zum Hauptinhalt
Radiohören und Zähneputzen gehören für viele Menschen in Deutschland zusammen. Dafür müssen immer noch und weiterhin die Empfangsmöglichkeiten über UKW gegeben sein.

© picture alliance/dpa

Technologiewandel: Demokratie lebt von Medienvielfalt

Die terrestrischen Frequenzen müssen erhalten bleiben, wenn Rundfunk und Kultur alle erreichen sollen. Eine Position.

Stand:

Heike Raab koordiniert die Rundfunkkommission der Länder für das Vorsitzland Rheinland-Pfalz.

Frequenzen sind ein knappes Gut, vor allem in einer mobilen digitalen Gesellschaft. Der Frequenzhunger wächst. Ob Smart Metering oder auf die Schnelle eine audiovisuelle Quelle aufrufen – rund um die Uhr im Wald und auf der Heide: Der Hunger sucht nach Befriedigung. Aus gutem Grund wird daher auch politisch gerungen, für welche Zwecke, welche Frequenzen genutzt werden sollen. Zuletzt, als im Zuge der Digitalen Dividende II Frequenzen im 700 MHz Bereich frei wurden, wurde die finale Entscheidung nach wochenlangem Ringen im Kanzleramt selbst gefällt.

Die nächste Weltfunkkonferenz steht an. Die Begehren für Neu- und Umverteilung der Frequenzen werden wach.

Wir tun jedoch gut daran, sorgfältig abzuwägen. Selbstverständlich braucht die neue Energieversorgung smarte Lösungen, selbstverständlich muss Sicherheit für Bürgerinnen und Bürger in jeder Lage gewährleistet werden. Aber für mich ist als Bevollmächtigte von Rheinland-Pfalz für Medien und Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder auch selbstverständlich, dass Medien und Kultur für alle immer leicht erreichbar und zugänglich sein müssen. Denn Medien und Kultur sind elementar für die Demokratie und Gesellschaft.

Mit Medien meine ich eben nicht nur die sozialen Netzwerke, die Telegram-Gruppen oder Youtube-Channels, sondern auch die klassischen Medien wie Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen. Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampelkoalition auch klar für den dauerhaften Erhalt des UHF-Bandes für Kultur und Medien ausgesprochen.

Medien informieren, warnen, beraten, bilden und vermitteln kulturelle Inhalte. Qualitätsmedien schaffen in Zeiten fragmentierter Informationslandschaften, zunehmender Desinformation und Hassrede einen unerlässlichen Beitrag zum politischen Diskurs. In der informationsgetriebenen, durch Fake News und Deep Fakes herausgeforderten Gesellschaft sind sie zentral für den demokratischen Willensbildungsprozess und systemrelevant für die Demokratie.

Sie sind für den Erhalt von freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung und Vielfalt von herausragender Bedeutung. Längst – 2011 – haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, dass Rundfunk zu den kritischen Infrastrukturen (KRITIS) gehört.

Die Herausforderungen verschärfen sich

Die seit zweieinhalb Jahren andauernde Corona-Pandemie, die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal und der Krieg in der Ukraine haben auf schmerzliche Weise das besondere gesellschaftliche Interesse an resilienten autarken kritischen Infrastrukturen in nationaler Trägerschaft verdeutlicht.

Selten war Qualitätsjournalismus durch unabhängige Medien so wichtig wie in diesen von Krisen geprägten Zeiten. Die Herausforderungen verschärfen sich und gleichzeitig nimmt die Bedeutung der Medien mit Blick auf die Einordnung der Informationen für die Gesellschaft zu.

Demokratie lebt von Medienvielfalt. Nicht nur hinsichtlich der Inhalte: Auch die Vielfalt der Übertragungswege spielt hierbei eine erhebliche Rolle. Dem terrestrischen Rundfunk kommt meines Erachtens bei der Ermöglichung der medialen Teilhabe eine besondere Funktion zu. Dies hat mehrere Gründe: Er ist integraler Bestandteil der Fernsehversorgung, bedient aber in stärkerem Maße als kabel- oder satellitengestützter Rundfunk auch soziale Gesichtspunkte.

Der Zugang zu unabhängigen Informationen für möglichst viele Menschen wird durch einen technisch niederschwelligen Weg umgesetzt. Dieses Bedürfnis erfüllt die Fernsehterrestrik mit einfach zu bedienenden Empfangsgeräten in besonderer Weise, denn aufwendige Installationen in der Hausinfrastruktur entfallen hier. Die öffentlich-rechtlichen Programme sind zudem ohne zusätzliches, die privaten Programme gegen ein geringes Zugangsentgelt zu empfangen. Als einer der kostengünstigsten Empfangswege für HD-Inhalte erfüllt die Fernsehterrestrik damit wichtige soziale Funktionen.

Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medieninhalte können ohne Vertragsbindung, also auch anonym und ohne Rückverfolgbarkeit, genutzt werden.

Als Medienpolitikerin sehe ich mich in der Verantwortung, für die Freiheit und Unabhängigkeit der Medien insgesamt gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Demokratie braucht Frequenzen, denn Rundfunk und Kultur müssen alle erreichen. Sie müssen die mediale Partizipation als Prämisse eines notwendigen politischen Diskurses zur demokratischen Willensbildung ermöglichen. Rundfunk- und Medienpolitik sind in besonderem Maße Demokratiepolitik.

Neben seiner besonderen Demokratiefunktion hat der Rundfunk im Katastrophen- und Krisenfall aufgrund seiner gesetzlichen Aufgaben auch in dem erforderlichen Mix aus Warn- und Informationssystemen einen hohen Stellenwert. Die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal hat gezeigt, dass sowohl die terrestrische Radio- als auch TV-Infrastruktur über eine deutlich höhere Resilienz verfügen als insbesondere die Mobilfunkinfrastruktur.

Aktuell ist keine vergleichbare technische Lösung in Sicht

Nur der terrestrische Rundfunk ist aufgrund seiner exponierten und sicheren Sendestandorte mit den dort vorhandenen Notstromversorgungen und redundanten Signalzuführungen in der Lage, über einige Zeit ausfallfrei weiterzusenden. Im Krisenfall punktet die Terrestrik dadurch, dass sie unabhängig vom Internet und damit autark betrieben werden kann. Eine Netzüberlastung bei intensiver Nutzung ist hier ausgeschlossen, ein Hackerangriff schwer vorstellbar.

Über terrestrischen Rundfunk kann die Bevölkerung selbst dann informiert werden, wenn etwa beispielsweise bei Terroranschlägen öffentliche Mobilfunknetze aus taktischen Gründen lokal zeitweise abgeschaltet werden. Wenn wir es jetzt noch schaffen, mit 5G Broadcast und weiterentwickelten Technologien alle Formen von mobilen Endgeräten und Infotainmentsystemen direkt und barrierefrei mit audiovisuellen Informationen zu erreichen, könnten wir die Bevölkerung nahtlos informieren und eine optimale Ergänzung zum Radio schaffen.

Qualitätsinhalte sind zudem undenkbar ohne qualitativ hochwertige Produktionen. Auch hierfür bildet die Terrestrik einen wichtigen Baustein. Die TV-Frequenzen werden seit über 60 Jahren in störungsfreier Symbiose des terrestrischen Fernsehrundfunks mit der drahtlosen Produktionstechnik, wie zum Beispiel drahtlosen Mikrofonen, In-Ear-Monitoren und drahtlosen Funkanlagen genutzt.

Die drahtlose Produktionstechnik ist allerdings nicht nur unabdingbare Basis für professionelle Rundfunkmedienproduktionen, sondern auch für die Existenz der Kultur- und Kreativbranche. Aktuell ist keine vergleichbare technische Lösung in Sicht, die die wesentlichen Anforderungen im Hinblick auf Störungsfreiheit und Latenz berücksichtigt.

Mir ist sehr bewusst, dass sich aufgrund der besonders guten technischen Eigenschaften des Frequenzbereichs von 470 bis 694 MHz diverse Akteure wie der Mobilfunk, das Bundesministerium des Innern und für Heimat, die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und das Bundesministerium der Verteidigung für eine Umverteilung dieses Frequenzbereichs im Rahmen der Weltfunkkonferenz 2023 aussprechen.

Im Gegensatz zu den bereits erfolgten Reduktionen des TV-Frequenzspektrums in der sogenannten „Digitalen Dividende I“ und „Digitalen Dividende II“ sind aktuell jedoch keine Effizienzgewinne durch Technologiewechsel ersichtlich. Die geltend gemachten Bedarfe sind ohne eine Reduktion des TV-Spektrums nicht zu bedienen. Es geht also um nicht weniger als die Zukunft des Antennenfernsehens.

Eine Spektrumsreduktion würde unweigerlich dazu führen, dass Medieninhalte in der heutigen Form nicht mehr produziert und verbreitet werden könnten. Eine Reduzierung des Programmangebots würde die Attraktivität der Terrestrik sowohl für Programmveranstalter als auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer infrage stellen. Langfristig steht die Einstellung der Terrestrik aus wirtschaftlichen Gründen zu befürchten.

Vor diesem Hintergrund setze ich mich besonders dafür ein, dass die terrestrischen Frequenzen im Bereich 470-694 MHz dem Rundfunk und der Kulturbranche auch nach der Weltfunkkonferenz 2023 erhalten bleiben. Auch im Rahmen der Rundfunkkommission der Länder haben wir uns dafür ausgesprochen, die TV-Frequenzen nach 2030 vollständig für Rundfunk und Kulturveranstaltungen zu erhalten. Eine koprimäre Nutzung gefährdet die Verbreitung von medialen und kulturellen Inhalten.

Empfangbarkeit ist nicht nur für die mediale Teilhabe in der demokratischen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. Frequenzen sichern mediale und kulturelle Vielfalt. Daher brauchen Rundfunk und Kultur auch in Zukunft ein überall empfangbares terrestrisches Frequenzspektrum.

Heike Raab

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })