
© Foto: Ferdinand Dyck
Der Seitansbraten: So wird „Ente“ zur veganen Delikatesse
Brust ohne Keulung – wäre das was? Ein Rezept vom Spitzenkoch: mit Rotkohl, Knödeln und fast allem, was Weihnachten aromatisch sonst so zu bieten hat.
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So weihnachtlich duftet es, nach Orange, Rot- und Grünkohl, dass einem die Sinne kurz durcheinander geraten – Mitte November. Doch ein schönes Festtagsessen braucht Vorlauf, je früher man mit dem Planen beginnt, desto weniger Stress hat man. Und dass es geschmacklich zur Sache geht, wenn man Benjamin Löttrich um Rat fragt, war klar.
„Vegane Küche muss mehr sein als die Summe ihrer Teile”, sagt der Küchenchef des „Kopps“ in der Linienstraße, wo ausschließlich pflanzlich gekocht wird. Es reiche nicht, wie bei traditionellen Fleischgängen oft üblich, eine Hauptsache in die Mitte des Tellers zu legen und ein paar Nebensachen drum herum. „Du musst ein größeres Ganzes erzeugen, bei dem sich alles ineinanderfügt.“

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Am besten klappt das, wenn verschiedene Aromen zusammenkommen und sich gegenseitig in neue Geschmackstiefen jagen, süße und saure, salzige und bittere, verbunden in herzhaften Umami-Noten. Normalerweise erreicht Löttrich das mit den aufwendigen Techniken der Spitzenküche. Beim Rezept, das er sich für uns ausgedacht hat, rüstet er ab.
Im Grunde ganz klassisch: „Ente, Rotkohl, Klöße“
„Wir machen im Grunde ganz klassisch Ente, Rotkohl, Klöße“, sagt er, „ein bisschen raffinierter vielleicht, aber von den Handgriffen so einfach, dass es auch der Papa mit der Tochter hinbekommt“. Ach so, und vegan ist die Ente natürlich, aber das Wort lässt Löttrich gern weg, „für uns ist das selbstverständlich“, sagt er.
Der Einkauf ist mit je einem Ausflug in Asiamarkt, Bioladen und Reformhaus erledigt. Danach beginnt alles mit einem in der Spitzenküche üblichen Deal: Zeit gegen Geschmack. Etwa eine Woche vor dem großen Abend schneidet man Rotkohlblätter zurecht, pinselt sie ein und schichtet sie in ein Marmeladenglas.

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Gibt man in die Apfel-Lauchzwiebel-Marinade noch Milchsäurebakterien, gelingt die Fermentation besonders kontrolliert. Nach fünf Tagen halbiert man eine Pflaume und legt auch sie in ein Gläschen, mit etwas der Kimchi-Flüssigkeit und zwei Shiso-Blättern.
Rotkohl und Süßkartoffel-Knödelteig lassen sich ebenfalls vorbereiten, Stängel- und Grünkohl werden rechtzeitig, bevor sie in Pfanne und Topf kommen, geputzt und getrocknet. Am Ende sieht es daheim im Idealfall aus wie in Benjamin Löttrichs Restaurant-Küche: Alle Zutaten warten auf Tabletts und Tellern. „Mise en place“ heißt das Prinzip, ohne das Profiküche nicht denkbar wäre.
Auch die „Entenbrust“ lag schon eine Nacht in der Kühlung. Im „Kopps“ würde man sie zwar nicht bekommen, erklärt Löttrich, für ein Spitzenrestaurant ginge sie zu sehr in Richtung Ersatzprodukt. Privat spreche aber nichts dagegen, Fleisch aus Seitan nachzubauen. Gemeinhin knetet man das reine Weizeneiweiß dafür mit Wasser geschmeidig und formt es dann, etwa zur Currywurst.
Löttrich hat statt Wasser Rote-Bete- und Orangensaft genommen, das bringt Farbe und Aroma. Damit die Textur der Brust am Ende fein gerät, nicht gummiartig, kam zusätzlich ein wenig des Safts in die Kunststoffbeutel, in denen die Masse im köchelnden Wasser lag, dem Biss helfen unters Seitan gemischte Rosinen.
Der letzte Kniff: Die Brüste werden in marinierte „Tofu-Haut“ gewickelt, die ihnen in der Pfanne eine krosse, goldbraune Kruste verpasst. Am Ende schmeckt es so heiligabendlich, wie es am Anfang roch – nur aufregender.
Der Crunch der Grünkohlchips, die fruchtigen Noten von Cassis und Orange, die schwefelige Tiefe von Rot- und Palmkohl, umspielt von Portweinreduktion und Mandelschaum: Das ist komplexer und unterhaltsamer, als man es echten Enten in der Regel zugesteht.
Die falsche kaut sich verblüffend überzeugend, mit nur einer Spur Gluten-Elastizität, aromatisch ordnet sie sich brav dem allgemeinen Aromenwirbel unter. Als Gesprächsthema hält sie dann mindestens bis Neujahr.
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