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Ansager. Was Staatspräsident Erdogan sagt, das wird gedruckt.

© AFP

Erdogan und die Medien: Auf Regierungslinie

Präsident Erdogan erhöht vor den Wahlen den Druck auf die türkischen Medien. Der Staat belässt es nicht bei Geldstrafen.

Stand:

Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan jetzt eine Erhöhung des Mindestlohnes bekannt gab, war ihm ein begeistertes Medienecho gewiss. „Freudenbotschaft“ lautete die Schlagzeile in vielen Zeitungen und Fernsehsendern, denn die Regierung kontrolliert die meisten von ihnen. Nur wenige Blätter, Sender und Internetplattformen stellten klar, dass die Lohnanhebung für Millionen Beschäftigte nicht einmal ausreicht, um die Inflation auszugleichen. Für Türken wird es künftig schwieriger, kritische Berichte zu finden, denn die Regierung erhöht vor den Wahlen 2023 den Druck auf die Medien – auch auf westliche Anbieter mit türkischem Inhalt.

Das türkische Internet unterliegt schon länger der Zensur. Zum ersten Mal verbot die Türkei nun auch die türkischsprachigen Internetangebote öffentlich-rechtlicher Medien aus dem Westen. Auf Antrag der Rundfunk-Kontrollbehörde RTÜK sperrte ein Gericht in Ankara den Zugang zur Internetseite der steuerfinanzierten Deutschen Welle (DW) und zum türkischen Angebot des vom US-Kongress finanzierten Senders Voice of America (VoA).

Die Rundfunkaufsicht erklärte, sie respektiere die Pressefreiheit, aber die Medien müssten sich an die Gesetze halten. Vertreter der Regierung haben im RTÜK-Vorstand die Mehrheit.

DW und VoA hatten sich geweigert, bei RTÜK eine Sendelizenz zu beantragen. Eine Lizenz hätte die DW verpflichtet, Videos zu löschen, deren Inhalte der Rundfunkaufsicht nicht gefallen, erklärte DW-Intendant Peter Limbourg. Das sei inakzeptabel. Weil die DW alle Sprachangebote unter einem Dach zusammenfasst, wurde sie in der Türkei komplett gesperrt, während bei VoA nur das türkische Angebot abgedreht wurde.

„Hier habt ihr eure Pressefreiheit und eure moderne Demokratie“, lautete der sarkastische Kommentar von Ilhan Tasci, einem Oppositionsvertreter bei RTÜK.

Der Journalistenverband CGD warf RTÜK vor, sich als Knüppel der Regierung missbrauchen zu lassen. RTÜK verurteilte kürzlich vier oppositionelle Fernsehsender zu Geldstrafen, weil sie über eine Ansprache von Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu berichtet hatten. In der Videobotschaft sagte Kilicdaroglu, Erdogan lenke Millionensummen auf die Konten regierungsnaher Stiftungen und bereite seine Flucht ins Ausland vor.

Die Türkei auf Platz 149 von 180 erfassten Staaten

Der Staat belässt es nicht bei Geldstrafen. Nach Zählung der Opposition wurden allein im Juni 30 Journalisten in der Türkei festgenommen. Zwanzig von ihnen kamen bei einer Polizeiaktion im kurdischen Südosten des Landes in Haft. Den Journalisten wird vorgeworfen, sie unterstützten die Terrorgruppe PKK. Auf dem Pressefreiheits-Index der Organisation Reporter Ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 149 von 180 erfassten Staaten.

Vor den nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen könnte der Druck noch zunehmen. Die Regierung arbeitet an einer Novelle des Pressegesetzes, die Haftstrafen von bis zu drei Jahren für jeden vorsieht, der „irreführende“ Nachrichten verbreitet und damit „Angst und Panik“ auslöst.

Mit dem geplanten Gesetz werde die regierungstreue Justiz vor der Wahl Tausende kritische Twitter-Kommentare verfolgen können, sagt der Medienexperte Yaman Akdeniz. Die Verabschiedung ist für Oktober geplant.

Damit würde die Regierung eine Lücke schließen. Sie hat über regierungsfreundliche Verleger die meisten konventionellen Medien auf ihre Linie gebracht, doch bei den sozialen Medien und dem Internet ist ihr das bisher nicht gelungen. Presserechts-Aktivisten sehen in der Sperrung von DW und VoA einen Versuch dazu.

DW und VoA bieten trotz der Gerichtsentscheidung weiter türkische Berichte im Internet an. Per Twitter, wo sie gemeinsam mehr als eine Million türkische Follower haben, geben sie ihren Lesern Ratschläge, wie sie die Zugangssperren umgehen können.

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