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Medien: Der Totengräber

„Stalin – Tod eines Diktators“: Ein ARD-Film für das große Publikum

Wer kennt schon Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, geboren am 21. Dezember 1879? Aber Stalin, den kennt man, den muss man kennen, gestorben am 5. März 1953. Oder doch nicht? Die WDR-Redaktion Geschichte/Zeitgeschichte hat große Zweifel, wie sehr die Kenntnisse über den sowjetischen Diktator im Fernsehvolk verbreitet sind. Ob sie überhaupt vorhanden sind. Ein Film über den „Stählernen“, wie sich der Georgier von 1912 an nennen wird, in der ARD am kommenden Montag, noch dazu zum quotenträchtigen Sendetermin um 21 Uhr 45, dieser Film scheint nach einer eingängigen Machart für das große, ahnungslose Publikum zu schreien. Die Angst der Macher vor dem Zuschauer unterlegt die 45 Minuten mit einer bestimmten „Naivität“, wie Autorin Inga Wolfram bei der Pressevorführung zugestand. Wolfram hat mit ihrem Co-Autor Helge Trimpert zuletzt die überzeugende Dokumentation „Tödliche Falle – Herbert Wehner in Moskau“ vorgelegt.

Jetzt also das „naive“ Stück „Stalin – Tod eines Diktators“. Der Film ist nicht harmlos, insofern er den Diktator als unschuldig Schuldigen vorführt, nein, Stalin ist für all die Verbrechen, die in seinem Namen, in seinem Auftrag begangen wurden, verantwortlich. Jetzt, wo sich die Archive in Moskau öffnen, wo sich die russischen, gerade die jungen Stalin-Forscher aus der post-stalinistischen Hagiographie herauslösen, ist der große Führer nur noch ein selbstherrlicher Verbrecher, der den Sieg der bolschewistischen Diktatur über die Völker der Sowjetunion vollendet.

Wie sich das Kind eines Schuhmachers und einer Waschfrau von einem Parteigänger Lenins unter anderen zum unumschränkten Herrscher emporboxt, das erklärt der Film nicht. Das System Stalin, dessen Mechanismen, Finessen und Brutalität, legt die Dokumentation nicht bloß. Sie heftet sich an die Biografie, zieht dafür aus allen, auch überraschenden Ecken Archivalien zusammen, um den Machtmenschen zu illustrieren. Die Arbeit rückt dem Allmächtigen auf den Leib, kriecht ihm in den Kopf. Was mag das für einer sein, dessen zweite Frau Nadesnda Allilujewa sich erschießt, was ihr der Ehemann so übel nimmt, dass er der Beerdigung fernbleibt. Sein Sohn wird während des „Vaterländischen Krieges“ gefangen genommen, einen von den Deutschen angebotenen Austausch gegen Generalfeldmarschall Paulus lehnt Stalin ab: Man tausche keinen Soldaten gegen einen Generalfeldmarschall. Sein Sohn wird sich im KZ umbringen. So wenig, wie sich der Film scharfsinniger Analyse verschreibt und das Unterfutter der despotischen Macht ausbreitet, so sehr hütet er sich vor schlichter Psychologisierung. Er stellt dar, er bleibt auf Abstand, wie Stalin auf misstrauischem Abstand zu seinem Volk hielt.

„Stalin – Tod eines Diktators“, das ist das Geschichtsfernsehen, das Geschichte als Personen- und als Täter-Geschichte erzählt. In der filmischen Form sehr konsequent übrigens. Es werden keine Dokumente vor das Kameraauge geschoben, Augen- und Ohrenzeugen fehlen, nur zwei Stalin-Experten sind hineingeschnitten, wie zur Beweisführung, dass die deutschen Autoren sich nicht an einem Stalin-Schauermärchen abarbeiten.

Wer am großen Diktator interessiert ist, der sollte einschalten, wer sich für die Physik der Machtakkumulation des Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili interessiert, der kann diesen Beitrag überspringen und auf die Verfeinerung wie Verästelung des Themas im WDR Fernsehen warten: Am 9. März läuft dort der Beitrag „Erschießt sie wie die Hunde. Die Moskauer Schauprozesse 36 - 38“, eine Woche später gefolgt von „Stalin auf Deutsch. Der Diktator und die DDR“.

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