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Medien: Grimme, ein ARD-Märchen

Acht von zwölf: Der Senderverbund räumt ab beim wichtigsten Fernsehpreis

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Sönke Wortmann hat mit seinem Dokumentarfilm „Deutschland. Ein Sommermärchen“ die Vorlage der Fußball-Nationalmannschaft bei der WM 2006 eiskalt verwandelt. Neben dem „Bambi“ wird auch der Adolf-Grimme-Preis in Wortmanns Trophäenschrank Platz nehmen, was insofern eine schöne Sache ist, da der Regisseur aus Marl stammt. Dort hat er die ersten 18 Jahre seines Lebens verbracht. In Marl sei der Grimme-Preis immer ein großes Thema gewesen, „oft auch das einzige“, bemerkte Wortmann gestern bei der Bekanntgabe der Preisträger in Düsseldorf höflich. Der Fußballfan habe das Medienereignis des vergangenen Jahres gekrönt, urteilte die Jury. Morgen dürfte dann die Nominierung zum Deutschen Filmpreis folgen.

Überhaupt wird die Preisverleihung am 30. März eine schöne Bescherung für die ARD: Acht von zwölf Grimme-Preisen werden an ARD-Produktionen vergeben, sieben davon waren im Ersten Programm zu sehen. Vier stammen vom WDR, darunter nicht nur Wortmanns Doku, sondern auch der heiß diskutierte und im Programm verschobene Fernsehfilm „Wut“. Auch der Preis für die „Monitor“-Autoren, die die von Unternehmen bezahlten Lobbyisten in Bundesministerien aufspürten, ist mit hintergründiger Kritik versehen. „Monitor“-Chefin Sonia Mikich nutzte die Gelegenheit, um zu erklären, die Kürzung von 45 auf 30 Minuten habe den politischen Magazinen nicht gut getan. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg war an dem kühlen Meisterwerk „Unter dem Eis“ von Aelrun Goette beteiligt. Der Publikumspreis der Marler Gruppe geht ebenfalls an einen ARD-Film, an Jo Baiers Verfilmung der Kindheitserinnerungen von Michael Degen: „Nicht alle waren Mörder“.

War das Erste Programm im vergangenen Jahr wirklich so turmhoch überlegen? Als Spiegel eines Fernsehjahres taugt der von 14 auf zwölf Preise reduzierte Wettbewerb nur bedingt. Es spricht für die Marler Jurys, dass sie sich um Ausgewogenheit oder Senderproporz nicht scheren. Beherrschendes Thema war die multikulturelle Gesellschaft, besonders die Spannungen des deutsch-türkischen Zusammenlebens, die sich auch in preiswürdigen Fernsehfilmen und Serien niederschlagen. Mal schmerzhaft wie in „Wut“, in dem die Welt einer liberalen deutschen Wohlstandsfamilie unter den Attacken eines kriminellen ausländischen Jugendlichen zerbricht. Mal komisch, aber durchaus nicht politisch korrekt wie in dem ProSieben-Movie „Meine verrückte türkische Hochzeit“ oder in „Türkisch für Anfänger“. Die ARD-Vorabendserie über eine multikulturelle Patchwork-Familie erhält nach dem Deutschen Fernsehpreis einen der beiden Grimme-Preise in der neu geschaffenen Kategorie Unterhaltung.

Die zweite Unterhaltungsauszeichnung geht überraschend an die von Jürgen von der Lippe präsentierte Show „Extreme Activity“. Die fernsehtaugliche Variante eines beliebten Brettspiels setzte sich gegen das üppigere Format „Schlag den Raab“ aus dem eigenen Haus durch. Dennoch darf sich das zweifach prämierte ProSieben die Hände reiben, alle anderen nominierten Privatsender gingen leer aus. Dabei gab es mit zwölf kommerziellen Produkten von insgesamt 62 Nominierungen so viele wie noch nie. Die „besondere Ehrung“ erhält RTL-Publikumsliebling Hape Kerkeling, der nun wohl zur Strafe als Horst Schlämmer die Preisverleihung aufmischen wird.

Mit zwei Preisen dürfte sich das ZDF als Verlierer im traditionell von öffentlich-rechtlichen Sendern beherrschten Kräftemessen fühlen. Allein „Stellmichein!“, eine Dokusoap mit Zeichentrickeinlagen über fünf Berufseinsteiger, und der ebenso exzellente wie bedrückende Dokufilm „Weiße Raben – Alptraum Tschetschenien“ erhalten in der Kategorie Information & Kultur zwei Grimme-Preise. Jürgen Klopps WM-Analysen gingen ebenso leer aus wie alle nominierten ZDF-Fernsehfilme. Besonders in der Kategorie Fiktion wurde das ZDF unter Wert geschlagen. Von den zahlreichen nominierten Krimis schaffte es nur ein alter Bekannter: Der bei Grimme bereits mehrfach prämierte Dominik Graf war zum zweiten Mal hintereinander mit dem Münchener ARD-„Polizeiruf 110“ erfolgreich, mit der Folge: „Er sollte tot“.

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