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XKH149505 Portrait of Heinrich Heine (1797-1856) 1831 (oil on paper on canvas) by Oppenheim, Moritz Daniel (1800-82); 43x34 cm; Hamburger Kunsthalle, Hamburg, Germany; German,  out of copyright

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„Heine in den Bädern von Lucca“: Reportage von Gabriele Tergit

Am 13. Oktober 1963 veröffentlichte der Tagesspiegel im Feuilleton diesen Artikel von Gabriele Tergit, in dem es um Heinrich Heine und das Exil geht.

Stand:

Tief in einem Tal voll üppiger Vegetation, rauschendem Fluß, in der Luft Toskanas, liegen sie unverändert. Werbeagenten haben sie noch nicht entdeckt, die Fremdenverkehrsindustrie übersah sie, weder Marktforschungsinstitute noch Großindustrielle im Eigenheimgeschäft „erschlossen“ sie. Kein Fehlbedarf an Hotelraum herrscht hier, Renaissancepaläste liegen verschlossen, Villen der napoleonischen Verwandtschaft verödet in verwachsenen Parks. Dabei gibt es Fangopackungen seit 1421 — kein Druckfehler 1421 —, dabei sind die Thermalquellen fünfmal so radiumhaltig wie die von -Vichy.

In diesen Bädern fand die Einweihung einer Gedenktafel für Heinrich Heine statt, der hier den Sommer 1828 verbrachte. Man muß ein bißchen ausholen bei dieser Geschichte. Im Sommer 1933, nachdem im Mai in ganz Deutschland Bücher verbrannt worden waren, fand ein Kongreß des Internationalen PEN-Clubs in Ragusa (Dubrownik) statt. Der PEN-Club war noch jung und klein, kaum dreizehn Jahre alt, aber zwei große Engländer, H. G. Wells und Hermon Ould, leiteten ihn und schlossen die Vertreter der bücherverbrennenden Nationen aus. Aber die berühmtesten deutschen Dichter waren auf dem Kongreß anwesend, und sie organisierten sich zum PEN-Club Deutscher Autoren im Ausland, der bis heute besteht, nicht mehr aus erwartungsvollen Talenten in voller Segelfahrt, sondern aus grauhaarigen Überlebenden im ruhigen Hafen von England, Amerika und den vier Ecken der Welt. Diese Schriftsteller haben einen illustren Ahn, einen Im Ausland lebenden, immer wieder verfolgten Juden, dessen tragische Heimat die deutsche Sprache war.

Der jetzige Präsident dieses Zentrums, Ossip Kalenter, entdeckte, daß in den Bädern von Lucca Gedenktafeln für Lord Byron, für die Barrett-Brownings und andere englische Dichter angebracht sind, aber keine für Heinrich Heine, der in seinen „Reisebildern“ die Bäder von Lucca weltberühmt gemacht hat. Es wurde beschlossen, daß das PEN-Zentrum Deutschsprachiger Autoren im Ausland eine Gedenktafel anbringen läßt, amerikanische, britische, israelische, Schweizer Staatsangehörige, denen, wie Heinrich Heine, die deutsche Sprache die tragische Heimat ihrer Gedanken blieb. Ein Glücksfall trat ein, es fand sich ein örtlicher Heineforscher, der die „Reisebilder“ auf italienisch auswendig kann, der seine Freizeit der Erforschung aller Details von Heines Aufenthalt in den Bädern von Lucca widmet. Aber die alten Akten der Carabinieri, die Listen der Fremden, die die Bäder besucht haben, die Bücher und Briefe der Epoche, offenbarten weder, wo er gewohnt hat, noch die Leute, die seine Gesellschaft bildeten, noch was er schrieb. So blieb nur übrig, ein Wort des Dichters über die Bäder von Lucca zu benutzen, und die Tafel lautet „Auf diesem heiteren Hügel wohnte / Heinrich Heine / im Herbst 1828“, und darunter auf italienisch „Su questo amabile colle abito / il celebre poeta tedesco / Enrico Heine / nei autunno 1828“.

Bei der bescheidenen Enthüllungsfeier hatte der Bürgermeister den Vorsitz, sprachen der Heine-Sachverständige Professor Cherubini und Ossip Kalenter, der in seiner bewegenden Rede die Denkmalslosigkeit des meistübersetzten Dichters der Welt erwähnte. Das Denkmal Heines, das die Kaiserin Elisabeth von Österreich in ihrem Schloß auf Korfu errichten ließ und das dann Kaiser Wilhelm II. bei seiner Besitznahme entfernte, steht jetzt, nachdem es während-der Hitlerzeit von seinem, Hamburger Standort heimlich nach Frankreich verbracht worden war, in Toulon. Das von den Nationalsozialisten 1933 umgestürzte Heine-Denkmal von Kolbe steht seit 1947 wieder in der Frankfurter Taunus-Anlage; eine Figur von Maillol ließ ein Industrieller zum Andenken an Heine in Düsseldorf aufstellen, und letztes Jahr widmete ihm Erich Kästner einen Brunnen in München. Nun gibt es also noch diese echte Emigrantentafel für den großen Emigranten, auf deutsch und italienisch, unterschrieben von einer Organisation, die in London sitzt.

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