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"Polizeiruf" aus München: Doppeltes Spiel

Matthias Brandt gerät im Münchner „Polizeiruf 110“ in eine gefährliche Verschwörung. Der Dominik-Graf-Krimi verlangt dem Publikum einiges ab.

Was für ein einfacher Fall im neuen „Polizeiruf 110“. In München wird eine junge Frau in ihrer Wohnung brutal erschlagen, eine Journalistin. Vorher hatte sie den erfolglosen Jazz-Musiker Mischa abblitzen lassen. Totschlag im Affekt. Mischa gesteht. Klar, ein Mord aus Eifersucht. Was soll hier Kommissar Hanns von Meuffels noch ermitteln? Wer Regisseur Dominik Graf und seinen Drehbuchautor Günter Schütter kennt, weiß, dass die Sache so klar nicht ist. Nicht sein kann. Dass hinter der Allerweltsprivatgeschichte ein Sumpf aus Politik, Wirtschaft, organisiertem Verbrechen und Behörden steckt, wie so oft bei Graf, beispielsweise „Im Angesicht des Verbrechens“, der grandiosen ARD-Serie. Es geht bei diesen Krimis um alles, um den ganzen Staat. Und darum, dass die nächsten 90 Minuten dem Zuschauer deutlich mehr abverlangen, als es normalerweise in der Krimi-Primetime üblich ist.

Schnell stellt sich heraus, die tote Journalistin wusste zu viel, von Korruption, millionenschweren Schwarzgeldkonten und vom Einfluss an allerhöchster politischer Stelle. Sie recherchierte zu einem Unternehmen, das Satellitenleitsysteme für die Rüstungsindustrie entwickelt. Infolgedessen kommt Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) auf die Spur des aufstrebenden Politikers und Unternehmers Joachim von Cadenbach (Ken Duken), dessen Familie wegen seiner Kontakte zur Waffenindustrie von militanten Friedensaktivisten bedroht wird.

Ermittler Meuffels sitzt zwischen allen Stühlen. Dieser alerte Baron von Cadenbach ist ein alter Bekannter. Der wiederum kannte den allzu geständigen Musiker Mischa (Marek Harloff). Wer deckt hier wen? Die Freundin der Toten, Corry Hüsken (Judith Bohle), gibt auch keine Ruhe. Sie glaubt nicht, dass Mischa so lange auf ihre Lebensgefährtin eingedroschen hat, bis das Blut an die Decke spritzte.

Das Blut spritzt meterhoch an die Decke

Nicht in jedem „Tatort“ oder „Polizeiruf“ spritzt Blut meterhoch an die Decke, noch nicht mal bei Til Schweiger in Hamburg. Dominik Graf will es wieder wissen und bricht auch in diesem Krimi mit Erwartungshaltungen, Sehgewohnheiten bis in die Tonspur hinein. Free Jazz läuft im Hintergrund, nicht nur, wenn Mischa spielt, fast die ganze Zeit. Das Ganze unruhig inszeniert, eingefrorene Bilder blitzen auf wie Fotos, nicht-lineares, verschachteltes Erzählen. Schnelle Schnitte, bruchstückhafte Bildfolgen und Dialogfetzen, mal eine lange Zeitlupeneinstellung, das sind Dominik Grafs Markenzeichen. Irritierend, verstörend und faszinierend zugleich. Gut möglich, dass das ein paar Millionen Zuschauer in der Quote kosten wird. Gut aber auch, dass Graf keinen Deut von seinem Stil abweicht, keine Zugeständnisse macht, auch wenn dieser Krimi in seiner thematischen Spannbreite aus Ökoterrorismus, politischen Machtspielen und persönlichen Eitelkeiten ein ziemlich hohes Risiko eingeht.

Rekonstruktion und Dekonstruktion, das ist bei Dominik Graf nie so recht zu trennen. Der Kommissar gerät in eine brandgefährliche Verschwörung, aber zwischendrin ist Zeit für diesen typischen Graf’schen Blick: auf die Stadt, ihre Typen, ihre Plakate, ihre Topografie. Auf Ruppiges und Vertrautes bei der täglichen Polizeiarbeit. Graf leistet sich dabei immer auch eine gewöhnungsbedürftige Art von Humor, der seinem diesmal wieder äußerst distanzierten, preußisch zugeknöpften Kommissar Matthias Brandt ausgezeichnet konterkariert. Keine Spur von starken Gefühlen wie in der letzten Münchner „Polizeiruf“-Folge, als sich von Meuffels in eine Justizbeamtin verliebte. Dafür steht Meuffels jetzt ermittelnd unter Nackten im Englischen Garten oder mit beiden Füßen auf seinem bäuchlings liegenden Freund. Sein adeliger Freund Cadenbach hat Rückenschmerzen, wenn er nicht mindestens einmal am Tag Sex hat.

Sex und Gewalt treiben die Geschichte voran. Es braucht beim Zuschauen mindestens so gute Nerven wie in der vergangenen Woche beim exzessiven „Tatort“ mit Ulrich Tukur, auch wenn es im „Polizeiruf“ keine 53 Leichen gibt. Dafür treiben die Polizisten im Freistaat augenscheinlich ein doppeltes Spiel: Ordnungshüter in staatlicher Uniform, die sich hinter weißen Masken verbergen, hinter dem Recherchematerial der ermordeten Journalistin her sind und wie ferngesteuerte Racheengel wirken. Keiner weiß, wer dahintersteckt. Der Geheimdienst? Welches Land? Keine Hoffnung, nirgends. Dazwischen Morddrohungen und wütende Friedenskämpfer – oder Ökoterroristen, wie von Cadenbach sie nennt.

"Smoke on the Water" ist eine sehr unbarmherziger Krimi

Ein sehr boshafter, ein sehr unbarmherziger "Polizeiruf"-Krimi. Mit großartigen Darstellern, einer besser als der andere: Ken Duken mal schmierig gegen den Strich besetzt, sehr präpotent, mit feinem Anzug und zurückgegelten Haaren, Anklänge an Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sind nicht zu übersehen. Dazu Marek Harloff als erfolgloser Künstler, wie immer nicht von dieser Welt und die stille Newcomerin Judith Bohle (die in Grafs Filmessay „Es werde Stadt!“ mitspielte). Und, natürlich: Matthias Brandt, der in seinem achten Kriminalfall selbst in Lebensgefahr gerät.

Das recht brutale Ende, so viel sei verraten, erinnert stark an Michael Hanekes „Funny Games“. Der zwölf Minuten längere, noch heftigere Director’s Cut soll auf den Filmtagen in Hof zu sehen sein. Das Schöne ist, dass man sich nach so einem Dominik-Graf-Krimi nicht gleich die Kugel gibt, weil er einem, neben all der Korruption, Momente schenkt, die an das Gute im Menschen glauben lassen. Der intimste ist eine Szene, in der sich von Meuffels und Corry ihre alten Wunden und Narben zeigen. „Ist es nicht seltsam, dass Glück nie Spuren hinterlässt?“

„Polizeiruf 110 - Smoke on the Water“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15

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