, sagt dagegen Sebastian Frank vom Horváth, der seinen Ruhm nicht zuletzt auf einem Salzrezept aufgebaut hat, nämlich der Sellerieknolle im Salzteig. Aber hier hat das Salz die Aufgabe, dem Sellerie Wasser zu entziehen und wird kaum mitgegessen. Für ihn sind Umami und Salz zwei verschiedene Dinge, und er besteht darauf, dass kräftiges Salzen den Produkten den entscheidenden Dreh gebe. „Oft esse ich irgendwo, und es stimmt eigentlich fast alles“, sagt er, „aber wenn es dann doch nicht richtig gut ist, liegt es immer an zu wenig Salz.“

Ein Meister des ausbalanciert-kräftigen Salzeinsatzes: Sebastian Frank aus dem "Horváth"
Ein Meister des ausbalanciert-kräftigen Salzeinsatzes: Sebastian Frank aus dem "Horváth"

© White Kitchen/ promo

Wenn er sich selbst ein Stück Fisch kocht, dann salzt er kräftig, stärker, als er es für seine Gäste tun würde. Der Verbrauch im Restaurant ist nicht gesunken – und Salzstreuer hat es dort nie gegeben. „Ich glaube, da war einmal ein einziger Gast, der es zu wenig gesalzen fand.“

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