Medien: Ganz Ohr
Hörbücher boomen, auch auf der Leipziger Buchmesse. Das Internet ist dabei Chance und Risiko zugleich
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John Katzenbach schreibt ungewöhnlich spannende Psychothriller. Sein jüngster Roman „Das Opfer“ handelt davon, wie ein Stalker das Leben einer jungen Studentin und ihrer gesamten Familie auf den Kopf stellt. Wahre Kassenschlager sind Katzenbachs Romane im Internet, als Hörbücher – und das, obwohl „Das Opfer“ auf eine Gesamtlänge von über 18 Stunden oder umgerechnet rund 15 CDs kommt. Oder gerade deshalb. Denn anders als beim CD-Verkauf im Handel spielt die Länge eines Hörbuches zum Herunterladen aus dem Internet kaum noch eine Rolle. Ganz im Gegenteil entwickelt sich derzeit geradezu ein Trend hin zu ungekürzten Hörbuchausgaben, stellt Arik Meyer vom Hörbuchportal Audible anlässlich der Leipziger Buchmesse fest. Dort sind Hörbücher Schwerpunktthema. 120 Verlage stellen auf dem Branchentreff ihre Neuheiten vor. Immer mehr Anbieter nutzen die Möglichkeiten des neuen Mediums, haben ein Standbein im Internet aufgebaut.
Der große Unterschied zwischen CD und Internet macht sich vor allem dann bemerkbar, wenn zum Abhören der Hörbücher nicht die heimische Stereoanlage oder der mobile CD-Spieler, sondern ein MP3-Player wie der iPod von Apple oder seine Konkurrenten von Creative oder Trekstor zum Einsatz kommen. Um damit eine Hörbuch-CD anzuhören, muss der Inhalt zuerst in den Computer kopiert und dann zum MP3-Player transportiert werden – und zwar für jede CD. In Hörbüchportalen wie Claudio.de, Audible.de, Libri.de oder Soforthoeren.de liegen die Titel bereits im Computerformat vor und können in einem Rutsch auf den Computer des Käufers heruntergeladen werden. Bei Audible wird die Datei zudem noch so stark komprimiert, dass selbst auf einen iPod mit zwei Gigabyte Speicher noch weit über hundert Stunden Hörbücher passen – und das in passabler Qualität. MP3-Player sind dabei erst der Anfang: Fast jedes neue Handy kann ebenfalls digitale Inhalte wiedergeben und ist somit ein potenzielles Abspielgerät für Hörbücher.
Anders als bei gedruckten Werken gehört der Hörbuchmarkt insgesamt zu den Wachstumsinseln. Im vergangenen Jahr nahmen die Erlöse mit Audiobooks um rund 17 Prozent zu. Der Gesamtmarkt liegt bei rund 150 Millionen Euro. Erheblich stärker fiel das Wachstum im Teilmarkt der Downloadportale aus. So konnte Audible seinen Umsatz 2006 verdreifachen. „Wir haben die kritische Masse erreicht“, sagt Audible-Deutschland-Chef Arik Meyer. Dabei muss allerdings bedacht werden, dass der Anteil der Audibooks am Gesamtbuchmarkt in Deutschland bei rund vier Prozent liegt und der Online-Umsatz wiederum nur einen Bruchteil des Hörbuchumsatzes ausmacht. Der Blick zu Ländern wie den USA, Großbritannien oder Skandinavien weckt allerdings Hoffnungen. Dort liegt der Hörbuchanteil bei immerhin zehn Prozent.
Nichts steht so festgeschrieben, dass nicht am Ende auch das genaue Gegenteil davon gelten kann. So heißt es bei den Downloadportalen nicht nur immer häufiger „Je länger, desto besser“, auch für Hörbuchserien gibt es entgegen früheren Branchenerwartungen offenbar einen Markt. Als das Hörbuchportal Audible zur letzten Buchmesse in Frankfurt vor gut einem halben Jahr den „Wächter“-Zyklus des in Russland äußerst erfolgreichen Science-Fiction- und Fantasy-Autors Sergej Lukianenko auflegte, war das anfangs nicht mehr als ein interessanter Vermarktungsversuch nicht zuletzt für das Abo-Angebot von Audible, ohne das man nicht an die Serienteile herankam. Inzwischen ist bereits der achte Serienteil der „Wächter“-Hörbücher erschienen und hat dazu beigetragen, dass die Downloadportale langsam aus der Nische heraustreten. Dieser Erfolg soll nun möglichst in Serie gehen, und zwar mit weiteren Hörbuchreihen aus dem Science-Fiction-Bereich. Gerade erst wurde der erste Teil des Science-Fiction-Abenteuers „Ilium & Olympos“ von Dan Simmons ins Internet-Regal gestellt, zur Buchmesse folgt nun Richard Morgan mit seinem Zukunftsepos um den Privatdetektiv Takeshi Kovacs, der genau dort weiterschreibt, wo der Erfinder des Cyberspace, William Gibson, im letzten Jahrtausend aufgehört hat.
Hörbücher boomen. Auf der Leipziger Buchmesse steht eine Hörinsel neben der anderen. Dass sich dabei die Bereiche Online und klassische CDs nicht ausschließen oder gar verdrängen, beweist der Hörverlag aus München. Der Marktführer ist Mitgesellschafter bei Claudio.de, verdankt seine zweistelligen Zuwachsraten aber vor allem physischen Tonträgern. „Liebevoll gestaltete CDs wie das Rilke-Projekt oder die Hermann-Hesse- Box im Acrylglas lassen sich besser verschenken“, sagt Heike Völker-Sieber vom Hörverlag. Dort kann aus 700 Hörbüchern gewählt werden: für den Strandurlaub, Flug oder die Fahrt in Auto und U-Bahn. Es ist klar, was die Leute hören wollen. 20 Prozent der Titel, darunter neue Werke von Frank Schätzing oder „Harry Potter“, machen Gewinn, so Völker-Sieber, die die restlichen 80 Prozent wie ein Hörspiel nach Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstands“ mit Robert Stadlober mittragen müssen.
Gerade ambitioniertere Projekte sind durch Raubpiraterie und illegale Downloads besonders gefährdet. Und da kann der Zukunftsmarkt Internet auch zur Gefahr werden, befürchtet der Hörverlag. Wird mit „Harry Potter“ nicht mehr das ganz große Geld verdient, weil sich zu viele das Werk umsonst aus dem Netz holen, stellen die Verlage die anspruchsvollen CD-Titel wohl zuerst ein.
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