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Medien: Alle Wege führen nach Tötensen

Dieter Bohlen schreibt ein zweites Buch. Damit es ein Erfolg wird, bringt Bertelsmann alle seine Medien in Stellung

München, Neumarkter Straße – nicht eben die erste Adresse der Landeshauptstadt. Zwischen dem MCM Outlet Shop und einem Fitnessstudio im Hinterhof hat der weltgrößte Publikumsverlag Random House seinen Sitz. Eingelassen in die gläserne Drehtür präsentiert die Gruppe, die einen weiteren, sehr repräsentativen Firmensitz am New Yorker Times Square unterhält, Bücher aus ihrem Programm.Die Drehtür ist bald um eine Attraktion reicher. Im Oktober dieses Jahres, pünktlich zur Frankfurter Buchmesse, soll der zweite Teil von Dieter Bohlens Bestseller erscheinen. Arbeitstitel: „Hinter den Kulissen“.

Einen siebenstelligen Euro-Betrag soll Random House der Deal mit dem Pop-Produzenten aus Tötensen wert gewesen sein. Die Erwartungen sind groß, schließlich entwickelte sich schon der Schmonzette erster Teil, „Nichts als die Wahrheit“, im chronisch defizitären Springer-Konglomerat Ullstein Heyne List zum Mega-Seller: Mehr als 500 000 Exemplare des 336-Seiten-Wälzers aus dem Heyne-Verlag wanderten seit dem Erscheinen des Buchs am 7. Oktober 2002 über die Ladentheke. Bei Bertelsmann gab es deshalb lange Gesichter. Der Vorstand war enttäuscht darüber, dass sich Bohlen gegen die Gütersloher entschieden hatte – schließlich ist Bohlen beim Bertelsmann-Platten-Label BMG unter Vertrag. So konnte Springer den Seller aus der Feder von Katja Keßler, „Bild“- Kolumnistin und Ehefrau von Chefredakteur Kai Diekmann, öffentlichkeitswirksam vermarkten: von einem mehrteiligen Vorabdruck in dem Boulevard-Blatt über die übliche Verlagswerbung und einen Bohlen-Auftritt bei der Buchmesse bis hin zum Schnäppchenangebot (12 Euro 90 statt 20 Euro) beim Internet-Händler Booxtra, an dem Springer ebenso beteiligt ist. Als einziger Trost für Bertelsmann blieb die Hörbuch-Edition, die sich Random House Audio gesichert hatte. Auch sie verkauft sich prächtig, bislang wurden knapp 200 000 Stück abgesetzt. Allerdings half der Handel mit Billigpreisen etwas nach: Ein Teil der Auflage ging an die Supermarktkette Lidl, die mit 13 Euro 99 die empfohlenen 29 Euro 90 deutlich unterbot. Karstadt toppte das noch und trommelte in Zeitungsbeilagen für den Kampfpreis von 9 Euro 99.

Nun will Random House im zweiten Anlauf alles richtig machen. Das Zauberwort heißt Synergie: Vergangenen Dezember kündigte Quotenbringer Bohlen in Günther Jauchs Jahresrückblick „Menschen, Bilder, Emotionen“ vor 7,4 Millionen Zuschauern im Bertelsmann-Haussender RTL bereits die nahende Fortsetzung an: „Noch mehr Mädels, noch mehr dolle Geschichten“ werde es in Kürze geben. Stoff genug scheint noch auf Lager zu sein: Keßler und Bohlen haben einige hundert Seiten aus der Ursprungsfassung von „Nichts als die Wahrheit“ herausgestrichen. Sie dienen als Grundlage für die Fortsetzung „Hinter den Kulissen“.

Bohlen hier, Bohlen da, Bohlen auf allen medialen Bühnen, so ist das schon jetzt: In „Deutschland sucht den Superstar“, ebenfalls bei RTL, sitzt Bohlen in der Jury, der „Stern“ aus dem Bertelsmann-Verlag Gruner + Jahr bringt unter dem Titel „Heute Spinner, morgen Star“ in Heft 3/03 eine Neun-Seiten-Geschichte über den Erfolg der Sendung, garniert mit den besten Bohlen-Zitaten aus der Sendung. Und am heutigen Donnerstag kommt der „Stern“ (Heft 7/03) schon wieder mit einer Titelgeschichte über die RTL-„Superstars“. Und das ist längst nicht alles.

Auch der Buchclub von Bertelsmann mit seinen vier Millionen Mitgliedern will am Erfolg des Buches teilhaben. Unter www.bertelsmann.de war schon ein ausführliches Bohlen-Special mit Lebenslauf und seinen größten Erfolgen zu lesen. „Wir halten das Süppchen konzernweit am Köcheln“, heißt es bei Random House selbstbewusst, und weiter: „Mit Bohlen sind wir sicher ein Kandidat für den Synergy Award.“ Die Chancen auf den Preis, den der Bertelsmann-Vorstand seit zwei Jahren verleiht, stehen gut: Ausgezeichnet werden damit Projekte, die möglichst effektiv die konzerneigenen Ressourcen nutzen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Da alle diese Medien Bertelsmann gehören, spart der Konzern eine Menge Geld für Werbung.

Und es ist ja nicht so, dass die Partner nicht gern mitspielen. Schließlich ist Bohlen immer gut für hohe Quoten und Auflagen. Das Düsseldorfer Marktforschungsinstitut Innofact und „Buch-Markt“ liefern dazu interessante Zahlen: Als Folge der intensiven PR- und Medienkampagne gaben bereits zwei Tage nach Erscheinen von „Nichts als die Wahrheit“ 91,4 Prozent von 1015 Befragten an, von Bohlens Buch gehört zu haben. Laut „Buch-Markt“ hatte in Deutschland bisher „kaum ein Titel bereits zum Erscheinungstermin einen solchen Bekanntheitsgrad“.

Bei Random House spielt man nun sogar mit dem Gedanken, pünktlich zum Erscheinen des Bohlen-Buchs erstmals Werbespots zu schalten. Die Kosten dafür lassen sich leicht minimieren: Ein Zusammenschnitt unter anderem aus „Deutschland sucht den Superstar“ hält die Kosten für die Gestaltung gering, und für die Ausstrahlung bei RTL erhält Random House ohnehin Konzernrabatt.

Wäre also alles geklärt – bis auf zwei Fragen: Bei welcher Verlagstochter soll „Hinter den Kulissen“ erscheinen? Während die Verlagsleitung den Herz-Schmerz-Spezialisten Blanvalet zu bevorzugen scheint, sähen die Marketingexperten von Random House ihr Zugpferd am liebsten bei Goldmann. Der Goldmann-Verlag ist der Top-Umsatzbringer und will sich im Laufe dieses Jahres sowieso mit einem neuen Auftritt bei Hardcover-Büchern präsentieren. Da stünde ein Verkaufsschlager im strategisch wichtigen Bücher- Herbst gut an. Für Claudia Reitter, bei Random House Marketing- und Vertriebs-Geschäftsführerin, ist klar: „Bohlen ist eine attraktive Marke.“

Die zweite, noch unbeantwortete Frage ist innenpolitisch überaus delikat: Eigentlich böte sich für einen Vorabdruck des Buches der konzerneigene „Stern“ an. Chefredakteur Thomas Osterkorn will sich aber „erst nach Lektüre des Manuskripts“ entscheiden, sagt er. Die Random-House-Manager überlegen parallel, ob sie wegen der enormen Auflage und der damit verbundenen Breitenwirkung nicht doch wieder auf die „Bild“-Zeitung aus dem Springer-Verlag setzen sollen. Im Zweifel werden wohl beide Blätter mitmachen.

Sicher ist es allerdings nicht, dass sich „Bild“ und damit Springer erneut so leidenschaftlich für Bohlens Buch engagieren werden. Warum sollten die Springer-Buchmanager ihrem Konkurrenten Bertelsmann Schützenhilfe leisten? Auch diese Bedenken könnten sich bald in Luft auflösen. Dann nämlich, wenn Random House, wie zu hören ist, Springer tatsächlich den Übernahmekandidaten Ullstein Heyne List abkauft.

Die Marketingmaschine für Dieter Bohlen läuft. Detlef Horn, Werbechef von Random House, weiß, dass er auf Nummer sicher gehen muss. Denn die wichtigste Herausforderung lautet: „Wir müssen dem Leser eine Antwort auf die Frage geben: Warum soll ich auch noch den zweiten Teil kaufen?“

Thomas Forster

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