
© WDR/Mark Rogers
TV-Serie „Lambs of God“: Gottes realitätsferne Schwestern
In der One-Serie „Lambs of God“ verstecken sich drei Nonnen vor der Moderne – bis die Kirche ihr Paradies zerstören will.
Stand:
Wer nie in einer irischen Klosterruine war, versteht womöglich etwas schwerer, was spirituelle Einkehr wirklich bedeutet. Wem diese Refugien tiefer Religiosität im Grünen unbekannt sind, dem könnte also auch der Zugang zu einer australischen Miniserie fehlen, die mit spiritueller Einkehr und tiefer Religiosität im Grünen fast noch zu weltlich beschrieben wäre. Das verwilderte Nonnenkonvent Sankt Agnes ist eher ein frommer Knast – zumindest für Pater Ignatius, der im ersten der vier Teile „Lambs of God“ dort landet. Und das wird, so viel sei gespoilert, trotz der himmlischen Umgebung nicht weniger als die Hölle.
Nach Marele Days Roman „Die Bräute des Himmels“, fährt er 1999 zur längst vergessenen Abtei, um das Gelände für den Bau eines Luxushotels zu sondieren. Irlands Katholizismus steckt seinerzeit mitten im Missbrauchsskandal. Weil das kostet, bieten sich Liegenschaften wie diese zum Gelderwerb an. Statt verlassener Mauerreste mit Meerblick findet der irdische Kirchengesandte allerdings drei Gottesschwestern vor, die sich fernab aller Zivilisation vor der Moderne verstecken. Nach jahrzehntelanger Isolation prallen also zwei Kulturen aufeinander, die nur der Konfession nach aus demselben Stall stammen.
["Lambs of God", One, Teil 1 und 2 am Dienstag, Teil 3 und 4 am 6. April, jeweils ab 21 Uhr 40]
Während das Nonnentrio weder Strom noch fließendes Wasser hat, dafür aber Schafe, die sie für wiedergeborene Ordensschwestern halten, und langes Haar, das sie ihnen einmal im Jahr zum Opfer bringen, hat der Priester neben Handy, Auto, Zigaretten auch Hochglanzprospekte des Neubaus dabei. Aus Furcht vor Vertreibung aus dem Paradies, nehmen sie den Eindringling deshalb zur Geisel, erziehen ihn zur Ordensfrau um und setzen damit eine Eskalationsspirale in Gang, die mit Worten schwerer zu beschreiben ist als mit Vergleichen.
Eine Mischung aus "Game of Thrones" und "Misery"
Spätestens zu Beginn des zweiten Teils nämlich mündet dieser dezent schwarzhumorige Clash of Civilizations in eine Mischung aus „Game of Thrones“ und „Misery“. Mit spürbarer Lust am Tabubruch macht Regisseur Jeffrey Walker aus Sarah Lamberts Drehbuch ein Kuriositätenkabinett voller Gottesfurcht und Blasphemie. Denn im Namen Jesu ist die jungfräuliche Cara – wunderbar geistesabwesend verkörpert von Jessica Barden („The End of the F***ing World“) – ebenso sündig wie ihre älteren Schwestern Margarita (Ann Dowd) und Iphigenia (Essie Davis), deren dunkle Vergangenheit Minute für Minute mehr aus der Gegenwart hervortritt.
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Klingt abgedreht. Ist abgedreht. Hat bei den Australian Film Awards allerdings nicht zu Unrecht eine Rekordzahl an Nominierungen eingeheimst. Neben der atemberaubenden Kulisse Tasmaniens und einer herausragenden Kameraführung, trägt das gottesfürchtige Freiluftkammerspiel schließlich noch eine Botschaft im Gepäck, die erschreckend zeitgenössisch ist: macht bloß nicht den Fehler, Verschwörungs-, Geister- und Einfaltsgläubige zu unterschätzen, abzüglich des religiösen Eifers also jene Realitätsverweigerer, die gerade erst Kassels Innenstadt zur rechtsfreien Zone gemacht haben. Ihr selbstgerechter Fatalismus ist gefährlich!
Zum Glück jedoch marschieren diese drei besonders realitätsfernen Schafe nicht durch deutsche Fußgängerzonen, sondern stecken mit Herz, Hirn und Seele in ihrer abgeschiedenen Einsiedelei. Damit „Lambs of God“ dabei nicht in nerdige Gothic-Mystery abdriftet, sucht Pater Ignatius agnostische Schwester Frankie (Kate Mulvany) in einem Nebenstrang nach ihrem Bruder. Dass schon mal Polizeihubschrauber über der sturmumtosten Steilküste kreisen, lenkt bis zum komplett überraschenden Finale aber nur selten davon ab, wie surreal das hinreißend fotografierte Exil (Kamera: Donald M. McAlpine) der Eremitinnen ist – und wie sehenswert.
Jan Freitag
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