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Häusliche Gewalt

© stock.adobe.com/LoloStock

„Manchen Frauen wird ihr Handy abgenommen“: Das können Sie tun, wenn Sie häusliche Gewalt vermuten

Aus der Nachbarwohnung dringen Schreie, die Freundin hat immer blaue Flecken. Die Rechtsmedizinerin Saskia Etzold erklärt, wie Außenstehende helfen können.

Geschlagen, geschubst, gebissen und getreten: Fast 150.000 Opfer partnerschaftlicher Gewalt zählte die polizeiliche Kriminalitätsstatistik 2020. Die Tendenz ist seit Jahren steigend, wobei die Dunkelziffer weit höher geschätzt wird. Knapp 80 Prozent der Täter sind männlich, aber auch Frauen schlagen zu.

„Am häufigsten sehen wir Folgen stumpfer Gewaltauswirkung“, sagt Saskia Etzold, Rechtsmedizinerin und Leiterin der Gewaltschutzambulanz der Berliner Charité. Das sind Knochenbrüche, Würgemale oder blutige Lippen. „Manchmal werden Ohrringe oder Haare rausgerissen und viele haben Griffspuren an den Armen, weil sie grob festgehalten wurden“, sagt die Ärztin.

Doch nicht jedes Opfer sucht eine Gewaltschutzambulanz auf. Im Folgenden beantwortet die Rechtmedizinerin die wichtigsten Fragen, wie Außenstehende einer von Gewalt betroffenen Person helfen können.

Saskia Etzold leitet die Gewaltschutzambulanz am Institut für Rechtsmedizin der Charité.
Saskia Etzold leitet die Gewaltschutzambulanz am Institut für Rechtsmedizin der Charité.

© Foto: Saskia Etzold/Charité


Wie erkenne ich häusliche Gewalt?

Die Frage lasse sich nicht in einem Satz beantworten, weil häusliche Gewalt mannigfaltig sei, erklärt Saskia Etzold. Auch Stalking, Freiheitsberaubung und sexuelle Nötigung zählen beispielsweise dazu.

Hinweise könnten sein, wenn Freundinnen oder Nachbarinnen häufig Verletzungen aufwiesen. Wenn sie ängstlich reagierten oder man merke, dass es ihnen nicht gut gehe. „Aber 100-prozentig können Sie sich nie sicher sein, weil nicht alle Wunden im Alltag sichtbar sind“, sagt die Ärztin.

Manche sagen sogar, mein Mann würde mir nie ins Gesicht hauen. Der schlägt an Stellen, die immer bekleidet sind.

Saskia Etzold, Rechtsmedizinerin an der Charité

Die Rechtsmedizinerin empfiehlt deshalb, bei Verdacht die betreffende Person in einem ruhigen und geschützten Rahmen anzusprechen und ihr Hilfe anzubieten – ohne dass der vermeintliche Verursacher dies mitbekommt. „Für so einen Fall gibt es auch Notfallkarten mit den wichtigsten Telefonnummern von Beratungsstellen und Gewaltambulanzen, die man so einer Person übergeben kann.“

In 15 verschiedenen Sprachen sind diese Karten zum Beispiel bei der Gewaltschutzambulanz der Charité zu erhalten. Das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen mit der Nummer 08000 116 016 berät deutschlandweit zu lokalen Angeboten.


Wie spreche ich das Thema an?

„Erklären Sie der Person, dass Sie sich Sorgen machen, weil diese häufiger verletzt ist oder sie auffällige Geräusche aus ihrer Wohnung gehört haben“, rät Etzold. „Fragen Sie: Kann ich Ihnen helfen, brauchen Sie Unterstützung?“ Wenn das Gegenüber dies verneine, müsse man das akzeptieren.

„Viele lehnen die Hilfe beim ersten Mal ab. Aber wenn Sie Unterstützung angeboten haben, weiß die Person, dass sie sich im Notfall an Sie wenden kann.“ Aus diesem Grund werde auch Ärzten empfohlen, bei Verdacht das Thema häusliche Gewalt immer anzusprechen.


Was ist, wenn es offensichtliche Hinweise gibt?

Je nach Situation müsse man differenzieren, sagt Etzold. „Wenn Sie Hilfeschreie hören, es laut in einer Wohnung poltert und Sie davon ausgehen, dass gerade Gewalt ausgeübt wird, rufen Sie die Polizei.“ Die Medizinerin rät allerdings davon ab, selbst in eine Situation einzugreifen. „Das ist natürlich mutig und zeugt von Zivilcourage, Sie riskieren aber, dass Sie angegriffen werden.“ 

Wenn die Polizei in einer Wohnung eintrifft, trennt sie die Parteien voneinander, spricht einzeln mit ihnen und macht Hilfeangebote, damit sich das Opfer traut zu sagen: „Ja, ich habe Gewalt erlebt und brauche Hilfe.“ Natürlich könne es auch sein, dass beide Parteien sagen, es sei nichts passiert. Aber solch ein Vorfall ist dann dokumentiert und vielleicht traut sich das Opfer beim nächsten Mal, zu sprechen. Auch Außenstehende, die etwas beobachten, können sich jederzeit an die Polizei oder Beratungsstellen wenden.


Üben auch Frauen Gewalt gegen Männer aus?

„Häusliche Gewalt gibt es in jedem Kontext, in dem es Beziehungen gibt“, sagt die Gerichtsmedizinerin. „Wir sehen in der Gewaltschutzambulanz auch Männer, die Gewalt von ihren Partnerinnen erleben. Wir sehen Frauen, die von ihren Partnerinnen geschlagen, oder Männer, die von ihrem Freund verprügelt werden.“

Oft sei häusliche Gewalt chronisch: Die Taten wiederholen sich und nehmen mit der Zeit an Intensität zu. Im Trennungskontext, wenn einer der Partner sich lösen möchte oder vielleicht sogar schon eine neue Beziehung hat, eskaliere die Situation oftmals.

Häusliche Gewalt ist meist chronisch, Täter schlagen meist wiederholt zu.
Häusliche Gewalt ist meist chronisch, Täter schlagen meist wiederholt zu.

© Foto: picture alliance/dpa


Gibt es häusliche Gewalt in jeder gesellschaftlichen Schicht?

„Häusliche Gewalt findet sich in allen gesellschaftlichen Schichten und in allen ethnischen Gruppen“, sagt Saskia Etzold. „Vorfälle passieren im Plattenbau wie in der Villa.“ Allerdings sehe man Frauen aus bildungsnäheren Schichten die Gewalt oftmals auf den ersten Blick nicht an. Doch wenn sie sich entkleiden, erkenne man Verletzungen am Brustkorb und am Rücken, sagt die Medizinerin. „Manche sagen sogar, mein Mann würde mir nie ins Gesicht hauen. Der schlägt an Stellen, die immer bekleidet sind.“

Zudem spiele die psychische Gewalt in bildungsnäheren Schichten oft eine größere Rolle. „Man darf nicht den Fehler machen und sagen: Das ist doch so eine nette Akademikerfamilie, da passiert so etwas nicht“, sagt Etzold. Bildungsnahe Frauen hätten oft das Gefühl, dass man ihnen nicht glauben würde: Denn wenn man ihren Mann erlebe, dann würde man ihm das nicht zutrauen. Aber dieses Schamgefühl und die Angst und die Ohnmacht sei in allen Gruppen präsent.


Welche Formen von psychischer Gewalt gibt es?

Eine Form von psychischer Gewalt ist es, wenn ein Mann seiner Partnerin verbietet, Kontakt zu anderen Menschen zu haben, erklärt Etzold. Es komme vor, dass Männer ihre Frauen komplett isolieren und sie emotional wie auch finanziell von sich abhängig machen, sodass die Betroffenen nicht einmal ihre Familie treffen könnten.

„Stellen Sie sich vor, dass Ihr Mann kontrolliert, wann Sie das Haus verlassen. Ihr Handy wurde Ihnen abgenommen und Sie dürfen kein eigenes Geld mehr abheben, weil Sie keine Bankkarte haben. Das sind alles Kontrollformen, die wir häufig beobachten, und das sind alles Formen von psychischer Gewalt“, sagt die Charité-Ärztin. Manchen Frauen werde Geld von ihren Männern zugeteilt. Sie müssten für alles eine Quittung zu Hause abgeben. Auch Kommunikationsmedien würden Partner des Öfteren kontrollieren.


Wie kann ich mich selbst aus einer gewalttätigen Situation befreien?

„Man sollte sich Hilfe suchen und sich nicht dafür schämen“, sagt Etzold. Viele Betroffene neigten dazu, den Partner in Schutz zu nehmen, weil dieser ihnen einrede, dass sie die Schläge aufgrund ihrer Widerworte und Verhaltens verdient hätten. „Täter sagen oft, du bist selbst daran schuld, weil du mich wütend gemacht hast. Aber die Person, die Gewalt ausübt, ist dafür verantwortlich, nicht das Opfer“, stellt die Ärztin klar.


Was passiert mit den Tätern?

Häusliche Gewalt ist ein Antragsdelikt. Die Betroffenen müssen also einen Strafantrag stellen, damit es zu einer Verurteilung kommt. Unabhängig davon sei es sinnvoll, Verletzungen dokumentieren zu lassen, sagt Etzold. „Wenn man noch nicht bereit ist, Anzeige zu erstatten, hat man später Unterlagen, die zeigen, dass der Partner oder die Partnerin nicht zum ersten Mal gewalttätig geworden ist.“

Diese Dokumentation nehmen alle Gewaltschutzambulanzen in Deutschland vor. „Bei uns an der Charité bieten wir an, dass wir Unterlagen zehn Jahre lagern“, sagt Etzold. „Wenn sich das Opfer in ein, zwei oder sechs Jahren für eine Anzeige entscheidet oder sich vom Partner trennen möchte, kann sie sich die Unterlagen bei uns abholen.“ Das erleichtere auch die Strafverfolgung.

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