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Anstoß am 11. Juni. Dann wird Claudia Neumann die EM-Gruppenbegegnung Wales gegen Slowakei kommentieren. Am 17. 6. folgt die Partie Italien gegen Schweden.

© ZDF und Rico Rossival

Eine Frau kommentiert Männer-Fußball: „Fehler ärgern mich mehr als Beschimpfungen"

Claudia Neumann kommentiert erstmals für das ZDF Spiele der Männer-Fußball-EM. Ein Gespräch über Machismo, zähen Frauen-Fußball und mögliche Shitstorms.

Frau Neumann, Sie werden als ZDF-Live-Reporterin zwei Spiele der Fußball-EM 2016 kommentieren. Wurden Sie gedrängt?
Keinesfalls! Die Idee entstand bei meinen Chefs, ich habe kurz überlegt. Die pure Lust an der Sache hat sich dann aber ziemlich schnell durchgesetzt.

Sie kommentieren die Vorrundenspiele Wales – Slowakei und Italien – Schweden. Haben Sie auswählen können?

Nö, die Einteilung haben ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz und Christoph Hamm, ZDF-EM-Programmchef, gemacht. Das war mir aber auch völlig wurscht, ich hätte auch Vatikan gegen Malta kommentiert.

Noch nie hat eine Frau bei einem so bedeutenden Männerturnier reportiert. Macht Sie das stolz oder sagen Sie: Wurde auch höchste Zeit?
Weder noch! Was mich persönlich betrifft, haben Rekorde oder Geschichtsbücher eher geringe Bedeutung. Höchste Zeit wird es, dass sich Frauen überall auf der Welt frei bewegen können, beispielsweise in Saudi-Arabien Fußballspiele besuchen dürfen, und gesellschaftlich den gleichen Respekt genießen wie Männer. Da gibt es noch dringenden Nachholbedarf. Ein Fußballspiel zu kommentieren, hat sicher nicht oberste Priorität.

Warum eigentlich wollen Sie Männer-Fußball kommentieren?
Ich hege eine große Leidenschaft für den Fußball, und ich arbeite auch nach mittlerweile 25 Berufsjahren super gern als Fußball-Reporterin. Das Live-Kommentieren ist eine große Herausforderung, macht riesig Spaß, das ist mein Antrieb, meine Motivation, nichts anderes.

Männer-Fußball ist Männersache, da haben Frauen nix zu suchen! Haben Sie Verständnis für diesen „Machismo“?
Wenig! Es gibt ja auch genug Männer, die im Frauenfußball arbeiten, in den verschiedensten Funktionen. Ich halte nicht so viel von dieser Geschlechtertrennung. Es ist alles eine Frage von Toleranz, Offenheit und Neugier gegenüber Entwicklungen innerhalb einer modernen Gesellschaft. Ich persönlich will niemanden bekehren: Wer das nicht mag, hat jedes Recht, das auch so zu äußern.

Sie haben ja eine Menge Erfahrung, Sie haben bei den Fußball-Weltmeisterschaften der Frauen 2011 und 2015 kommentiert. Was können Sie daraus für Ihre anstehende Aufgabe in Frankreich mitnehmen?
Erfahrung und irgendwann auch ein bisschen Routine. Fakt ist aber, dass ich nach wie vor großen Respekt vor dem Handwerk „Live-Kommentar“ habe, und dass ich mich stets verbessern will. Ich denke, ich bin ziemlich selbstkritisch, so richtig zufrieden bin ich nach 90 Minuten eigentlich nie. Und, ohne dass ich sie kopieren will: Bei so außergewöhnlich guten Leuten wie Marcel Reif und Béla Réthy höre ich schon genau hin. Sprachlich ist das die hohe Schule.

Gibt es Unterschiede bei der Kommentierung zwischen Frauen und Männern?
Oh ja! Der Frauenfußball ist natürlich erheblich langsamer, die Ereignisdichte in der Regel geringer. Das hört sich erstmal gemütlicher an, kann aber extrem zäh werden, wenn beispielsweise 20 Minuten nichts passiert. Dazu fehlt oft die entsprechende Kulisse, also die Fan-Atmo. Da kommt man sich zuweilen ein bisschen einsam vor am Mikro. Atmosphärisch ist das bei den Männern natürlich viel angenehmer, allerdings sind bei dem heutigen Tempo strittige Szenen oft schwer zu beurteilen.

Ihre männlichen ZDF-Kollegen sind es schon gewohnt, dass ihre Kommentare außerordentlich Kritik kassieren – und mehr als das: Schmähkritiken und Shitstorms sind die Regel. Auch Ihre Erfahrung?
In Ansätzen ja. Das gehört wohl unwiderruflich dazu, die Uhren lassen sich nicht mehr zurückdrehen. Meinungsäußerung steht jedem zu, wie er das tut, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich verstehe absolut, dass der Zuschauer mit seiner Haltung, seiner Kritik ernst genommen werden möchte. Der von einigen eingeschlagene Weg, das Ganze in beleidigender Form über die sozialen Netzwerke zu tun, hat mit konstruktiver Kritik aber nichts zu tun.

Wie gehen Sie mit Verbalattacken um?
Niemand lässt sich gerne beleidigen oder beschimpfen, das mal vorneweg. Wahrscheinlich nicht mal die Herrschaften, die das selbst unentwegt tun. Ich denke aber, ich kann das ganz gut einordnen, ein wirklicher Fehler auf dem Sender ärgert mich jedenfalls mehr als eine inhaltslose Beschimpfung.

Wann wird es so weit sein, dass eine Frau das Finale einer Männer-Fußball-WM kommentiert?
Keine Ahnung! Ist auch nicht wirklich erheblich: Ein WM-Finale sollte der Beste kommentieren, ich bin das definitiv nicht!

Das Interview führte Joachim Huber.

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