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Medien: Elf Millionen Freunde könnt ihr sein

StudiVZ war nur der Anfang: Was Investoren an Web-2.0-Portalen interessiert – und warum Internetnutzer dort Mitglied werden

„Das nächste große Ding im Internet?“ Jörg Überla, Partner der Wagniskapital-Firma Wellington, muss nicht lange überlegen: „location-based services“ (so- genannte „standortbezogene Dienste“). Start-ups, die sich darauf spezialisieren, seien die nächsten großen Kaufkandidaten. „Weil sie so praktisch sind“, schwärmt der Investor. Etwa für Menschen, die viel unterwegs sind. Er nennt die Berliner Firma Plazes. Ein „Plaze“, wie er im Web-Denglisch heißt, besteht aus gespeicherten Informationen über einen physischen Ort; Mitglieder können mit Hilfe der Software weltweit Texte und Bilder abspeichern, die dann elektronisch an dessen Koordinaten gebunden sind. Kommt ein anderer Teilnehmer vorbei, kann er die Informationen aus dem lokalen Netz abrufen – von „hier gibt’s tollen Apfelkuchen, Gruß Michi“ bis hin zur Werbung der umliegenden Hotels.

Nachdem die Verlagsgruppe Holtzbrinck, in der auch der Tagesspiegel erscheint, das Berliner Online-Portal StudiVZ (kurz für Studierendenverzeichnis) für über 50 Millionen Euro gekauft hat, fragen sich viele: Wie kann man mit einer Internetgemeinschaft Geld verdienen? Michael Brehm, 26, ist bei StudiVZ für die Finanzen zuständig. Eine Mitgliedsgebühr schließt er aus: „In einer Studenten-Community? Uns laufen sofort die Leute weg!“ Nein, Werbung, die zweite Möglichkeit zum Geldverdienen, soll für Umsatz sorgen. In zwei Monaten sollen die ersten Banner auftauchen. „Sehr dezent“, verspricht Brehm. Die Aussichten sind gut: 2006 stiegen die Werbeumsätze im Netz um 45 Prozent auf 480 Millionen Euro. Der Branchenverband Bitkom rechnet damit, dass dieser Trend anhält.

Auf die Frage, weshalb das Web 2.0 mit seinen unzähligen sozialen Netzwerken – Weltmarktführer Myspace hat jede Woche eine halbe Million neue Mitglieder – aktuell so stark wächst, verweist Brehm auf die Technik. Die allermeisten Haushalte verfügten erst seit kurzem über preiswerte und leistungsfähige Breitbandverbindungen, über die sie Videos angucken und Fotos durchs Netz schicken können. Auf Firmenseite das Gleiche: „Für unsere Hardware hätten wir noch vor fünf Jahren einen sieben- oder sogar achtstelligen Betrag hinlegen müssen“, sagt Michael Brehm von StudiVZ.

Wie schnell sich Investoren gut fünf Jahre nach dem Platzen der letzten Börsenblase auch hierzulande wieder über einen „return on investment“ freuen können, zeigt der Wellington-Einstieg beim bekannten Geschäftsnetzwerk OpenBC, das heute Xing heißt: 2003 ging die Hamburger Firma an den Start, im Herbst 2005 stieg Wellington mit „unter 50 Millionen Euro“ ein, im Dezember 2006 folgte der Börsengang. Die Börsenbewertung des Unternehmens vor der Kapitalerhöhung: 120 Millionen Euro.

Bleibt die Frage, ob die Investoren nicht fürchten müssen, dass ihnen die Nutzer, die durch keinen Vertrag an ihre Online-Netzwerke gebunden sind, bei nächster Gelegenheit wieder davonlaufen. Die Antwort, die schon im Netz 1.0 galt: Der Erste im Markt, der sogenannte „first mover“, hat den Vorteil. Sein Name wird rasch mit der spezifischen Dienstleistung verbunden. Fotos? Flickr. Videos? Youtube. Und so weiter. Ist die kritische Mitgliederzahl überschritten, kommt das Wachstum fast von alleine. StudiVZ, zum Beispiel, hat aktuell 1,3 Millionen Mitglieder, die sich in über 300 000 Gruppen tummeln. Auf die Frage, warum er sicher sei, dass die bleiben, verweist Finanzchef Brehm auf deren sonstige Mobilität: „Überlegen Sie mal, wie oft Studenten umziehen oder ihre E-Mail und Handynummer wechseln. Hier haben sie ein sich permanent aktualisierendes Adressbuch.“

Für „Stayfriends“-Gründer Michel Lindenberg ist es das fortgeschrittene Alter seiner Nutzer, das ihm deren Treue sichert. „Das Besondere an unserer Community ist, dass die Mitgliedschaft nicht an Wert verliert, wenn man nicht ständig aktiv ist“, hatte er bereits Anfang 2006 im Tagesspiegel gesagt. Seither ist die Nutzerzahl von 3,2 Millionen auf fünf Millionen Nutzer gewachsen. „Auch die Mitglieder, die sich vor vier Jahren direkt nach unserer Gründung angemeldet haben, melden sich immer dann zurück, wenn sich an ihrer alten Schule etwas tut und sich neue alte Mitschüler anmelden“, sagt Lindenberg heute. Die beste, weil billigste Werbeplattform für Stayfriends ist übrigens die Suchmaschine Google, die zu jeder Schule und zu fast jeder Person auch einen Stayfriends-Link auswirft. Aber auch ein Teil der Gelder, die das Portal über die Gold-Mitgliedschaft einnimmt, wird in die Werbung investiert.

Dass um Stayfriends weniger Wirbel gemacht wird als um StudiVZ hat damit zu tun, dass das Alumni-Netz fest in die US-Gemeinschaft Classmates.com eingebunden ist. „Wir sind kein Übernahmekandidat, das musste ich auch den Venture-Capital-Firmen immer wieder erklären“, erzählt Lindenberg. Gleichzeitig gibt er aber zu erkennen, dass es durchaus möglich ist, dass die amerikanische Mutter die deutsche Tochter bei einem entsprechenden Angebot verkauft: „Ein Brötchen kann sich nicht selbst verkaufen, da muss man schon den Bäcker fragen.“ Sein Job sei es, „aus fünf Millionen Mitgliedern zehn Millionen zu machen“.

Aber auch aus Imagegründen kann eine Online-Community wie die zum „Stern“- Verlag gehörende Foto-Gemeinschaft „View“ interessant sein. Durch die verschiedenen Abonnementformen rund um die gleichnamige Zeitschrift ist das Engagement ein lohnendes Geschäft, sagt Alireza Jerani, der bei Stern.de für das View-Portal zuständig ist. So werde derzeit darüber nachgedacht, in diesem Jahr noch mehr Fotos von ambitionierten Hobbyfotografen ins Heft zu bringen, beispielsweise durch neue Rubriken oder eine Beilage. Denkbar sei aber auch, dass der „Stern“ die Fotografen bei der Vermarktung ihrer Fotos unterstützt.

Das Thema Übernahme spielt für „Die Lokalisten“ inzwischen eine kleinere Rolle, nachdem sich die ProSiebenSat1-Gruppe im letzten Jahr zu 30 Prozent an dem in München gegründeten Freundes-Netzwerk beteiligt hat. Ausgangspunkt dieser Gemeinschaft war übrigens die Suche nach einem gemeinsamen Wohnzimmer in München für spontane Verabredungen. Nachdem dies unter anderem aus finanziellen Gründen scheiterte, wurde ein virtuelles Wohnzimmer gegründet. Heute gibt es 500 000 Mitglieder und Wohnzimmer-Ableger in so gut wie jeder größeren deutschen Stadt. Für Peter Wehner, einer der fünf Gründer vom Mai 2005 freut sich, dass er sich nach dem Einstieg der TV-Sendergruppe neuen Projekten rund um das Netzwerk widmen kann. Vor allem soll es bei den Lokalisten künftig multimedialer zugehen, sollen sich die Mitglieder der Community mehr mit Fotos, Musik und Videos präsentieren können. Stichwort standortbezogene Dienste: Wie bei Plazes aus Berlin soll auch bei den Münchnern künftig das Web-fähige Handy zum Einsatz kommen, etwa um mittels der Standortfunktion spontane Treffen zu erleichtern.

Die Gefahr, dass dies den Nutzern zu viel wird, sieht Wehner nicht: „Solche Ideen kommen doch gerade von den Mitgliedern.“ Genau wie bei den Netz-Videos: „Das Fernsehen muss sich ständig über neue Formate selbst neu erfinden. Im Internet übernehmen die Nutzer diese Aufgabe selbst“, sagt Christian Vollmann, der das deutsche Portal MyVideo betreibt. Und zwar mit steigender Tendenz: Täglich kommen auf seiner Seite 5000 neue Filme hinzu.

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