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Parallelwelt im Netz. Ab der sechsten Klasse werden Sex-SMS verschickt.

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Arte-Doku: Besser als Katzenvideos

Cybermobbing, Regenbogenfamilien, Pubertät in Social-Media-Zeiten: Eine Arte-Reihe rückt Probleme in den Fokus, die während Corona fast vergessen worden.

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Die 17-teilige Arte-Reihe beginnt mit der französischen Dokumentation „Die Lust am Vorspiel“. Juli Talon hört einfach nur zu, wenn junge Menschen zwischen zwölf und 23 über Erfahrungen mit Erotik im Zeitalter von WhatsApp und sozialen Medien sprechen. Dank einer „Parallelwelt im Netz“, von der Erwachsene nichts ahnen, sind Vertreter der Generation Z frühreif: „Ab der sechsten Klasse werden Sex-SMS verschickt“. („Die Lust am Vorspiel“, Mittwoch, Arte, 21 Uhr 55)

Die pornographische Überfütterung intimer Erlebniswelten schafft eine digitalisierte Form von Gruppenzwang. Oralsex geht viral. Junge Frauen praktizieren beim „ersten Mal“ gleich einen Cunilingus. Weil das Netz voll davon ist. Verstörend ist ebenso die unter Jugendlichen verbreitete Homophobie in Zeiten von LGBT: „Ich habe mir auf YouTube angeschaut, wie man Hetero wird“, erzählt ein junger Schwuler.

In der Doku „#deckshure“ (am 23. Juni) ziehen die französischen TV-Autorinnen Florence Hainaut und Myriam Leroy eine Bilanz zum Thema sexualisierter Gewalt gegen Frauen im Netz. Neben Renate Künast kommen Journalistinnen zu Wort, die durch ihre Reichweite beruflichen Erfolg haben und zur Zielscheibe von Hasskommentaren wurden.

Mit diesem Phänomen ist die Strafverfolgung überfordert

Im Trommelwirbel sexualisierter Beschimpfungen werden Frauen aus dem öffentlichen Bereich verdrängt. Die französische Autorin Nadia Daam steigt nicht mehr unbekümmert in die U-Bahn. Wohnen diese Typen, die mich mit Morddrohungen zutexten, in meiner Nähe?

Mit diesem Phänomen ist die Strafverfolgung überfordert. Die Gesetze kommen aus einer Zeit, in der es nicht einmal Telefon gab.

Das Problem: An der juristischen Verfolgung verbaler Entgleisungen unter der Gürtellinie haben soziale Netzwerke kein wirkliches Interesse. Das widerspricht ihrem Geschäftsmodell. Das Verfassen endloser Tiraden – „Ich lächele, wenn du gesteinigt wirst, wenn Sie an der Macht sind“ – steigert die Verweildauer auf der Plattform. Damit werden Werbegelder erzielt. „Hasskommentare laufen besser als Katzenvideos“, sagt Anna-Lena von Hodenberg, Gründerin von Hate Aid, eine Beratungsstelle gegen digitale Gewalt.

Virale Morddrohungen gehören auch zum Alltag von Masih Alinejad. Die Exiliranerin dreht den Spieß um. Sie verwendet soziale Medien als Waffe. Davon handelt Nahid Perssons Dokumentation „Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs“ (am 21.7). Dank sechs Millionen Followern avancierte Alinejad zur schillernden Symbolfigur für viele Iranerinnen, die sich mit subversiven Aktionen gegen das Verschleierungsdiktat auflehnen.

Das Porträt über diese Aktivistin ist thematisch verwandt mit Aurélia Brauds „Bis zum bitteren Ende“ (am 23.6) über die Ermordung von Frauen durch Ehemänner oder Partner, die kaum auffällig wurden. Der Dokumentarfilm-Sommer endet am 25. August mit „Der Hausarzt“. Nicolas Mesdom begleitet einen Allgemeinmediziner bei seinem Abschied in den Ruhestand.

Manfred Riepe

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