zum Hauptinhalt
Im Aufbruch. Caterina (Claudia Michelsen, v.l.n.r.) beobachtet mit großem Unbehagen, wie sich Helga (Maria Ehrich), Monika (Sonja Gerhardt) und Eva (Emilia Schüle) vehement gegen die Restriktionen und Zwänge der Gesellschaft wehren.

© ZDF und Michael Schreitel

Dritte Staffel der „Ku’damm“-Reihe: Das ZDF bittet zum Tanz ins „Galant“

Zurück in die Zukunft der 1960er: Die großartige „Ku’damm“-Serie wird mit einer neuen dreiteiligen Staffel fortgesetzt.

Das ZDF bittet in die Tanzschule „Galant“. Mal wieder Seniorenkurs. „Ku’damm 63“ ist die zweite Oma-Sause zur Nachkriegsgeschichte der weiblichen Selbstbefreiung. Am Jahreswechsel hatte die ARD die Fortsetzung von „Charite“ gezeigt und im männerdominierten Weißkittel-Gedenkmarmor einer Eliteklinik zwei Frauen entdeckt, gespielt von zwei großartigen Ninas: Nina Gummich und Nina Kunzendorf.

Deren Weg zu Frauenfreiheit: Sie vermählen sich mit der Wissenschaft, nichts kann von der bleichen Gesellin scheiden. Mit Klauen und Zähnen verteidigen zwei Medizinerinnen zu Zeiten des Mauerbaus ihre Professionalität gegen den ärzteromanseligen Zeitgeist und gegen übergriffige Männer. „Mutti“ Merkel grüßt von Ferne.

Im Gegensatz zu diesem Soldatinnenlied ist „Ku’damm 63“ ein richtiger Knallbonbon. Beide Frauengeschichtserkundungen zeigen, dass deutsche Fernsehkunst Netflix-Niveau kann. Unterhaltung, Intelligenz, Relevanz und Überraschung ebenso. In sedierendem Ärzteweiß auf dem, pardon, IQ-Damm ebenso wie auf dem entfürsteten Ku’damm.

Der „Ku’damm“-Autorin und Ideengeberin Annette Hess, der Regisseurin Sabine Bernardi, dem Kameramann Michael Schreitel und dem Musikteam gelingt das Wunder, fast alles, was es an Erinnerungen über die frühen 60er Jahre gibt, plakativ und süffig aufzubieten, ohne auf dem hohen Ross liebloser Ironie zu verweilen.

[„Ku’damm 63“, ZDF. In der Mediathek seit Samstag, im Fernsehen am Sonntag, Montag und Mittwoch um 20 Uhr 15]

Der geniale Trick der Autorin Hess besteht darin, männliches Kerkermeisterverhalten gegenüber Frauen in einer Frau anzusiedeln. Die Tanzschule „Galant“ der Familie Schöllack unter der Fuchtel der aufgedonnerten Caterina Schöllack (Claudia Michelsen) lebte vor und auch nach dem Krieg von einer Lüge. Durch barbarischen Arisierungsbetrug in den Besitz von „Galant“ gekommen, versteckten sich die Räuberin und ihr heimlicher Geliebter und Mittäter Fritz (Uwe Ochsenknecht) hinter der Mär bürgerlichen Widerstandes gegen NS-Barbarei.

Nach dem Krieg tanzten die Verhältnisse selbst

Tanzen als kulturelle Wertbewahrungsanstalt und Verkupplungsbörse war schon zu Thomas Manns Tonio-Kröger-Zeiten in den Ruch des Lächerlichen geraten. Nach dem Krieg tanzten die Verhältnisse selbst. Die Fliehkräfte der Moderne zerrten an der Autorität guten Benehmens.

Und prägten das Weltbild einer wie Caterina, der Gernegroßen. Einen Vier-Frauenreigen durch die männerknappen Aufbauzeiten zu choreografieren, verführte in der Adenauerzeit Mütter wie Madame Schöllack (Michelsen erweist sich als Assoluta im Fach weiblicher Donquichotterie) zum restaurativen Schulterschluss mit den Grundsätzen der Frauen unterdrückenden Männerwelt.

Warum es da in puncto Lust als alleinerziehende Frau auch nicht gleich so wie die Männer machen und sich wöchentlichen Sex bei ihrem Mitarbeiter Fritz, dem heimlichen Erzeuger ihrer jüngsten Tochter Monika (Sonja Gerhardt), holen? Bloß bitte diskret.

Wasser predigen und heimlich Wein trinken, es passt zur Heuchelei der frühen Sechziger. Wasser ist die öffentlich gesegnete Versorgungsehe, Wein gefährlich und unsicher wie der Tango, „der das Tier in der Frau weckt“. Zwei der drei Schöllack-Töchter lassen sich unter dem Gegackere des Muttertiers ins falsche Leben locken: Helga (Maria Ehrich) und Eva (Emilia Schüle) heiraten muttergehorsam die falschen Männer.

Sie finden kein Wasser und keinen Wein, sondern Tränen, aber damit auch – List der Vernunft aller „Ku’damm“-Geschichten – sich selbst. Man lernt’s: Matrilineare Strukturen – mangels Männern herrschen die Mütter – sind nicht automatisch humaner als patriarchalische. Die Befreiung der Frau führt über Frauen.

Mutter Schöllack macht ihre Fehltritttochter Monika zur besonderen Gefangenen ihrer belagernden Fürsorge. Dieses bebrillte Entlein, dieses Kuschelküken ist rührend folgsam, wird ohne Chance auf Ehemann suizidgefährdetes Nisthäkchen im Schwesterngelege. Nach Ausweisung aus der „normalen“ Welt (versiebte Hausfrauenschule wegen unsittlicher Entblößung) gilt Monika als unaufsteigbares Aschenputtel.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können ]

Es folgt, was heute zurecht vor den Me-too-Gerichtshof gebracht würde: Der gestörte Millionärsschnösel Joachim Franck (Sabin Tambrea) vergewaltigt das Tanzstundenküken Monika. Und was tut die? Sie verliebt sich in den Aggressor. Kann man das glauben?

Vielleicht. Mutter Schöllack jedenfalls ist blind für die Gewalt, die ihrem Küken angetan wurde. Sie hat gehört, dass Joachim eine gute Partie ist, ihre Augen glitzern über das Tochterelend hinweg.

Bald auch als Musical. "Ku'damm 56 - das Musical" soll ab November 2021 im Theater des Westens aufgeführt werden. Am Mikrofon steht Dennis Weissert.
Bald auch als Musical. "Ku'damm 56 - das Musical" soll ab November 2021 im Theater des Westens aufgeführt werden. Am Mikrofon steht Dennis Weissert.

© Jordana Schramm/Katrin Brauer Music/dpa

Da schaut die geschundene Monika zum ersten Mal auf sich und nicht auf die übersichtige Mutti. Sie spürt Wut, die ihr gehört und die bei einem anderen zugleich zu spüren ist. Gefangene Tochter entdeckt verlorenen Sohn. Joachim, der von seinem dementen Nazi-Vater verachtet wird, bewältigt sein Schicksal nach Männerart, verliebt sich in seine Verlorenheit, unterstützt vom Zeitgeist und dessen existentialistischem Pathos: Schwarzer Rollkragenpullover, Sartre griffbereit.

Die Schöllacksche Töchterdrillschule – Ausnahme Monika – bedient zwar mit zwei ihrer drei Insassinnen sexuelle Männerwünsche mit ansehnlicher Fraulichkeit, enttäuscht aber dank mütterlicher Beschneidung die Sehnsucht nach dem Wichtigsten: nach der Ehe mit echter Liebe. Dazu bedürfte es seelischer Anstrengung, Umdenkens, Phantasie – nicht zu haben bei Schöllers.

Wenn nur das Misstrauen schnurrt

Kalt wie Eis stehen sich denn auch gegenüber die Ex-Krankenschwester Eva Schöllack und ihr Professor Jürgen Fassbender (Heino Ferch). Alter Kater bewacht geiles Kätzchen. Schnurren tut nur das Misstrauen.

Helga von Boost (geborene Schöllack) hat als spießige und modenpuppenhaft verkleidete Frau des Staatsanwalts Wolfgang von Boost (August Wittgenstein) auch keine Einfühlung von zuhause mitbekommen. Wolfgang ist schwul, Helga unerbittlich. Es kann und darf für sie nicht Liebe sein, was Homosexuelle tun.

Am Ende der neuen Staffel haben Ärzte, Richter und Polizei in der Serie mit viel Unbill zu tun gehabt. Es waren zu sehen: drei vollendete Selbstmorde, ein versuchter. Ein Totschlag, Gewalt in der Ehe, illegale Prostitution. Eine Denunziation. Dazu Betrug, einen tödlichen Autounfall aus Leichtsinn, Diebstahl geistigen Eigentums, Scheidung, Rauswurf...

Zähne sind Frauen gewiss gewachsen. Aber ist die Sache der weiblichen Selbstfindung vorangekommen? Ja, gewiss doch. Die Schöllack-Töchter haben sich selbst gefunden unter all den Klischees. Aus Helga wurde Schöllerkönigin Caterina die Zweite, aus Kätzchen Eva eine kreative resolute Frau mit Zeit fürs Nachdenken hinter schwedischen Gardinen. Aus Monika eine jetzt lieben könnende und wehrhafte Frau.

An der Seite von Freddy (Trystan Pütter), dem fast verlorenen Musiker aus Auschwitz, hat sie sich freigerockt und ein gleichberechtigtes Arrangement des Zusammenlebens zwischen den Geschlechtern gefunden. Das böse Erbe der Mutter ist überwunden, aber die Liebe zu ihr nicht aufgegeben. Und die Männer? Naja.

Egal. Wehrhaft gewordene Oma Monika, dürfen wir Männer um den nächsten Tanz bitten?

Zur Startseite