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Nach langen Stunden am Schreibtisch schwindet bei vielen die Konzentration.

© Getty Images/Westend61/Westend61

Krise des Arbeitsmarktes: Nicht Angestellte müssen besser werden, sondern Jobs

Wenn die Arbeit krank macht, hat das auch fatale Folgen für den Wohlstand. Wer jetzt noch mehr Einsatz von Beschäftigten fordert, versteht das Problem nicht.

Hannes Soltau
Ein Kommentar von Hannes Soltau

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Und jährlich grüßt das Stimmungstief. Wieder mal hat eine Umfrage des Instituts Gallup ergeben, dass die deutschen Arbeitnehmer mehrheitlich unzufrieden und gestresst sind. Weniger als die Hälfte schaut zuversichtlich in die Zukunft. Nur noch ein Drittel findet ausreichend Zeit für Freunde und Familie. Und lediglich einem Viertel gelingt es, nach der Arbeit abzuschalten.

„Beschäftigte in Deutschland sind im emotionalen Krisenmodus gefangen“, fasst es der Forschungsleiter Marco Nink zusammen. Gleichzeitig mehren sich die Alarmzeichen in der Wirtschaft. Der Standort Deutschland hat an Attraktivität verloren, es droht die Rezession. Die Unzufriedenheit der Beschäftigten ist dabei nicht nur ein individuelles Problem, sondern ein Symptom struktureller Defizite im deutschen Arbeitsmarkt.

Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz kritisiert gerne die Arbeitsmoral der Deutschen, die einen „massiven Wohlstandsverlust“ zur Folge hätte. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag sind darum auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit und steuerfreie Zuschläge für Mehrarbeit vorgesehen.

78 Prozent machen Dienst nach Vorschrift

Dabei ist laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die Hälfte aller Überstunden hierzulande ohnehin unbezahlt. Und: Dehnt sich der Arbeitstag in die Länge, nehmen Konzentration und Leistungsfähigkeit nachweislich ab. Die Maßnahmen der kommenden Regierung dürften der Wirtschaft also kaum helfen. Stattdessen sollten Politik und Wirtschaft bei der Qualität der Beschäftigung ansetzen.

Beschäftigte in Deutschland sind im emotionalen Krisenmodus gefangen.

Marco Nink, Forschungsleiter der Gallup-Studie

Denn Gallup hat kürzlich auch herausgefunden, dass in Deutschland mittlerweile 78 Prozent der Arbeitnehmer lediglich „Dienst nach Vorschrift“ machen. Es fehlt an Eigeninitiative, Motivation und Effizienz. Die Bereitschaft zum stillen Streik hat deutlich zugenommen.

Deutlich abgenommen dagegen hat die emotionale Bindung der Deutschen an ihren Arbeitgeber. Mit lediglich neun Prozent liegt sie im internationalen Vergleich auf einem sehr niedrigen Niveau. Nur noch jeder fünfte Beschäftigte vertraut seinen Vorgesetzten. Die volkswirtschaftlichen Kosten durch „innere Kündigungen“ beziffert Gallup auf einen jährlichen Wert zwischen 113 Milliarden und 135 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das wäre ein Viertel des Bundeshaushalts.

Psychische Erkrankungen kosten 147 Milliarden Euro

Noch gravierender wiegt, dass laut DAK die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen zuletzt auf einen Höchststand von 342 Fehltagen pro 100 Beschäftigten stieg. Eine Zunahme von 52 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Das kostet Wirtschaft und Gesellschaft hierzulande laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie jährlich 147 Milliarden Euro.

Australische Forscher fanden heraus, dass Depressionssymptome bei Vollzeitbeschäftigten dreimal öfter auftauchen, wenn sie für ein Unternehmen arbeiten, das sich nicht um die mentale Gesundheit der Mitarbeiter kümmert.

Es liegt also kaum an der mangelnden Arbeitsmoral der Deutschen, wenn die Wirtschaft schwächelt, sondern eher an der zunehmenden Entfremdung der Menschen von ihrem Job. 81 Prozent der Vollbeschäftigten in Deutschland wünschen sich eine Vier-Tage-Woche, die Hälfte will reduzieren. Diese Bedürfnisse darf die Politik nicht übergehen.

Die Förderung von Mitbestimmung, wertschätzender Führung und einem angemessenen Arbeitspensum würde nicht nur der Lebensqualität der Arbeitnehmer entgegenkommen, sondern das Gesundheitssystem entlasten und am Ende zum wirtschaftlichen Aufschwung beitragen.

Die weltweit zufriedensten Arbeitnehmer finden sich laut Gallup übrigens in Finnland. Das Land bietet familienfreundliche Teilzeitmodelle und eine sehr ausgewogene Work-Life-Balance. Laut der OECD und dem Weltwirtschaftsforum sind die Arbeitsmarktbedingungen in Finnland trotzdem sehr wettbewerbsfähig und effektiv. Im Norden wird es vorgelebt: Der Weg aus der Krise beginnt nicht mit Appellen an mehr Einsatz, sondern mit besseren Bedingungen für sinnstiftende und gesunde Arbeit.

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