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© Foto: Getty/Fabricio Rosa/ Gestaltung: Tagesspiegel

Ein Werk der „Lügenpresse“?: Wie ich versehentlich der AfD in die Hände spielte

Unser Autor hat als Journalist einen blöden Fehler gemacht – mit dem er unwillentlich ein rechtsextremes Narrativ bediente. Das hatte Konsequenzen.

Sebastian Leber
Eine Kolumne von Sebastian Leber

Stand:

Vorige Woche ist mir ein blöder, völlig unnötiger Fehler unterlaufen. Einer, mit dem ich ungewollt Rechtsextremen in die Hände spielte. Das ist sehr ärgerlich. Doch es zeigt auch etwas Grundsätzliches.

Im Tagesspiegel hatte ich berichtet, wie die AfD im Bundestag einen weiteren Kulturkampf anzettelte, diesmal aber dramatisch scheiterte. Sie wollte der gemeinnützigen Amadeu Antonio Stiftung, die sich seit Jahrzehnten verdienstvoll gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus engagiert, sämtliche staatlichen Fördergelder streichen lassen. Ich verstehe, wieso eine Stiftung mit dieser Ausrichtung von der AfD attackiert wird.

Im Bundestag stellten sich alle demokratischen Parteien geschlossen gegen den Antrag und ließen die AfD in der Debatte schlecht dastehen – insbesondere den Abgeordneten Stephan Brandner, einen Vertrauten von Björn Höcke. Brandner gehört dem völkischen Flügel der Partei an und produziert häufig Eklats. Nach einer üblen Entgleisung im Netz wurde er 2019 als Vorsitzender des Rechtsausschusses abgewählt. In diesem Oktober hob der Bundestag Brandners Immunität auf, um strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn zu ermöglichen.

Nun kommt der Fehler: Ich schrieb, gegen Brandner werde unter anderem wegen eines mutmaßlichen Hitlergrußes ermittelt. Das ist falsch. In Wahrheit geht es um eine mutmaßliche Beleidigung.

Typisch „Lügenpresse“, höhnten Rechte deswegen auf Facebook und Telegram. Der Vorfall beweise, wie verlogen und kaputt die Medien und überhaupt die Bundesrepublik Deutschland seien.

Und es stimmt ja auch: Einem Abgeordneten zu unterstellen, womöglich einen Hitlergruß gezeigt zu haben, ist ein schwerer Vorwurf. Was treibt einen Journalisten dazu, so einen Unsinn in die Welt zu setzen? Greift da jemand zu unfairen Mitteln, um die AfD zu dämonisieren? Ist diese Partei in Wahrheit viel harmloser, als es die „Mainstream-Medien“ immer behaupten?

Zum Glück leben wir in einer Demokratie, in der sich jeder Bürger wehren kann, sobald über ihn falsch berichtet wird.

Sebastian Leber, Tagesspiegel

Tatsächlich hatte ich mich schlicht verlesen oder genauer gesagt: drei Wörter überlesen. Denn als ich mich beim Schreiben des Artikels rückversichern wollte, weshalb genau Brandners Immunität aufgehoben wurde, sah ich mir eine Meldung der Nachrichtenagentur AFP aus dem Oktober an. Darin hieß es: „Nach Angaben eines Fraktionssprechers der AfD geht es in Brandners Fall um eine Auseinandersetzung mit einer ,Spiegel’-Journalistin und bei Moosdorf um einen mutmaßlichen Hitlergruß vor rund zweieinhalb Jahren.“ Es wurde also nicht nur die Immunität Brandners, sondern auch die seines Fraktionskollegen Matthias Moosdorf aufgehoben – und ich Trottel hatte die Wörter „und bei Moosdorf“ überlesen.

Wie der Tagesspiegel reagierte

Ein handwerklicher Fehler, der nicht passieren darf. Aber eben keine Verschwörung der „Lügenpresse“. Im Gegenteil zeigt der Vorfall, wie gut unser Rechtsstaat und das deutsche Presserecht funktionieren. Denn Brandners Anwalt schickte uns eine Abmahnung. Wir haben uns den Sachverhalt angeschaut und erkannten den Fehler. Binnen Stunden korrigierten wir ihn nicht nur, sondern setzten auch eine Richtigstellung unter den Text, in der wir ausdrücklich auf meinen Fehler hinwiesen. Außerdem muss der Tagesspiegel die entstandenen Kosten von Brandners Anwalt begleichen. Alles völlig zu Recht.

Denn zum Glück leben wir in einer Demokratie, in der sich jeder Bürger wehren kann, sobald über ihn falsch berichtet wird. Dazu stellt das Presserecht scharfe Schwerter zur Verfügung, zum Beispiel Ansprüche auf Richtigstellung, Unterlassung und Schadensersatz. Außerdem verfügt die Bundesrepublik über eine Judikative und eine Exekutive, die Betroffenen auch tatsächlich zu ihrem Recht verhilft. Das ist ein großes Privileg, das in vielen Teilen der Welt so nicht gegeben ist.

Fehler geschehen in jedem Beruf. Und Fehler im Journalismus sollten klar benannt und kritisiert werden. Wer aber „Lügenpresse“ grölt, hat etwas ganz anderes im Sinn, nämlich die Destabilisierung eines funktionierenden Staates.

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