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Medien: Fluchtpunkt „Hotel Palestine“

Gehen oder bleiben? Nur noch vier deutsche Fernsehteams berichten aus Bagdad

Von Joachim Huber

und Christoph von Marschall

Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Desinformation und Zensur gehören zu den Waffen aller Beteiligten – auch im Irak- Krieg. Journalisten, die unabhängig vom Geschehen berichten wollen, hatten es schon immer schwer. Es könnte nun eine Situation eintreten, in der es zunächst überhaupt keine unzensierten Nachrichten aus Bagdad und von der Front gibt.

Wer aus der irakischen Hauptstadt berichten will, der muss bleiben. Die wenigen Korrespondenten, die in Bagdad ausharren, stehen vor genau dieser Frage: Gehen oder bleiben? Unisono heißt es von CNN über RTL bis zum ZDF, dass allein die Techniker, die Kameraleute, Cutter und Journalisten diese Entscheidung fällen: „CNN wird bleiben“, sagt Sprecherin Amelie Heinrichsdorff, „aber kein einziger unserer Mitarbeiter wird dazu gezwungen.“ Gleiches gilt für Ulrich Tilgner (ZDF), Antonia Rados (RTL/n-tv/NBC), Katrin Sandmann (Sat 1/N 24). „Ob Frau Sandmann Bagdad verlässt oder nicht, das kann sich von Stunde zu Stunde ändern“, sagt N-24- Sprecher Thorsten Pütsch. Selbst bei ihrem Weggang seien die Sender Sat 1 und N 24 über das Material der Agentur Reuters TV versorgt. Ob diese Quelle weiter sprudeln wird? Andere Agenturen wie APTN seien ebenso gegangen wie das US-Network NBC.

Der ARD-Korrespondent Jörg Armbruster hatte vom verantwortlichen Südwestrundfunk die Order bekommen, Bagdad zu verlassen. Er versuchte gestern, die jordanische Hauptstadt Amman auf dem Landweg zu erreichen, dafür berichtet jetzt Stefan Kloss aus Bagdad. Würde die N-24-Korrespondentin Sandmann die irakische Hauptstadt verlassen, würde keiner der Korrespondenten in der Krisenregion sie ersetzen: „Falls Katrin Sandmann sich entscheidet zu gehen, macht es keinen Sinn, einen anderen reinzuschicken,“ betonte N-24-Sprecher Pütsch. Für Antonia Rados sagte RTL-Sprecher Matthias Bolhöfer, sie fühle sich gegenüber den Menschen in Bagdad verpflichtet, sie wolle bleiben, und wenn sie bleiben werde, „dann kann sie sich vorstellen, im Bunker Schutz zu suchen“. Damit halten sich nur noch vier deutsche Fernsehteams in Bagdad auf. Die Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine haben ihre eigenen Reporter mittlerweile abgezogen.

Um die Gefahr für Leib und Leben zu mindern, wechseln die in Bagdad verbliebenen Teams ins „Hotel Palestine“. „Das Hotel liegt nicht im Zentrum der Stadt, sondern mehr am Rand, am Ufer des Tigris.“ Als erste sind die Korrespondenten von CNN und BBC dorthin gegangen, die offensichtlich immer etwas schneller informiert werden. „Klar ist“, sagt Matthias Fornoff, der im ZDF die Irak-Berichterstattung koordiniert“, dass „die übrigen Hotels wie ,Raschid’ oder ,Mansur’ viel zu dicht an den möglichen Bombenzielen der Amerikaner liegen.“ Das „Palestine“ scheint auf dieser Liste nicht zu stehen. Die gewohnten Bilder vom Dach des Informationsministeriums oder den Hoteldächern des „Raschid“ oder „Mansur“ werden durch die Kulisse des „Palestine“ ersetzt.

Bewegung und Gegenbewegung: Parallel zum Weggang der Korrespondenten scheint die Stunde der „Abenteurer und Hasardeure des Krieges“ gekommen zu sein, wie Matthias Fornoff die freien Journalisten nennt, die sich am Stadtrand von Bagdad eingemietet haben sollen. Sobald die Bodenoffensive auf die Hauptstadt beginnt, wollen sie sich von den US-Truppen „überrollen" lassen und aus dem Rücken der Front von den möglichen Häuserkämpfen in Bagdad berichten. Fornoff mutmaßt, dass im Wettstreit der Sender um Bilder und Nachrichten verschiedene Stationen auf deren Material zurückgreifen werden. Zugeben will das keiner, trotzdem, für die so genannten „Free Lancer“ winkt ein großes Geschäft – verbunden mit höchster Gefahr. Stefan Kloss, der von der ARD wie schon beim Afghanistan-Krieg vom Fleck weg engagiert wurde, ist nach Angaben von SWR-Koordinator Immo Vogel „auf eigene Faust nach Bagdad gereist“. Mit gültigem Visum versehen, steht er jetzt als ARD- Ein-Mann-Team auf dem Dach des Pressezentrums.

Ob „Free Lancer“ oder offizieller Korrespondent, ob schreibender oder Fernsehjournalist: Alle Berichterstatter müssen fürchten, dass sie ihr Material nicht werden absetzen können. Wenn die US-Luftwaffe Graphitbomben oder „Microwave bombs“ einsetzen wird, um die Stromversorgung, aber auch die Kommunikation des Gegners zu unterbinden, dann werden die satellitengestützten Übertragungsanlagen der Journalisten ebenfalls gestört sein. CNN-Sprecherin Heinrichsdorff meinte dazu sehr smart, dass „unser Korrespondent Nic Robertson ausgebildeter Satelliten-Ingenieur ist. Was auch immer in Bagdad passiert, werden wir covern.“

Wenn aber die Überspielung des Materials möglich sein wird, welche Qualität wird es haben? Amelie Heinrichsdorff von CNN sagt nur, „wir verfügen über lokale Kontakte in Bagdad.“ Ob das im Kriegsfall ausreicht? Ein Bagdad ohne Korrespondenten würde bedeuten, dass die Berichte unabhängiger Augenzeugen ausblieben. Im schlimmsten Fall könnte das heißen: Die einzigen Bilder und News vom Irak-Krieg, die die Welt zunächst erreichen, stammen von der irakischen Propaganda oder womöglich von den Journalisten, die auf den US-Kriegsschiffen oder bei den Bodentruppen sind, dort ihre Informationen vom Militär erhalten und einer strengen Zensur unterliegen. Wenn es keine anderen Bilder gibt, werden sie immer wieder gesendet. Einen Krieg ohne Bilder kann sich kein Fernsehsender vorstellen.

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