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Vermeintliche Kindeswohlgefährdung: Weil Simon (Benjamin Piwko) und Conny (Anne Zander) eine Operation für ihre gehörlose Tochter Mila (Della Pfeffer) ablehnen, landen sie vor Gericht. Dort soll Richterin Helbig (Claudia Michelsen, re.) entscheiden.

© ZDF und Silviu Guiman

Fernsehfilm „Du sollst hören“: Blickduelle zwischen Claudia Michelsen und Anne Zander

Der ZDF-Montagsfilm plädiert überschwänglich für die Befreiung gehörloser Menschen vom Druck des „normalen“ Lebens.

Von Nikolaus von Festenberg

Da ist sie mal wieder zu sehen: Claudia Michelsen, die TV-Assoluta vom „Ku’damm 56“, das tanzende und raunzende Denkmal für konservative Nachkriegsmütter. Diesmal als Richterin zu Köln, im Talar genauso herrlich grimmig und zugleich verletzlich wie im Tanzschulenkäfig. Eine durchschauende Undurchschaubare.

Das Wunderbarste an dem ZDF-Montagsfilm „Du sollst hören“ (ZDF, 20 Uhr 15) ist, dass Michelsen eine Gegenspielerin hat: Anne Zander. Eine 37°-Reportage von Nanina Bauer, die das ZDF am Dienstag um 22 Uhr 15 ausstrahlt, stellt die Schauspielerin vor. Deren Biographie hat viel mit dem Thema des Spielfilms zu tun. Die 34Jährige Zander, mit zehn Prozent Hörfähigkeit als Tochter hörender Eltern geboren, ist auf den steinigen Weg aus der „Behinderung“ in die „Normalität“ gezwungen worden.

Statt mit Gebärdensprache – wie es der Vater wollte, aufzuwachsen – zwangen sie die Großeltern mütterlicherseits, nur von Hörenden umgeben die Lautsprache zu erlernen. Sie tat das so „erfolgreich“, dass sie fast die Ausbildung in der Schauspielschule zur Darstellerin schaffte.

Und zahlte einen hohen Preis. Sie verbarg ihre Hörprobleme und brach unter der Anstrengung zeitweise psychisch zusammen. Der Spagat zwischen den Welten überforderte sie, und sie entschied sich für ein Leben in der Gehörlosencommunity: „Dazu bin ich nicht auf der Welt, nur damit ich perfekt sprechen kann.“ Heute geht es Anne Zander besser.

In der „Du sollst hören“-Rolle der Mutter Conny Ebert wirkt Zander mit dem Widerstand gegen medizinische Maßnahmen besonders glaubhaft. Die Schauspielerin weiß um die Qualen ihrer Jugend. Conny ist mit dem ebenfalls hörgeschädigten und als Yogalehrer arbeitenden Simon (Benjamin Piwko) verheiratet.

Die Eheleute reagieren gar nicht so begeistert, wie es der Professor Rotschild (Kai Wiesinger) erwartet hatte, als er den Eltern die Nachricht überbrachte, der Hörnerv ihrer zweijährigen tauben Tochter Mila sei intakt, eine Cochlea-Operation böte dem Mädchen gute Heilungschancen. Entsprechende Operationen an Ohr und Gehirn seien heute ungefährlich und Routine.

Die Zuschauer müssen weder Paragraphenschlacht noch Medizinseminar fürchten

Die kleine Mila sei doch nicht krank, sondern glücklich, erklärt dagegen die Mutter. Taubheit sei keine Krankheit. Das Argument der Mediziner, selbst eine noch so kleine Besserung der Taubheit erhöhe die Selbständigkeit und Sicherheit im späteren Leben, wenn die Eltern sich nicht mehr um ihre Tochter kümmern könnten, dringt bei den Erzeugern nicht durch.

Der erboste Professor informiert das Jugendamt über die Weigerung der Eltern. Das Amt strengt ein Verfahren vor Gericht wegen Kindeswohlgefährdung an. Richterin in dem Prozess wird die von Claudia Michelsen gespielte Figur Jolanda Helbig.

80 000 Gehörlose und 16 Millionen Schwerhörige

Aber keine Angst: Der Zuschauer braucht keine Paragraphenschlacht zu fürchten und bekommt keine optischen Informationsblätter über die 80 000 Gehörlosen und 16 Millionen Schwerhörigen in Deutschland an den Kopf geworfen.

Der Film ist eher ein gefühlsstarkes Plädoyer für die Vorzüge einer von der Gebärdensprache geprägten Gehörlosenkultur als für die Fortschritte der Medizin. Von einer fundierten medizinischen und soziologischen Auseinandersetzung über Vor-und Nachteile besonders der Cochlea-Operationen gibt es nur kurze Szenen. Dafür sehr viel emotionales Begeisterungsfeuerwerk für die Gebärdensprache, die seit dem Jahr 2002 staatlich anerkannt ist.

Am spannendsten in dem Film sind die Blickduelle zwischen waidwunder Löwenmutter und richterlicher Robenträgerin. Michelsen versteht es, anfängliche professionelle Skepsis allmählich in Anerkennung zu verwandeln.

Dann, scheinbar wie aus dem Nichts, beginnt ein zweiter Filmteil: die seelische Erschütterung der Richterin, eine unerwartete Expedition in das Gefühlsleben hinter den Paragraphen. Aus Verdrängung und (unberechtigten) Schuldvorwürfen angesichts des Verlusts eines Kindes aus früherer Ehe ist bei Helbig eine Art seelische Ertaubung entstanden. Sie erkennt in den Ängsten der Mila-Mutter und der Abwendung ihres jüngeren Ehemanns (Jan Krauter) ihre Einsamkeit und findet sich selbst erst allmählich wieder.

„Ich habe viel von Ihnen gelernt“, sagt sie in ihrem Schlusswort zur Angeklagten. Der Zuschauer auch. Da haben sich zwei Mütter in einer geheimen Sprache ohne viele Wörter gehört und am Ende verstanden.

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