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Medien: Brutale Regierung, brutale Sprache

Tschetschenien und anderswo: Anna Politkowskaja reportiert Putins Russland

Den ganzen Tag hatte sie nicht gegessen, im Flugzeug nur eine Tasse Tee getrunken und zehn Minuten später verlor sie das Bewusstsein. Schon mehrfach aufgefallen, weil sie an Putins Kaukasus-Politik kein gutes Haar lässt, und weil sie im Oktober 2002 bei dem Geiseldrama in einem Moskauer Musicaltheater von den tschetschenischen Terroristen sogar als Vermittlerin angerufen wurde, macht die Star-Journalistin und Tschetschenien-Expertin Anna Politkowskaja jetzt unfreiwillig in eigener Sache Schlagzeilen.

Statt in Beslan, dem Ort des jüngsten Geiseldramas, landete Politkowskaja mit einer schweren Lebensmittelvergiftung zunächst in einem Krankenhaus in Rostow am Don und wurde inzwischen nach Moskau ausgeflogen. Mit Plastikflaschen voll Warmwasser, weil der Blutdruck lebensgefährlich niedrig war. Die Ursachen der Vergiftung sind bisher ungeklärt. Die Ergebnisse erster Laboruntersuchungen verschwanden spurlos, wie Dmitrij Muratow, Politkowskajas Chefredakteur bei der „Nowaja Gaseta“ dem russischen Dienst von Radio Liberty steckte.

Hätte die russische Presse indes so etwas wie den deutschen „Wächterpreis“, eine unabhängige Jury würde ihn wohl Politkowskaja zusprechen. Mit grauem Bürstenhaarschnitt, mit grauer Kleidung von schlichter Eleganz geht die hochgewachsene, schlanke Mittvierzigerin und Mutter zweier erwachsener Kinder entschieden auf Distanz zu den meisten Töchtern des Landes und deren Vorliebe für Goldglanz und grelle Farben. Auch als Journalistin bietet Politkowskaja Kontrastprogramm pur: Während Staatsführung und Staatsfernsehen versuchen, den eigenen Bürgern und dem Rest der Welt in Sachen Tschetschenien eine beherrschbare Welt vorzugaukeln, schockt Politkowskaja ihre Leser mit Augenzeugenberichten aus dem Alltag eines schmutzigen, von der Welt halb vergessenen Krieges.

So „um die fünfzig Mal“, sagt Politkowskaja, sei sie inzwischen zur Recherche in Tschetschenien gewesen. Eingereist über Schleichwege. Mit Rock und Kopftuch und trotz einiger Dioptrien ohne Brille – Tschetscheninnen tragen keine. Die Maskerade ist ein Muss. Moskau hat aus dem ersten Krieg in Tschetschenien gelernt, den die Rebellen, lange, bevor sie Russland zu Friedensverhandlungen zwangen, an der Medienfront gewannen: durch Transparenz. Im zweiten Krieg dürfen Journalisten – russische wie ausländische – daher nur mit Presseoffizieren ins Krisengebiet.

Politkowskaja dagegen taucht mit konstanter Bosheit stets da auf, wo sie am wenigsten erwünscht ist. Schonungslos analysiert sie, wie Gewalt immer neue Gewalt gebiert, prangert einen Staat an, der seine Militärs miserabel besoldet und sich das Problem dadurch vom Hals schafft, dass er sie zu sanktionierter Selbstbereicherung in den Kaukasus abkommandiert. Beide, Moskaus Armee und die Freischärler, kommen daher bei Politkowskaja nicht gut weg. Anders die tschetschenischen Zivilisten, als deren Anwältin Politkowskaja sich vor allem versteht.

Literarische Kunstwerke aber sind selbst ihre Reportagen aus den Bergdörfern nicht. Kein roter Faden verbindet die Episoden, die Politkowskaja in der Reihenfolge aufschreibt, wie sie sie erlebt hat, szenische Rückblenden und Milieuschilderungen fehlen. Die Schönheit der Sprache ist für die Hardcore-Journalistin ein überflüssiger barocker Schnörkel aus Friedenszeiten, sie kommt schon im ersten Satz brutal zur Sache.

Der Chronistenstil hat aber auch sein Gutes: Nüchterne, emotionslose Darstellung von Fakten erhöht die Glaubwürdigkeit der Ungeheuerlichkeiten, die Politkowskaja auch am eigenen Leib erfuhr: 2001 entging sie nach Verhaftung und sexuellen Nötigungen durch einen betrunkenen russischen Offizier nur knapp dem Erschießungskommando. Das brachte ihr im Ausland Anerkennung, zu Hause Morddrohungen und ihrer Zeitung schon mehrmals Verwarnungen ein.

Politkowskaja erzählt alles nur mit sparsamen Worten und fast ohne Gesten. Emotionen sind ihre Sache nicht, Fragen nach dem Privatleben prallen an einem eisernen Vorhang ab. Sie scheue das Rampenlicht, sagt sie, und ist daher nur auch selten Gast bei den „Quasselqueens“ im russischen Fernsehen. Und wenn doch, langt sie so hin, dass die Senderegie um ihren Job fürchtet: Unter Putin sei die russische Gesellschaft einem nahezu pathologischen Harmoniebedürfnis erlegen und verschließe die Augen. Freiwillig übe sogar die Intelligenz Selbstzensur.

Entsprechend düster fielen und fallen ihre Prognosen aus, wie es in Tschetschenien weitergehen soll. Hass und Verbitterung über die Willkür der Russen förderten nur die weitere Radikalisierung der tschetschenischen Bevölkerung.

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