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Eva Mattes war als Kind kaum in der Schule, schon als sechsjähriges Mädchen stand sie auf der Bühne.

© MIKE WOLFF/picture alliance / dpa

Interview mit Eva Mattes: „70er Jahre, herrlich, durchsichtige Blusen“

Mit 14 tanzte Eva Mattes die Nächte durch, als sie 17 war, drehte sie mit Fassbinder. Die Schauspielerin über frühe Reife, den Görli und Pippi Langstrumpf.

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Eva Mattes, 64, ist Schauspielerin und gehört zu den Großen ihrer Zunft. Einem breiteren Publikum wurde sie vor allem als Tatort-Kommissarin Klara Blum bekannt. Schon als junge Frau zählte sie zu den wichtigsten Darstellerinnen des Neuen Deutschen Films, im Theater arbeitete sie unter anderem mit Regisseur Peter Zadek zusammen. Am 11. Mai wird sie aus Astrid Lindgrens Kriegstagebücher im Berliner Dom lesen und dazu singen.

Frau Mattes, Sie standen schon mit zwölf auf der Bühne. Jetzt treten Sie mit Astrid Lindgrens Kriegstagebüchern im Berliner Dom auf. Gehen Sie oft in die Kirche?

Wenn ich in eine fremde Stadt komme und die Zeit finde. Ich gucke mich um und spüre, dass da etwas passiert mit mir. Gotteshäuser sind ja raffiniert gebaut, der Raum bleibt nicht ohne Wirkung.

Und dann fühlen Sie sich ganz klein?

Groß! Ich weiß gar nicht, wie ich das nennen soll, es öffnet mich. Am stärksten habe ich das in Istanbul in der Blauen Moschee empfunden. Diese Leuchtkraft und diese Stille, selbst wenn viele Besucher da sind. Ich mache den Schädel ein bisschen auf und lass den Himmel in mich rein.

Sie meditieren auch.

Ich habe das eine Zeit lang sehr intensiv betrieben, für vier Jahre jeden Tag. Das ist ein Nachinnen-Gehen, das einem Ruhe gibt. Und das brauche ich ab und zu. Oder wenn es mir mal nicht so gut geht, dann besinne ich mich auf etwas, das höher und größer ist als ich.

Komisch, in Ihren Rollen, selbst als Tatort-Kommissarin Klara Blum, strahlen Sie stets so eine Ruhe aus.

Das kann ich, das ist meine Form der Konzentration. Auch wenn ich innen brodele wie ein Vulkan.

Mit Klaus Kinski. Für ihre Rolle in Werner Herzogs „Woyzeck“ wurde Mattes 1979 in Cannes ausgezeichnet.
Mit Klaus Kinski. Für ihre Rolle in Werner Herzogs „Woyzeck“ wurde Mattes 1979 in Cannes ausgezeichnet.

© imago/Prod.DB

Kocht der auch mal über?

Im privaten Bereich ja, bei der Arbeit eher selten. Früher, bei Peter Zadek, kam es vor, dass ich mal auf den Tisch gehauen habe. Dann war das auch nötig. Ich hatte schon als Kind ein starkes Gerechtigkeitsempfinden. Als der Priester im Religionsunterricht einmal einen Jungen schlug, bin ich hoch wie eine Rakete und habe den Mann angeschrien. Das dürfen Sie nicht, gerade Sie! Der hatte hinterher richtig Respekt vor mir.

Sie haben mit Klaus Kinski gearbeitet, der galt als anstrengend.

Kinski hat mich von Anfang an respektiert. Wir haben zusammen „Woyzeck“ gedreht, da hat er gemerkt, dass unser Regisseur Werner Herzog

… einer Ihrer Ex-Partner, mit dem Sie ein Kind haben…

Ja, meine Tochter. Jedenfalls hat Kinski gemerkt, dass Werner Herzog anspruchsvolle Filme mit ihm gemacht hat, die seiner Karriere sehr förderlich waren. Kinski hat dann manchmal ziemlich gewütet, aber zu mir, beim Woyzeck, war er zahm.

Obwohl Sie für den Film in Cannes ausgezeichnet wurden und nicht er.

Darüber war eher Werner Herzog enttäuscht, Kinski hat sich für mich gefreut, der war ja auch in Cannes an meiner Seite.

Sie waren zu Beginn Ihrer Karriere die deutsche Stimme von Pippi Langstrumpf. Wie viel Pippi steckt in Ihnen?

Ich war ein wildes Kind, bin auf jeden Baum geklettert und auch mal runtergefallen. Beim Völkerball war ich unschlagbar. Selbst wenn ich als Zwölfjährige mit größeren Jungs gespielt habe, stand ich am Schluss immer als Letzte in meinem Feld, weil mich keiner getroffen hat. Darauf war ich sehr stolz. Und ich habe mir nichts gefallen lassen.

Haben Sie als Kind Pippi Langstrumpf gelesen?

Ja, ich bin mit Pippi aufgewachsen. Und mit Nesthäkchen, Hanni und Nanni, ich wollte sogar aufs Internat, weil die im Buch da waren. Ich habe wahnsinnig viel gelesen, Karl May natürlich auch.

„In jedem gibt es etwas, das man öffnen kann“

An der Seite von Sebastian Bezzel spielte Mattes die Konstanzer Tatort-Kommissarin Klara Blum.
An der Seite von Sebastian Bezzel spielte Mattes die Konstanzer Tatort-Kommissarin Klara Blum.

© pa/Patrick Seeger

Mit wem haben Sie sich identifiziert?

Mit Winnetou, ich war immer für die Indianer.

Pippi Langstrumpf macht sich die Welt, wie sie ihr gefällt. Von Ihnen haben wir gelesen, dass Sie eine gute Tagträumerin sind. Denken Sie sich dann in bestimmte Vorstellungswelten?

Früher, wenn ich jemanden gar nicht mochte und wusste, ich muss jetzt ein paar Wochen mit dem auskommen, dann habe ich ihn so lange angeguckt, bis ich etwas Positives gefunden habe.

Einen Anknüpfungspunkt?

In jedem gibt es etwas, das man öffnen kann. Das ist wie in der U-Bahn, wenn die Leute ganz grimmig gucken. Und auf einmal fangen die an zu lachen, zu strahlen und sind ein vollkommen anderer Mensch.

Es heißt, dass Sie nie U-Bahn fahren.

Stimmt. In Berlin fahre ich nur Auto. Ich habe einen ganz kleinen Wagen und bin – dschumm, damit viel schneller.

Gehören Sie zu denen, die beim Autofahren viel schimpfen?

Und wie: Können wir jetzt vielleicht mal fahren?! Oder: Gemma, gemma, Avanti, Zack, Zack. Da lasse ich was ab. Das Auto ist meine Schutzzone, dort bin ich alleine. Das brauche ich. Wenn ich Kleopatra spiele, vorher U-Bahn fahren, das geht nicht. Die Welt, die mir da entgegenkommt, ist nicht die richtige Vorbereitung für Shakespeare. Das hat mit Konzentration zu tun. Wenn mich Leute in der U-Bahn anstarren und sich fragen, woher kenne ich die? Manche werden ja richtig aggressiv, wenn sie nicht darauf kommen.

Sie haben gerade gesagt, wenn Ihnen jemand nicht gefällt, gucken Sie, bis Sie einen Anknüpfungspunkt finden. Wie machen Sie das?

Im Flugzeug, wenn einer neben mir sitzt, von dem ich denke, den mag ich nicht – dann stelle ich mir vor, wäre ich mit dem jetzt auf einer einsamen Insel und müsste mich mit ihm verstehen, was könnte das sein? Irgendwann fällt mir etwas ein. In dem ich mich selber öffne, bauen sich meine Vorurteile ab, verändert sich etwas.

Wenn Sie jetzt im Berliner Dom mit den Kriegstagebüchern von Astrid Lindgren auftreten, was berührt Sie an dem Text?

Ihre Empathie. Wie sie versucht hat, zu verstehen, was gerade auf der Welt geschieht. Astrid Lindgren hatte ja Zugang zu Geheimmaterial, weil sie in einer Postdienststelle gearbeitet hat. Auf diese Weise bekam sie Briefe von jüdischen Menschen in die Hände, die sehr genau beschrieben haben, was gerade mit ihnen geschieht. Aber sie hatte auch Empathie für die deutschen Soldaten, die da in Stalingrad in ihren Gräben saßen, die taten ihr ebenfalls leid. Sie schrieb, es können nicht alle Deutschen Nazis sein, es gibt auch diejenigen, die gegen diesen Krieg sind.

Astrid Lindgren schrieb, als das Ende des Zweiten Weltkriegs noch nicht vorauszusehen war. Was kann das heute bewirken, außer, dass die Zuhörer erfahren, wie damals gelitten wurde?

Die Autorin und Dirigentin Irmgard Schleier, die diesen Abend für mich zusammengestellt hat und mich auch am Klavier begleiten wird, hat wunderbar stimmige Lieder gefunden. Unter anderen ein schwedisches Wiegenlied; in der letzten Strophe segeln drei Schiffe, und die Assoziation zu denen, die heute auf der Flucht aus Afrika sind und im Meer ertrinken, ist schnell geknüpft. Dieser ganze Abend schlägt einen Bogen von Astrid Lindgren im Zweiten Weltkrieg zu heute.

Es sind zum Teil sehr traurige Lieder. Bringen Sie Ihre Zuschauer lieber zum Weinen oder zum Lachen?

Beides. Lachen ist natürlich immer schön, weil man das vorn auf der Bühne viel unmittelbarer mitbekommt. Wenn die Leute weinen, wird es sehr still. Oder einer putzt sich vielleicht die Nase. Dann denke ich, hm, auch okay.

Sie haben mal in einem Interview erklärt, dass Sie einen Sommer lang immer die gleiche Platte gehört haben: eines der letzten Alben von Johnny Cash. Auch eher traurig.

Es gibt Phasen, wo ich nur eine bestimmte Musik ertragen kann. Oder brauche. Zuletzt war das mexikanischer Bolero. Ich bin ja eher ein Moll-Mensch. Mich macht Moll-Musik, also etwas traurigere Klänge, froh. Wenn ich richtig traurig bin, und ich würde lustige Musik hören, das geht schief. Ich brauche etwas, was mit mir zusammenschwingt und mich dadurch wieder in die Höhe bringt.

Sie waren früh reif, haben schon als Kind gearbeitet.

Das hatte natürlich damit zu tun, dass meine Mutter auch in diesem Beruf war und damals ein Theaterengagement hatte. Die brauchten ein sechsjähriges Kind und haben mich genommen, seitdem habe ich nicht mehr aufgehört zu arbeiten. Ich war kaum in der Schule, stand den ganzen Tag im Synchronatelier, im Dunkeln. Und was habe ich gemacht? Ich bin nachts in die Disco, austanzen.

„Der Görli ist so ein typischer Berliner Unort“

Haben Sie im Nachhinein manchmal gedacht, ein wenig Kindheit verpasst zu haben?

Die Erwachsenen haben das damals gesagt: Du bist ja nie mit Gleichaltrigen zusammen. Aber ich hatte nicht das Gefühl. Ich habe als Kind exzessiv gespielt, mit Puppen irrsinnige Welten aufgebaut. Später dann trug ich verrückte Kleider, tanzte wild, habe die 70er Jahre voll ausgelebt. Das ging mit 14 los.

Gab es in München keine Türsteher?

Ich kann mich nicht erinnern, dass dort einer stand. Ich bin überall reingekommen. Man hat sich ja auch geschminkt. Zu Deep Purple und Uriah Heep habe ich meine Haare fliegen lassen, 70er Jahre eben, herrlich, durchsichtige Blusen, wow, das ganze Programm. Viele werden gedacht haben: Die ist doch nicht 14. Wenn ich mir heute die Fotos anschaue, ich war zwar raffiniert und sexy, aber was da alles hätte passieren können! Ist nicht, jedenfalls nichts, was ich nicht verkraftet hätte.

Tanzen Sie heute noch gerne?

Schon, aber nicht mehr so, weil das mein Nacken nicht mehr aushält. Außer, wenn ich mal ganz wild bin, dann ist mir alles egal, dann schwinge ich auch den Kopf noch mal. Sonst begnüge ich mich mit den Beinen. Ich tanze auch zu Hause nur für mich. Weil ich nicht so gerne Sport mache. Gymnastik finde ich langweilig, da tanze ich lieber eine halbe Stunde.

Sie haben als Kind auch den Timmy aus der Serie „Lassie“ synchronisiert. Der Darsteller Jon Provost wurde später depressiv, Pippi-Schauspielerin Inger Nilsson landete beim schwedischen Pendant des „Dschungelcamps“. Sie waren auch ein Kinderstar und sagen, Ihnen sei nichts passiert, was Sie nicht verkraftet hätten.

Als ich nach Hamburg ging, war ich 17 und alleine. Ich dachte, ich bin erwachsen und merkte, ich bin es nicht. Nun, ich habe es überstanden, habe nie Drogen genommen, nie Alkohol getrunken. Vielleicht hatte ich Glück. Dieser Beruf fordert viel, aber er gibt auch, Anerkennung, Emotionen, ich spüre die Zuschauer, die so einen Abend mitgestalten.

Mit 17 sorgten Sie mit dem Anti-Vietnamkriegsfilm „o.k.“ für den ersten Skandal, Ihretwegen wäre fast die Berlinale abgebrochen worden. In Hamburg standen Sie nackt auf der Bühne des Schauspielhauses, in einem Alter, in dem andere Mädchen zutiefst verunsichert sind, was ihren Körper betrifft.

Ich bin so lange in meiner Wohnung nackt vor dem Spiegel herumgelaufen, bis ich mir meiner sicher war. In meinem ersten Theaterstück musste ich ein Mädchen spielen, das traurig ist, weil sein Hund weg war. Wie sollte ich denn auf Kommando weinen! Da habe ich mir vorgestellt, meine Mutter ist tot und fing sofort an zu heulen. Natürlich ging mir durch den Kopf, oh Gott, darf man so etwas überhaupt denken? Aber ich wollte diesen Beruf, ich bin in ihn eingedrungen, verfügte über die Fantasie und den Mut.

Sie haben in Ihrer Karriere zum Beispiel auch mit Rainer Werner Fassbinder gearbeitet, haben immer wieder für Furore gesorgt. Heute sind Sie dem breiten Publikum durch Ihre Rolle in der Fernsehserie „Lena Lorenz“ bekannt, bald startet die nächste Staffel. Das sind schon ruhigere Bahnen.

Natürlich, das ist der Lauf der Zeit. Die Theater ändern sich, man selber ändert sich. Und Lena Lorenz, ich finde, die haben gute Themen, Gender, Downsyndrom, Flüchtlingsschicksale, alles vor so einer Heimatfilmkulisse. Für den Zuschauer, der nicht zu sehr belastet werden möchte, weil er schon belastet genug ist, ist das gut angerichtet.

Frau Mattes, Sie sind wegen Peter Zadek nach Berlin gekommen, als der am Berliner Ensemble anfing. Seit beinahe 30 Jahren wohnen Sie am Görlitzer Park. Um den machen viele Berliner einen großen Bogen. Was finden Sie toll an dem?

Der Görli ist so ein typischer Berliner Unort, er will einfach nicht schick werden, eine ewige Brache mit viel freier Fläche, nicht besonders schön, aber sobald die Sonne scheint, tummeln sich dort Berliner aller Couleur, liegen auf den Wiesen oder sitzen auf den Stufen stillgelegter Brunnen.

Was mögen Sie an den Berlinern?

Ihren trockenen Humor.

Haben Sie einen Lieblingsort?

Eindeutig meine Wohnung. Ich lebe in Berlin sehr zurückgezogen, versteckt in meinem Garten auf dem Dach.

In Ihrer Autobiographie schreiben Sie über Ihre Knallphobie. Das muss schlimm sein zu Silvester.

Es fängt eigentlich schon vor Weihnachten an. Die Kids ballern da rum, dass ich nach 16 Uhr, wenn es dunkel wird, nicht mehr ohne Musik im Ohr sein kann. Dann fliehe ich ins Brandenburgische, wir haben da ein Haus im Wald. Aber im neuen Jahr bin ich wieder da. Mich kriegt hier keiner mehr weg.

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