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Die Verteidigung der Folter. Kommissar Peter Nadler (Bjarne Mädel) und seine Kollegin Lansky (Katharina Schlothauer) suchen nach der entführten Lisa.

© ARD Degeto/Moovie GmbH/Stephan R

Folter als Ermittlungsmethode?: ARD-Ratgeber Recht

Ein Kind wird entführt. Der Verdächtige schweigt. Darf Folter zur Wahrheitsfindung eingesetzt werden? Ein Krimidrama als TV-Event.

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Es gibt wenige Schauspieler, die im Corona-Jahr so einen guten Lauf hatten wie Bjarne Mädel. In ein paar Tagen läuft seine Regie-Premiere im Ersten. Vor diesem Drehtag bei einem anderen Film aber hatte Mädel besonderen Respekt, erzählte er neulich im „Kölner Treff“: Als er dem Kollegen Franz Hartwig in einer Gefängniszelle auf einer Pritsche gefesselt einen Fetzen Stoff über das Gesicht legt und dann immer wieder aus nächster Nähe Wasser aus einem Eimer darauf- schüttet. „Das war schon speziell, weil man ja auch Verantwortung für die Gesundheit des Kollegen hat.“ Das gehe nur mit Vertrauen, weil es hohe Intensität habe. „Wir hatten ein Geheimzeichen verabredet, bei dem ich abbrechen sollte.“

Wer sich das Ergebnis dieser Arbeit am Sonntagabend beim ersten großen TV-Event 2021 anschaut, kann nur mutmaßen, wie viel von der Erschütterung bei Bjarne Mädel als TV-Kommissar gespielt und wie viel unmittelbare Reaktion ist auf etwas Unerhörtes (Ferdinand von Schirach: Feinde – Gegen die Zeit““, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15. Parallel dazu in den Dritten und um 22 Uhr 30, ARD: „Feinde – das Geständnis“. Dazu um 21 Uhr 45, ARD, die Doku: „Recht oder Gerechtigkeit?“).

Ferdinand von Schirachs: „Feinde – gegen die Zeit“, eine Herausforderung: für Mädel, für die Zuschauer, für die Programmplanung (es gibt zwei Perspektiven auf die Geschichte, die zur selben Zeit im Ersten und den Dritten Programmen ausgestrahlt werden), vor allem – für den Rechtsstaat, um dessen Selbstverständnis es in diesem Krimidrama geht. Mit einer Grundfrage: Sind Selbstjustiz und Gewalt im Ausnahmefall probate Mittel, um Gutes zu bewirken?

Berlin, ein Tag im Winter. Auf dem Schulweg wird die zwölfjährige Lisa entführt. Ihre Eltern erhalten eine Lösegeldforderung: fünf Millionen Euro in Bitcoins. Für den erfahrenen Kommissar Peter Nadler (Bjarne Mädel) gibt es schon bald keinen Zweifel mehr: Der Täter muss aus dem Nahbereich der reichen Familie in Grunewald kommen. Die Zeit drängt, das Mädchen sollte schnell gefunden werden. Als Nadler den Sicherheitsmann Georg Kelz kennenlernt, sagt ihm seine Intuition: Das ist der Täter.

Anwalt Biegler (Klaus Maria Brandauer) hält nicht jede Ermittlungsmethode für geeignet, schon gar nicht Waterboarding.

© ARD Degeto/Moovie GmbH/Stephan R

Kollegin Judith Lansky (Katharina Schlothauer) zweifelt, Kelz schweigt, der Ermittler verliert die Nerven. Allein, ohne Zeugen, erzwingt Nadler mit Gewalt von Kelz den Aufenthaltsort des Mädchens. Dieser verspricht, den Grund seines Geständnisses für sich zu behalten. Das Mädchen ist tot.

Vor Gericht scheint es nur ums Strafmaß zu gehen. Kelz’ Strafverteidiger Biegler unterzieht Nadler jedoch so einem geschickten Verhör, um zu zeigen, dass der Angeklagte für das Geständnis gefoltert wurde und es daher nichtig ist. Die Schuldfrage spielt da keine Rolle.

So viel zum Grundstoff (der Fall ist entfernt angelehnt an den echten Mordfall des 2002 getöteten kleinen Jungen Jakob von Metzler), der in zweimal 90 Minuten jeweils aus der Perspektive des Kommissars und des gewieften Anwalts erzählt wird.

Große Bühne für Klaus Maria Brandauer, der gewohnt souverän, mit ruhiger Märchenonkelerzählerstimme, den Rechtsanwalt gibt, und eben auch für Bjarne Mädel. Bei der letzten Aufnahme habe er schon vorher aufgehört, Wasser über Hartwigs Kopf zu gießen, sagte Mädel der dpa.

„Bei diesem Take habe ich gemerkt, dass er weniger dagegen ankämpft.“ Die Waterboarding-Szene wurde ja nicht nur einmal gedreht, sondern doppelt. Stellt sich die Frage, ob das Ganze als so großes TV-Event verkauft werden musste. Eine Geschichte, zwei Perspektiven? Ein bisschen zu viel ARD-Ratgeber Recht.

Da hätte ein 90-Minüter auch gereicht

Sicher, das ist gut gemacht, fast hardboiled Krimi: die regelmäßig eingeblendete Uhrzeit, schnell gedreht, mit Handkamera nahe an den Protagonisten. Man bekommt ein Gefühl von dem Druck, der auf den Polizisten lastet. Anwalt Biegler hingegen steht kurz vor der Rente, lässt sich nicht stressen. Sequenzen mit ihm sind fast behäbig, wie er selbst.

Allerdings: Bieglers Perspektive, der linear zweite Film am Sonntagabend im Ersten, der im Dritten (oder auch in der Mediathek) zuerst geguckt werden kann, fügt dem Degeto-Projekt im Grunde nichts Relevantes hinzu, neben dem Psychogramm eines leicht eitlen, gesundheitlich angeschlagenen Edelanwalts, der seinen letzten großen Fall wittert.

Außer vielleicht, dass Bieglers Frau (Ulrike Kriener) eine Freundin der Familie des Opfers ist. Da hätte ein 90-Minüter auch gereicht.

Andererseits kann Brandauer seine ganze Schauspielkunst entfalten und uns – mit Schirach’scher Strafverteidiger-Autorenstimme im Hinterkopfe – im Gerichtssaal noch nachhaltiger und sachkundiger entgegenschreien: Hier, schaut her, der Kommissar Nadler wäre ein großer Held, wenn er das entführte Mädchen gerettet hätte und dabei mit unlauteren Methoden seinen Job aufs Spiel setzt. Allein, das geht nicht! „Ich würde ihn sofort aus dem Polizeidienst entlassen und seine Pension entziehen.“

Schon mal die europäische Menschenrechtskonvention gelesen, die einem Verdächtigen, auch im Falle von Gefahr im Verzug, niemals die Würde eines Menschen abspricht? Ganz egal, was mit der Würde des Opfers ist. Folter ist no go. Es dürfte interessant sein, zu erfahren, ob das Verhalten des Kommissars zu 100 Prozent Zustimmung der Zuschauer erfährt, wie Mädel vermutet, oder ob der Film zeigt, dass ein Verhalten emotional „richtig“ sein kann und doch in einer rechtsstaatlichen Gesellschaft als „falsch“ zu bewerten ist.

Die Familie des Mädchens wird nicht gefragt. Den schönsten Satz im Film spricht Peter Nadler: „Ein Kind zu haben, bedeutet, sein Herz außerhalb des Körpers zu tragen“. Dazu gibt es keine Menschenrechtskonvention.

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