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© RBB

Im Porträt: Der Don Quijote aus Kreuzberg

Es gibt in Deutschland keinen traurigeren und keinen komischeren Schauspieler als Andreas Schmidt.

Andreas Schmidt ist ein Allerweltsname, zu dem einem erst mal kein Gesicht einfällt. Oder aber man hat gleich mehrere Bilder vor Augen: einen aufbrausenden Lkw-Fahrer, einen brutalen Polizisten, einen windigen Musiker. Alle diese Typen hat Andreas Schmidt schon gespielt. Sie haben ihn groß gemacht. Sein Gesicht ist berühmter als sein Ruf.

Am kommenden Mittwoch ist Schmidt im Ersten in dem Film „Krauses Kur“ als Bauer „Gänse-Schlunzke“ zu sehen. Darin gibt es eine Szene, in der er Pfähle in die Erde haut. Gänse-Schlunzke will in Brandenburg eine Straußenfarm aufbauen. „Das ist mein ganz persönlicher Aufschwung“, sagt Andreas Schmidt, und man weiß an dieser Stelle nicht, ob man lachen oder weinen soll. Wie er da im Grünen steht und guckt, sieht Schmidt selbst wie ein Straußenvogel aus. In dem Moment denkt man, es gibt in Deutschland keinen traurigeren und keinen komischeren Schauspieler als Andreas Schmidt.

Gerade führt er Regie. Was neben der Schauspielerei seine zweite, eher unbekannte, Leidenschaft ist. Andreas Schmidt sitzt in der ersten Reihe in der Komödie am Kurfürstendamm und streicht sich mit der Hand durch sein leicht ergrautes Haar. Die künstlerische Geste passt. Über ihm auf der Bühne hocken Nina Hoger und Claudia Geisler. Sie sprechen über das Stück, das bald Premiere hat. „4 nach 40“ handelt von vier 40-Jährigen, die sich nicht kennen und in einem Lift stecken bleiben.

Andreas Schmidt redet ruhig, aufrichtig und unaufgeregt. Er ist kein Despot, kein Alleswisser, sondern jemand, der die Erfahrungen seiner Kollegen schätzt. Und so wirkt das kleine Ensemble, zu dem auch Ingo Naujoks und Stephan Grossmann gehören, fast wie eine Familie. Andreas Schmidt trägt ein blaues Hemd mit weißen Kringelchen, darüber einen Pullover, Jeans. Ein wenig erinnert er an den Don Quijote, wie Picasso ihn gemalt hat, groß und schmal, die Schultern leicht gebeugt: ein dünner Hals, der Kopf mit einer großen Nase und einem spitzen Kinn. Schon als Junge fiel er so auf. „Spargeltarzan“ riefen ihm die Kinder hinterher.

1963 wurde er im Sauerland geboren, fünf Jahre später zogen seine Eltern mit ihm und seinem Bruder nach Berlin ins Märkische Viertel. Plattenbau, selbst gehäkelte Hauben für Toilettenrollen und ein Vater, der trank – Andreas Schmidt erinnert sich nicht gern an seine Kindheit. Es kam vor, dass die Miete nicht bezahlt war. Oder dass er nichts zu essen hatte. Früh musste er lernen, selbst für sich verantwortlich zu sein. Das hat den sehnigen Jungen stark gemacht. „Ich hatte ein Vorbild, wie ich nicht werden wollte, ich wollte aus der Situation raus, je schneller, desto besser.“

In der Schule war er fleißig und gut, zu jedem Termin pünktlich. Zu Hause griff er sich die Bücher, die im Wohnzimmerschrank standen. Mit ihnen entzog er sich einer Umgebung, die er anders nicht verlassen konnte. Als Schmidt 16 war, las er Dostojewskijs „Schuld und Sühne“. Er ist jetzt noch begeistert, wenn er von dem Roman spricht. „Stell dir mal vor, da war plötzlich jemand, der dachte wie ich. Der stellte dieselben Fragen. Was kommt nach dem Leben? Oder nach dem Tod? Dieses Buch und überhaupt die Literatur waren für mich wie ein Befreiungsschlag.“

Neulich hat der in Kreuzberg lebende Schauspieler seinen Sohn gebadet und einen glücklichen Jungen gesehen. Ein wenig ist es so, als könnte er mit ihm seine Kindheit noch mal neu erleben. „Zuallererst bin ich Ehemann und Papa“, sagt er im Gespräch in einer Probenpause, „wenn ich mich beruflich definieren müsste, dann bin ich Film- und Theaterschaffender.“ Andreas Schmidt ist nicht nur Schauspieler und Regisseur, er schreibt auch Drehbücher und Stücke. Fast wäre er auch noch Rockmusiker geworden. Als Jugendlicher hatte er die Band „Lillies große Liebe“ gegründet. Jetzt ist er froh, dass dieser Job an ihm vorbeigegangen ist. „Das wäre mir heute viel zu anstrengend, Abend für Abend vor 60 000 kreischenden Fans zu rocken.“ Vor ein paar Tagen ist er 46 geworden. „Die 40 war eine besondere Marke, so etwas wie eine Bestandsaufnahme. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt all die Sachen ernten kann, die ich als Zwanzigjähriger gesät habe.“

Weil ein Mädchen, das er hübsch fand, auf eine private Schauspielschule ging, hatte er den Mut, das auch zu probieren. Er nennt das den „erotischen Kick“, eine Art sexuelle Antriebskraft. Er blätterte in den Gelben Seiten, rief bei einer Schule in Berlin an und fragte: „Hej, kann ick mal vorbeikommen?“ Er durfte. Man stellt sich den jungen, berlinernden Mann mit blauen Augen und abstehenden Ohren vor, wie er schüchtern die Schauspiellehrerin begrüßte. Seine Hände sehen aus, als würden sie Klavier spielen und seine Stimme klingt so, als käme sie über die sanfte Tonlage nicht hinaus, als würde sie auf halber Strecke versiegen. Als er damals anfing, Goethe zu rezitieren, muss der Schauspiellehrerin klar geworden sein, dass dort jemand mit einem eigentümlichen Talent vor ihr stand. Jemand, dem irgendwie alles zuzutrauen war. Andreas Schmidt spielt die lautesten, leutseligsten und lustigsten Rollen, aber der Mensch, aus dem das alles kommt, ist leise, bescheiden. Ernst. Der Schauspieler Christoph Maria Herbst hat nach einem Treffen über ihn gesagt: „Das ist doch niemals der Andreas Schmidt, den ich aus dem Film kenne.“ Besser kann man eine Begegnung mit dem Schauspieler nicht beschreiben.

Nach seiner Ausbildung stand Andreas Schmidt im Theater in Mannheim auf der Bühne. Es gab auch gleich Film- und Fernsehangebote. Sein Kinodebüt hatte er 1988 in der Verfilmung des Erfolgsmusicals „Linie 1“. In den 90ern segelte er als Schiffskoch drei Winter lang für die ZDF-Reihe „Inseln unter dem Wind“ durch die Karibik. Mit dem irischen Regisseur Eoin Moore drehte er fünf Filme, darunter das Drama „Pigs will fly“, in dem er den Berliner Polizisten Laxe spielte, der seine Frau vor Eifersucht krankenhausreif schlägt. Ein Mann zerrissen zwischen Sehnsucht und Gewalt – mit dieser Rolle wurde Andreas Schmidt 2002 zum ersten Mal für den Deutschen Filmpreis nominiert. Oft sind die Typen, die Andreas Schmidt spielt, schräge Vögel. Außenseiter, Großmäuler, Verlierer, Männer mit einem großen Herzen und einem kleinen Verstand. Gerade ihr zwiespältiger Charakter macht sie so interessant. Oder anders ausgedrückt: Wenn Andreas Schmidt in einem Film auftaucht, kommt Leben in die Bude.

Regisseur Andreas Dresen muss das gewusst haben, als er ihn 2004 für die Kinokomödie „Sommer vorm Balkon“ besetzte. Als Lkw-Fahrer Ronald mischte er die Zuschauer auf, in dem er sie vor die Frage stellte, ob man diesen proletenhaften Macho, der sich durch sämtliche Frauenbetten schummelt, eher hassen oder lieben sollte. Am Ende entschied man sich irgendwie für beides. Während der Dreharbeiten, erzählt Schmidt, habe er ständig lachen müssen. Wie über die Szene, in der er auf der Couch sitzt und in der die Krankenpflegerin Nike ihm einen Mandarinenlikör serviert, den er mit den Worten „Trink ick nich“ ablehnt. 14 Mal musste die Szene wiederholt werden. Er ist am Set immer extrem aufgeregt. „Ich bin voller Panik. Neue Leute, neue Umgebung. Ich brauche lange, ehe ich auftaue.“ Fühlt er sich aber aufgehoben, „kann er sich völlig vergessen“. Auch für die Rolle des Ronald wurde er für den Deutschen Filmpreis nominiert.

Bekommen hat er ihn erst in diesem Jahr für die beste Nebenrolle. In dem Kinofilm „Fleisch ist mein Gemüse“ spielt er den Musiker Gurki, einen Maulaufreißer mit Lockenkopf und Schnauzer, der die große Liebe sucht und die Dinge, die er tut, möglichst „geil abliefern“ will. Genau genommen ist er darin Andreas Schmidt sehr ähnlich. Er sagt: „Ob du einen Filmpreis kriegst oder Erfolg hast, das ist ja zweitrangig. So etwas ist meist nach einer halben Stunde vorbei. Wichtig ist doch nur die Arbeit. Macht sie dir Spaß oder nicht?“ Für Andreas Schmidt ist jede Rolle eine Hauptrolle. Manchmal dreht er nur für zwei Tage. Dann kann es vorkommen, dass sich niemand um ihn kümmert und er wie ein Kleindarsteller behandelt wird: „Komparsen aber bitte nicht ans Essen ran“, hat man ihm schon zugerufen, als er sich gerade ans Buffet machen wollte. In solchen Momenten, sagt er, denkt er dann: „He, aber ich bin Schauspieler, ich bin auch was wert.“

„Krauses Kur“, 9. 12., ARD, 20 Uhr 15 Uhr. „4 nach 40“, Premiere am 6.12., Komödie am Kurfürstendamm

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